Sonntag, 28. April 2024

Nichts ist unbequemer als die Freiheit. Aber auch nichts ist begehrenswerter.

Reiner Kunze, der uns diesen wunderbaren Satz geschenkt hat, wurde nachdem er im Westen ankam gefragt, was denn jetzt das Wichtigste für ihn sei.
Ein „Reprint“ aus unserem Archiv. Ich widme ihn Menschen, deren Meinungsfreiheit beschnitten wird.

„Dass ich nicht mehr lügen muss“, war die Antwort. Gefolgt von Geschichten über einen aushorchenden, alles unter Kontrolle bringenden Staat. Über Kinder, die man in der Schule über ihre Eltern ausfragte, über Menschen, die ihre Arbeit verloren, weil sie das Falsche sagten.

Reiner Kunze, Jahrgang 1933, aufgewachsen in zwei deutschen Diktaturen, war zum damaligen Zeitpunkt rund 50 Jahre, hatte 43 davon in unfreien Systemen zugebracht.
Und doch ist Freiheit für ihn zentral.

Diese Freiheit beschreibt schon fast zwei Jahrtausenden Tacitus mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung. Dass Könige gewählt werden, ihre Macht nicht ohne Schranken sei.

„Über geringere Sachen beraten die Fürsten, über wichtigere die Gesamtheit.“

Für den disziplingewohnten Römer auch ein Grund für Kritik, denn „ihre ungeregelte Freiheit hat das Missliche, dass sie nicht gleichzeitig und nicht nach Geheiß beisammen sind …“

Für Tacitus ist es auch erwähnenswert, dass die Versammlung das Gerichtsrecht ausübt, also Judikative und Legislative über den gewählten Anführern steht.

Diese Freiheit wurde erst zu Beginn des Reichs durch die Abschaffung der allgemeinen Heerespflicht abgeschafft. Im Verlauf von zwei Jahrhunderten überwanden die – über das Gewaltmonopol verfügenden – Adeligen die Freien. Weitab von schwärmerischer und unhistorischer Germanentümelei war dies für die damalige Zeit sehr bemerkenswert.

Diese Kultur kam mit den Sachsen auch nach England und im Artikel 39 der „Magna Carta“ wurde diese Freiheit zum ersten Mal in eine Form gegossen, die uns noch heute bekannt ist:

„Kein freier Mann soll verhaftet, gefangen gesetzt, seiner Güter beraubt, geächtet, verbannt oder sonst angegriffen werden; noch werden wir ihm anders etwas zufügen, oder ihn ins Gefängnis werfen lassen, als durch das gesetzliche Urteil von Seinesgleichen oder durch das Landesgesetz.“

Man kann zwischen dem Abschütteln der Unfreiheit durch die Demonstranten in Leipzig, Dresden und anderswo 1989/90 und dem Freiheitswillen, wie Tacitus ihn beschreibt, keine Verbindungslinie ziehen – man kann sie in nicht einmal gleichsetzend als Klammer nutzen, aber das gleiche Prinzip steht dahinter: Freiheit.

Man kann aber die Bedeutung des Wortes Freiheit für unsere Kultur erkennen. Freiheit der mittelalterlichen Städte, Befreiung der Bürger im 18. und 19. Jahrhundert von der adeligen Herrschaft zeugen vom langfristigen Ringen der Deutschen um Freiheit, gegen Unfreiheit.

Wie definiert unsere deutsche Kultur den Freiheitsbegriff?

Für Philosophia Perennis-Autor, dem Philosophen Jürgen Fritz so:

Freiheit ist als äußere Freiheit „die Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür“ (Kant) in Einheit mit der inneren Freiheit, diese aber ist nichts anderes als die Sittlichkeit. Freiheit ist somit kantianisch gedacht die Autonomie des Willens, der sich von seiner tierischen Bedingtheit befreit und sich über diese erhebt aus Einsicht in das allgemeine Sittengesetz.

Unser, uns selbst oft unbewusster Freiheitsbegriff wird umso deutlicher, wenn man sich ansieht, wie es um die Freiheit in anderen Ecken der Welt bestimmt war.

Im Osmanischen Reich sah man das Volk als Reâyâ, als Herde an und behandelte es auch so. Eine Kultur der Freiheit gab es nicht. Erst 1808 trafen die Landherren mit dem Sultan eine Vereinbarung, welche die Aufgabe seiner Verfügungsgewalt über ihr Leben und Eigentum zum Inhalt hatte. Die Vereinbarung wurde nie umgesetzt. Auch die folgenden Jahrzehnte zeigten, dass wenn es überhaupt bürgerliche Freiheitsbestrebungen gab, diese vom europäischen Teil des Reichs ausgingen.

Der Grundrechtekatalog der ersten Verfassung, die diesen Namen verdiente, orientierte sich dann auch am Westen, u.a. auch an Preußen.

Unser heutiger Nationalfeiertag ist also nicht nur ein guter Tag, um an die mutigen Menschen, insbesondere in Thüringen und Sachsen zu denken, die den Weg in die Freiheit und Einheit auf so vorbildliche, gewaltlose Weise erkämpft haben, sondern auch ein guter Tag, um über den Wert des Begriffes Freiheit für unsere deutsche Kultur nachzudenken.

♦ Wie begehrenswert ist für jeden von uns die Freiheit?

♦ Und wie viel Unbequemlichkeit sind wir bereit auf uns zu nehmen, diese Freiheit zu verteidigen?

♦ Gegen innere Bestrebungen des Machtmissbrauchs, der jeder Demokratie eigen ist, aber auch gegen Menschen, deren Kultur verständnislos oder sogar verachtend auf unsere Freiheit herabblickt?

Patrizia von Berlin
Patrizia von Berlinhttps://philosophia-perennis.com/
Für die Freiheit nicht lügen zu müssen. Eine Lebensweisheit, die ich vor vielen Jahrzehnten von Reiner Kunze (Die wunderbaren Jahre) erhielt. Ich lernte, was das Wichtigste für ihn war, als er in den freien Westen ausgesiedelt wurde. Nicht Reisen, nicht die Genüsse der Welt. "Dass ich nicht mehr lügen muss", war seine Antwort.

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