Donnerstag, 21. November 2024

Geschlechtseintrag: „Divers“ – ein Pyrrhussieg?

Das Bundeskabinett kann auch schnell sein – eine erstaunliche Erfahrung. Heute brachte es einen Gesetzentwurf auf den Weg, der im Geburtenregister eine dritte Option „divers“ ermöglicht. Ein Zwischenruf.

Etwa jedes Tausendste Kind wird mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen geboren. Grund dafür sind Variationen der Geschlechtschromosomen, Intersexualität genannt. Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Urteil eine gesetzliche Neuregelung bis Ende des Jahres verlangt.

Ich jedoch fürchte, man tut den betroffenen Menschen damit keinen Gefallen.

Und wie erwartet ist das Netz heute voll von witzigen Wortspielen, wie unser Titelbild von dem Blogger Frank Helbig bis hin zu abartigen Häßlichkeiten von Menschen, die ihren minderen Bildungsstand und ihre niedere Gesinnung an Menschen austoben, die sie als wohlfeile Opfer betrachten.

Eigentlich wollte ich zu dem Thema nichts schreiben, denn eigentlich fehlt mir die Kompetenz dazu. Aber die Lebensgeschichte einer früheren Freundin bringt mich dazu, es doch zu tun, in der Hoffnung ein wenig Empathie für intersexuelle Menschen wach zu rufen. Wir hatten uns zufällig über einen gemeinsamen Freund kennengelernt und fanden uns sympathisch, verbrachten Zeit miteinander. Als daraus Freundschaft wurde, offenbarte sie sich mir als Intersexuelle. Ihre Lebensgeschichte, die einzige intersexuelle Frau, die ich bewußt in meinem Leben kennen lernte, hat mich so berührt, dass ich bei diesem Thema nicht schweigen will, es nicht kann, weil ich bei dem ganzen Spott und Hass immer an diese Frau denken muss. Sie war groß, schlank, Typ „Gazelle“, lange braune Haare, große braune Augen, erfolgreiche Unternehmerin mit einer Softwarefirma. Ich wäre nie im Leben darauf gekommen, welche bittere Lebensgeschichte sich hinter ihrem stets lächelnden Gesicht verbarg.

Mooney andersherum

Sie lebte bis zu ihrem 38. Lebensjahr als Mann. Sie sagte mir, dass sich das immer komisch angefühlt hatte, ohne dass sie sich letztlich darüber im Klaren wurde, warum. Mit 38 war dann, wegen einer Entzündung im unteren Bauchbereich, eine Notoperation nötig. Und am nächsten Morgen stand der Operateur am Bett und teilte „ihm“ mit, dass man bei der OP eine rudimentäre Gebärmutter entdeckt hatte. Den Schock kann vermutlich niemand nachfühlen. Es folgten Gespräche mit den Eltern und es stellte sich heraus, dass bei der Geburt Intersexualität diagnostiziert wurde und sie einer barbarischen, über Jahrzehnte praktizierten Prozedur unterzogen wurde, der Zuweisung des sog. „Hebammengeschlechts“.

Dabei entscheiden Eltern zusammen mit der Hebamme bzw. dem Arzt, wenn eine Uneindeutigkeit vorliegt, welches Geschlecht das Kind bekommen soll. Dann wird äußerlich der chirurgische Eingriff vorgenommen und damit vermeintlich ein Geschlecht zugewiesen. Den Kindern wurde das meist verschwiegen. Analog zum Fall Mooney. Die Folgen waren oft entsetzlich. So auch in dem Fall meiner Freundin. Das Vertrauensverhältnis zu den Eltern war zerrüttet. Die Mutter verdrängte und rechtfertigte ihre damalige Entscheidung, in dem sie ihr Kind auch mit 38 noch in die damals zugewiesene Männerrolle zwingen wollte. Meine Freundin berichtete von einem langen, seelisch sehr schmerzvollen Selbstfindungsprozeß, von Versuchen den angerichteten Schaden wieder zu reparieren. Und vor allem von dem Drama mit knapp 40 das eigene Leben, das eigene Menschsein neu bewerten zu müssen.

Ich bin ja alles Andere als jung und man denkt, man hat das Leben gesehen, aber diese Lebensgeschichte ist vermutlich die Bedrückendste und die Berührendste, die ich in meinem Leben gehört habe.

Wenige reichen aus, um das Leben zur Hölle zu machen

Wir haben schon eine Weile keinen Kontakt mehr, aber an sie werde ich immer erinnert, wenn ich lesen muss, wie über Menschen wie sie hergezogen wird: „Perverse“, „psychisch Kranke“, „degeneriert“ und Ähnliches.

