Donnerstag, 26. Dezember 2024

Die Rückkehr des Behemoth

Ein Gastbeitrag von Alexander Meschnig

Mit zwei Figuren der jüdischen Mythologie, Leviathan und Behemoth, charakterisiert Alexander Meschnig in seinem folgenden Aufsatz einen tragischen Wandel unserer Gesellschaft. Die Ordnung des nationalstaatlich organisierten Leviathans verwandelt sich aktuell in die multikulturell-globalisierte Welt des Behemoth. In ihr zeigen sich tribalistische Gemeinschaften und skrupellose Individuen dem „letzten Menschen“ Nietzsches, durchgegendert und diversitysensibel, überlegen. Die Spielregeln demokratischer Übereinkunft missachten sie (David Berger).

I.

Im Buch Hiob wird ein mächtiges Ungeheuer beschrieben das jede Form der Auflehnung oder des Widerstands gegen das eigene Schicksal unmöglich macht. Nur Gott kann das Untier mit dem Namen Leviathan am Ende aller Zeiten besiegen, dem Menschen bleibt nichts anderes übrig als sich ihm demütig unterzuordnen und seine Macht anzuerkennen:

„Kannst du den Leviathan ziehen mit dem Haken und seine Zunge mit einer Schnur fassen? […] Wenn du deine Hand an ihn legst, so gedenke, dass es ein Streit ist, den du nicht ausführen wirst. […] Niemand ist so kühn, dass er ihn reizen darf; […] Seine stolzen Schuppen sind wie feste Schilde. […] Aus seinem Munde fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus. […] Die Gliedmaßen seines Fleisches hängen aneinander und halten hart an ihm, dass er nicht zerfallen kann. Sein Herz ist so hart wie ein Stein. […] Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken.“

Dieses unbesiegbare mythologische Ungeheuer hat in die 1651 erschienene gleichnamige staatsphilosophische Schrift von Thomas Hobbes Eingang gefunden, in der die Macht des absolutistischen Staates mit der des Leviathans gleichgesetzt wird. Hobbes schrieb sein Werk vor dem historischen Hintergrund des Englischen Bürgerkriegs (1642-1649), einer Zeit der Anarchie und chaotischer Verhältnisse, die auf allen Seiten zahlreiche Opfer forderte.

Der Bürgerkrieg endet schließlich mit der Hinrichtung Königs Karl I., der zeitweiligen Abschaffung der Monarchie und der Ausrufung der Republik, das sogenannte Commonwealth. Erst nach dem Tod von Cromwell im Jahre 1658 und der Abdankung seines Sohnes Richard wird 1660 die englische Monarchie unter Karl II. wiederhergestellt.

Am Beispiel des englischen Bürgerkrieges und seiner Schrecken will Hobbes exemplarisch den „Naturzustand“ menschlicher Gesellschaften zeigen. Eine Situation der Anomie, Angst und Gewalt, ein Leben in ständiger Furcht vor Tod und Enteignung, am äußersten Ende ein „Kampf aller gegen alle.“

Ein vorstaatlicher Zustand, in dem es keine durch einen mächtigen Staat verbürgte Ordnung und Sicherheit gibt, gleichzeitig eine unbegrenzte Freiheit des Einzelnen, eine prinzipielle Gleichheit und allgemeine Rechtsfreiheit, die dem Stärkeren keine Grenzen setzt. Symbolisch für diese anarchische Situation steht ein anderes Ungeheuer der jüdischen Mythologie, der Behemoth:

„Siehe da, den Behemoth […] er frißt Gras wie ein Ochse […] seine Kraft ist in seinen Lenden und sein Vermögen in den Sehnen seines Bauches. […] Seine Knochen sind wie eherne Röhren; seine Gebeine sind wie eiserne Stäbe. […] Er liegt gern im Schatten, im Rohr und im Schlamm verborgen. Das Gebüsch bedeckt ihn mit seinem Schatten, und die Bachweiden umgeben ihn. Siehe, er schluckt in sich den Strom und achtet’s nicht groß; lässt sich dünken, er wolle den Jordan mit seinem Munde ausschöpfen.“

In seiner im Vergleich zum Leviathan fast unbekannten Schrift Behemoth or the long Parliament, die wegen eines königlichen Druckverbotes erst nach seinem Tode im Jahr 1681 erscheint, nimmt Hobbes 1668 den Gegensatz der beiden mythischen Ungeheuer auf. Ein zentraler und wichtiger Unterschied besteht darin, dass der Behemoth die permanente Präsenz von Gewalt verkörpert, während der Leviathan als eine zwar latente, aber nur in bestimmten Situationen sichtbare Macht vorgestellt wird.

Im absolutistischen Politikverständnis von Hobbes wird der Leviathan symbolisch zum Staat, der den Gegenpol des durch den Behemoth personifizierten Naturzustandes bildet. Der Staat ist also ein gemeinsames Mittel zur Wahrung und Erzwingung des inneren Friedens, ein Verzicht des Einzelnen darauf, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen „die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Kräfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu beizutragen scheint, tun kann.“ (Leviathan, Kap. 14).

II.

Die mythischen Figuren Leviathan und Behemoth lassen sich, in politische Sprache übersetzt, als die Gegenpole von Ordnung und Freiheit verstehen. Das negative Extrem des Leviathans ist der totalitäre Staat, Tyrannei und Despotie, die Allmacht einer Herrschaft, in der die Freiheit des Einzelnen nicht mehr existiert. Das negative Extrem der Freiheit ist der von Hobbes beschriebene „Kampf aller gegen alle“, Bürgerkrieg, Anarchie, ethnische und religiöse Auseinandersetzungen, Clan- und Bandenkriege, sexuelle Übergriffe, Mord. (Bild l.: Behemoth und Leviathan, Lithographie von William Blake)

Das 20. Jahrhundert – und insbesondere die historische Erfahrung in Deutschland – haben den Leviathan als praktisch einzige Gefahr in den Mittelpunkt der Wahrnehmung und Kritik gerückt. Die Angst vor Eingriffen des Staates und seiner Allmacht hat die Furcht vor der Gewalt ethnischer oder religiöser Gemeinschaften und Individuen fast vollständig verdrängt. In einem nach 1945 weitgehend pazifizierten und zivilisierten Deutschland, in dem die Selbstverwirklichung und Selbstbestimmung des Einzelnen als sakrosankt gelten, wird jede Eingrenzung individueller Bedürfnisse durch staatliche Instanzen prinzipiell als Affront verstanden der Widerstand provoziert.

Der Ordnungsstaat ist zu einem rein negativen Begriff verkommen, der nur noch mit Polizeigewalt, staatlicher Willkür und der Unterdrückung des von Rolf Peter Sieferle so genannten „dionysischen Individuums“ assoziiert wird:

„Das dominante Feld der politischen Ideologie ist so weit in Richtung des Behemoth verschoben worden, dass fast durchweg der Leviathan als der einzige Feind des Menschengeschlechts gilt.“

Diese Fixierung auf einen historisch weitgehend abgedankten Hauptfeind nimmt gegenwärtig in Folge der Masseneinwanderung tribalistischer Gemeinschaften mehr und mehr selbstzerstörerische Züge an, da sie der Herrschaft des Behemoth sukzessive Geltung verschafft.

Mit der verhängnisvollen Grenzöffnung im September 2015 kehrt der Behemoth mit aller Gewalt in unsere befriedete Welt zurück und zwar gerade deshalb, weil der Staat seine Ordnungsaufgaben nicht mehr erfüllen kann, da er auf mentale Strukturen der Einwandernden trifft, auf die seine seit langem bewährten Rechts- und Strafsysteme nicht anwendbar sind.

Die inzwischen täglichen Messerstechereien, sexuellen Übergriffe, Vergewaltigungen, Massenschlägereien, die Angriffe auf Polizei, Rettungskräfte, Ärzte, Klinikpersonal, die Gewalt in Bussen oder U-Bahnen: in den Hochburgen der multikulturellen Stadtteile herrschen inzwischen neben den „radikalen Verlierern“ (Enzensberger) die Clans hauptsächlich arabisch-türkischer Herkunft mit ihrer archaischen Kultur von Ehre und Schande.

Staatliches Recht verschwindet langsam aber unaufhörlich und wird durch das Recht der Straße, der Sippe, des Clans, der Religionsgemeinschaft ersetzt. Die Institutionen des Leviathan verlieren mehr und mehr ihre Bedeutung und können dem Einzelnen keinen Schutz mehr vor der Gewalt des Behemoth gewähren.

Der Staat und seine Organe, Polizei und Militär, stehen ständig unter Generalverdacht und finden keine Legitimation mehr für eine konsequente Haltung, die der eigenen Selbstbehauptung und der Wahrnehmung der nationalen Interessen seiner Bürger dient. So schwindet bei Vielen das Vertrauen in den Rechtsstaat, dessen implizite Grundlagen, insbesondere der Verzicht auf eine gewaltförmige Durchsetzung eigener Interessen, Voraussetzung für sein Funktionieren war.

Mit der Masseneinwanderung junger Männer aus den zerfallenden arabischen und afrikanischen Staaten, in denen Korruption, Gewalt, die Verachtung gegenüber Frauen oder Ungläubigen und das Versagen staatlicher Institutionen der Normalfall sind, kehren Formen der Auseinandersetzungen nach Deutschland zurück die längst als überwunden galten. Sie haben sich aber in den Parallel-, besser: Gegengesellschaften muslimischer Einwanderer der westeuropäischen Länder bereits vor längerem etabliert, ohne dass darauf eine entsprechende staatliche Reaktion erfolgte. Es zeigt sich, wie Siegfried Kohlhammer in einem Aufsatz zu „Kulturellen Grundlagen des wirtschaftlichen Erfolgs“ anmerkt, hier insgesamt ein allgemeines Problem für die Integration tribalistischer Gemeinschaften in bestehende Wohlfahrtsgesellschaften:

„Das Wohl der Familie und der Nutzen für die Familie sind die obersten Werte, denen sich alle anderen gesellschaftlichen Werte, Gesetze und Regeln unterzuordnen haben. Das fördert Nepotismus, Korruption und generell die Missachtung der meritokratischen Prinzipien und der egalitären Gesetze, wie sie die Mehrheitsgesellschaft vertritt. Die Gesetze und die Polizei des Aufnahmelandes werden nicht als gemeinsamer Schutz aller gesehen, sondern als Eingriffe und Übergriffe von außen.“

III.