Wenn ich so etwas lese, bin ich meist versucht, die Betreffenden zu erinnern, dass Ihre Kinder oder Enkel die gleiche „Chance“ auf diese Genvariante haben, wie die Menschen über die sie gerade ihren Hass ausschütten. Im Regelfall lasse ich es aber, denn diese Menschen sind so eiskalt und dumm, dass schon alleine diese Überlegung eine intellektuelle Überforderung darstellen würde.

Meine Freundin war übrigens sehr bedacht darauf, es als Geheimnis zu bewahren – aus Furcht vor Stigmatisierung. Und sie hatte leider Recht. Die große Masse unserer Gesellschaft ist verständig, offen und nicht mehr in archaischem Denken befangen.
Aber schon ein paar Wenige reichen aus, um etwa in der Nachbarschaft, das Leben zur Hölle zu machen.

Auch deswegen glaube ich, dass nur Wenige diese Option wählen werden.

Das sind natürlich auch die Auswirkungen der Genderideologie, die Gegenreaktionen hervorruft. Und, das ist leider menschlich, diese Gegenreaktionen beinhalten eben auch Überreaktionen und Falschreaktionen oder einfach primitive Menschen.
Wer weiß schon, dass Intersexualität im Preussischen Landrecht 1794 schon ähnlich geregelt wurde, wie heute wieder? Dass das also nichts ist, das von Genderideologie erfunden wurde?

Ersten Theil. Erster Titel. Von Personen und deren Rechten überhaupt:
„§ 19. Wenn Zwitter geboren werden, so bestimmen die Eltern, zu welchem Geschlecht sie erzogen werden sollen.
§ 20. Jedoch steht einem solchen Menschen nach zurückgelegtem achtzehnten Jahr die Wahl frei, zu welchem Geschlecht er sich halten wolle.

Sind wir so weit wie Preussen im 18. Jahrhundert?

So sehr ich dafür bin, dass diese Schlächterei bei Geburt beendet wird, so unsicher bin ich mir, ob der Geschlechtseintrag „divers“ sinnvoll ist.
Dagegen steht, dass sich bei einer kleinen Minderheit von rund 100.000 Menschen schon zu Recht die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt. Zudem, so habe ich gelernt, dass sich die meisten Intersexuellen eindeutig als männlich oder weiblich zuordnen.
Sicher, wenn es um Menschenrechte geht, dann reden wir über sehr Grundsätzliches, und das muss unabhängig von der Anzahl der Betroffenen geschehen. Aber ist denn der Geschlechtseintrag „divers“ wirklich so viel wert?

Ich habe auch das Gefühl, wie mein Freund Frank Helbig, dass es sich um Kosmetik handelt.

Jetzt sind so unglaublich viele Menschen in dieses Land gekommen, die niemals Homosexualität oder Andersgeschlechtlichkeit akzeptieren werden. Mit keinem Gesetz der Welt. Und schon heute werden von dieser Kulturgruppe die Unverletzlichkeit der sexuellen Selbstbestimmung bei Frauen nicht nur ignoriert, sondern teilweise gewalttätig missachtet. Dasselbe bei Homosexuellen, Juden und so weiter und so weiter.

Und ihm möchte ich auch das Schlußwort überlassen, denn genau dieser Gedanke war auch mein erster Gedanke bei dem Thema:

Das Grundsätzliche wird wie immer vergessen und missachtet. Ich kann Toleranz nicht per Gesetz verordnen oder verlangen. Diese Gesellschaft schafft es ja nicht einmal mehr eine abweichende oder kritische Meinung zu tolerieren und ausgerechnet beim Dritten Geschlecht soll das funktionieren? Das Verhalten und die Anspruchshaltung aller hat soviel verbrannte Erde erzeugt, dass sich genau gar nichts ändern wird. Genau wie beim Mobbing, der sexuellen Belästigung…
Am Ende stehen die Betroffenen mit leeren Händen da, weil die Akzeptanz, die Bereitschaft und eben die Toleranz fehlt, sich den Opfern in den Betroffenen zuzuwenden.

 

Patrizia von Berlin
Patrizia von Berlinhttps://philosophia-perennis.com/
Für die Freiheit nicht lügen zu müssen. Eine Lebensweisheit, die ich vor vielen Jahrzehnten von Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) erhielt. Ich lernte, was das Wichtigste für ihn war, als er in den freien Westen ausgesiedelt wurde. Nicht Reisen, nicht die Genüsse der Welt. "Dass ich nicht mehr lügen muss", war seine Antwort.

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