Es ist wohl keine gewagte Prognose – und bereits tägliche Realität – dass in deutschen und westeuropäischen Städten in Zukunft gewalttätige Formen der „Konfliktlösung“ immer öfter der Fall sein werden, in denen tribalistische Gemeinschaften und skrupellose Individuen den „letzten Menschen“ (Nietzsche – Foto rechts), durchgegendert und diversitysensibel, überlegen sind, da sie sich nicht an die Spielregeln demokratischer Übereinkunft halten. Der noch existierende Rest-Leviathan sieht sich zeitgleich nicht mehr in der Lage, seine Macht auszuüben, da seine repressiven Mittel und Instrumente in der Sicht eines vorherrschenden moralischen Universalismus prinzipiell als illegitim gelten.

Ein Staat, der wie in den letzten Jahren deutlich zu sehen, immer öfter auf die Verfolgung und Sanktionierung von Verbrechen verzichtet, macht die Opfer der Verbrechen unfrei in einem existenziellen Sinne. Denn der Stärkere besetzt nun Räume, in denen der Schwache keinen Schutz mehr durch das staatliche Gewaltmonopol erfährt.

Der Leviathan ist im wahrsten Sinne des Wortes zahnlos geworden, obwohl er symbolisch immer noch als der Hauptfeind vorgeführt wird, eine der vielen Verirrungen der politischen Linken, die mit ihrer Politik der Grenzenlosigkeit maßgeblich zur Rückkehr des Behemoth beigetragen haben und den Feind immer noch bei ihresgleichen suchen, was zugegebenermaßen auch wesentlich ungefährlicher ist.

Die Ordnung des nationalstaatlich organisierten Leviathans verwandelt sich, anders als von seinen Kritikern vorhergesagt und intendiert, aktuell in die multikulturell-globalisierte Welt des Behemoth. Es droht nicht nur eine „Retribalisierung“ der westlichen Gesellschaften, die in mehr und mehr segmentierte Gemeinschaften zerfallen und bereits innerhalb der autochthonen Bevölkerung in unversöhnliche Lager gespalten sind, sondern auch ein Rückfall in Verhältnisse, die bis vor kurzem nur als historische Kuriositäten oder mit weitem Abstand betrachtet wurden.

Die Vorteile für diejenigen, die sich in ethnischen, religiösen, tribalen oder auch kriminellen Gruppen organisieren und den atomisierten Einzelnen einer säkularen und befriedeten Gesellschaft gegenüberstehen, sind nicht von der Hand zu weisen. Das aufgeklärte und weltoffene Individuum identifiziert dennoch unbeirrt den Staat (Polizei, Militär, Justiz etc.) als Wurzel aller Übel und Hort des Bösen. Eine Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen verspricht in dieser Sichtweise nur die Abschaffung und Zerstörung aller Ordnungselemente.

Es wird aber in Zukunft nicht mehr der Staat der große Gegner unserer Freiheit sein, sondern die negative Fixierung auf ihn wird den Raum für die Durchsetzung des Behemoth mit seiner permanenten Existenz von Gewalt eröffnen. Wahrscheinlich wird das nicht sofort flächendeckend und unbegrenzt der Fall sein, aber niemand wird mehr sicher sein können, denn die Gewalt kann sich prinzipiell an jedem Ort und jederzeit manifestieren. Wie lange das beliebte Narrativ des „Einzelfalls“ hier noch die Realität zudecken kann muss offen bleiben.

Es wird aber wohl lange dauern, da seine Protagonisten mental nicht in der Lage sind einen elementaren Fehler zuzugeben, da ihr Weltbild dadurch als Ganzes zum Einsturz gebracht würde.

Im Buch Hiob heißt es in Bezug auf den Leviathan: „Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken.“ Heute muss sich faktisch niemand mehr vor ihm fürchten. Die Schwächung des Leviathans hat dazu geführt, dass die Voraussetzung für Freiheit, nämlich die Sicherheit vor der Gewalt des Einzelnen oder Gruppen, im Schwinden begriffen ist.

Rolf Peter Sieferles pessimistische Prognose aus dem Jahre 1994 könnte sich so in naher Zukunft bestätigen:

„Die Entwaffnung des Leviathan hat den Behemoth aufgerüstet, der darangeht, die Herrschaft zu übernehmen.“

*

Im Dezember diesen Jahres erscheint vom Autor: „Deutscher Herbst 2015. Essays zur Politik der Entgrenzung“, in: Edition Sonderwege, 2018

Von Alexander Meschnig zuletzt (gem. mit Parviz Amoghli): „Siegen oder vom Verlust der Selbstbehauptung.“ Die Werkreihe von TUMULT (Band 5), 2018

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PP-Redaktion
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