Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz
Heute auf den Tag genau ist es ein Jahr her, dass ein islamistischer Terrorist in Berlin zwölf Menschen brutal aus dem Leben riss. Die Angehörigen der Todesopfer, Personen, die bei dem Anschlag verletzt wurden und Nothelfer schrieben einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin Angela Merkel, in welchem sie zu einem vernichtenden Urteil für die Bundesregierung und deren Chefin kommen.
Es war an einem Montag, dem 19. Dezember 2016, da überfiel ein radikalmuslimischer Terrorist (Dschihadist) einen polnischen LKW-Fahrer. Er raubte das Fahrzeug, erschoss den Fahrer und steuerte den LKW in den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Sein Ziel: so viele Menschen wie möglich umbringen. Elf weitere Menschen kamen dabei ums Leben, wurden brutal ermordet, ja regelrecht umgesenst. Unter den Opfern waren Menschen aus Israel, Italien, Tschechien, der Ukraine und natürlich Deutschland. Mehr als 70 Personen wurden – teilweise sehr schwer – verletzt.
Fast ein Jahr ist seither vergangen. Die Angehörigen der zwölf Todesopfer, Personen, die bei dem Anschlag selbst verletzt wurden und Nothelfer schrieben nun gemeinsam einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin, den der Spiegel ausführlich dokumentiert. Hier einige Passagen daraus.
Alarmierende Fehlleistungen der Anti-Terror-Arbeit
In ihrem Brief beklagen die Verfasser vielfältige Missstände. Missstände zum einen die mangelhafte Anti-Terror-Arbeit in Deutschland betreffend als auch den Umgang mit den Opfern und Hinterbliebenen. In Deutschland mangele es an grundlegender Professionalität im Umgang mit dem Terrorismus, beklagen die Verfasser des Briefes. Durch die Arbeit von investigativen Journalisten sowie des Untersuchungsausschusses in NRW und des Sonderbeauftragten des Senats von Berlin, Bruno Jost, seien mittlerweile Fehlleistungen der Anti-Terror-Arbeit in Deutschland ans Licht gekommen, die als alarmierend eingestuft werden müssten.
„Der Terrorist, der den Anschlag am Breitscheidplatz verübt hat, ist unter vielen Migranten zu Beginn der Flüchtlingskrise nach Deutschland gekommen, hat vielfach Asyl beantragt, war als einer der Top-Gefährder bekannt und ist auch vor dem Anschlag bereits mehrfach straffällig geworden“heißt es in dem Brief. „Seine Fingerabdrücke zur elektronischen Identifizierung wurden – wie die der meisten Flüchtlinge – mehrfach gar nicht oder erst mit großer Verzögerung ausgewertet. Als Top-Gefährder in der Bundeshauptstadt wurde er nur gelegentlich und nur an Werktagen und nie nachts observiert, obwohl bekannt war, dass er gewerbsmäßigen Drogenhandel betrieb. Möglichkeiten zur Abschiebung wurden verpasst. Es herrschte ein Kompetenzchaos zwischen Landeskriminalämtern (LKAs) verschiedener Bundesländer, dem Bundeskriminalamt (BKA) und weiteren circa 50 Behörden, deren genaue Aufgaben kaum abgegrenzt werden können und die ihn betreffende Informationen nur äußerst mangelhaft austauschten.“
Das Versagen der Bundesregierung im Kampf gegen den Terror
Und dann machen die Verfasser der Bundeskanzlerin persönliche Vorwürfe. Der Anschlag am Breitscheidplatz sei auch eine tragische Folge der politischen Untätigkeit der von ihr geführten Bundesregierung. Wer wollte dem widersprechen? „In einer Zeit, in der die Bedrohung durch islamistische Gefährder deutlich zugenommen hat, haben Sie es versäumt, rechtzeitig den Ressourcenausbau und die Reformierung der wirren behördlichen Strukturen für die Bekämpfung dieser Gefahren voranzutreiben“, so die Angehörigen wörtlich.
„Wir fordern Sie dringend auf, die vorhandenen Defizite so schnell wie möglich zu beseitigen. Sie sind in der Verantwortung, die für die Bekämpfung des Terrors erforderlichen Ressourcen im Bund mit Priorität bereitzustellen. Aber auch die Länder müssen ihre Strukturen ausbauen und mit Ihnen gemeinsam an einer Entwirrung der behördlichen Strukturen arbeiten. Es darf künftig nicht mehr zu so gravierenden Problemen in der Koordination kommen. Gerade im Falle des Attentäters vom Breitscheidplatz sind diesbezüglich eklatante Missstände offenbar geworden, die so nicht weiter toleriert werden können.“
Sie werden ihrem Amt nicht gerecht, Frau Merkel
Sodann stellen die Hinterbliebenen fest, dass Merkel bis heute weder persönlich noch schriftlich kondoliert hat. Was für eine Ungeheuerlichkeit! Die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, die erste Dienerin des Staates, mithin des deutschen Volkes hält es nicht einmal für nötig, den Angehörigen von Opfern einer radikalen religiösen Gruppe, die uns den Krieg erklärt hat, zu kondolieren! Und dann kommen Sätze, die es in sich haben. Wörtlich heißt es weiter:
„Wir sind der Auffassung, dass Sie damit Ihrem Amt nicht gerecht werden. Der Anschlag galt nicht den unmittelbar betroffenen Opfern direkt, sondern der Bundesrepublik Deutschland. Es ist eine Frage des Respekts, des Anstands und eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dass Sie als Regierungschefin im Namen der Bundesregierung unseren Familien gegenüber den Verlust eines Familienangehörigen durch einen terroristischen Akt anerkennen.“
Merkel und Co. begehen schon mal Trauergottesdienst, während die Angehörigen noch gar nicht wissen, dass ihre Liebsten tot sind
Sodann wird geschildert, was sich unmittelbar nach der Akt des Terrors abgespielt hat. Bereits ein Tag nach dem Anschlag beging Merkel in der Gedächtniskirche einen Trauergottesdienst mit anderen Vertretern hoher politischer Ämter. Die Betroffenen aber wussten zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, dass ihre Liebsten tot sind. Denn das dem Bundesministerium des Innern, geführt von einem der engsten Merkelvertrauten Thomas de Maizière (CDU), nachgeordnete BKA hatte eine 72-stündige Informationssperre zum Verbleib der Opfer verhängt.
Merkel die Vertreter des Staates saßen also im Trauergottesdienst und die Hinterbliebenen suchten zur gleichen Zeit verzweifelt nach unseren Angehörigen, gingen von einem Krankenhaus zum anderen beziehungsweise riefen auf der Suche ihrer Liebsten eines nach dem anderen an. Vergeblich. – Was für eine Ungeheuerlichkeit, die wohl deutlich zeigt, wie diese CDU/CSU-SPD-Regierung das eigene Volk, dem zu dienen seine Pflicht ist, mit Füßen tritt (!).
Wenden Sie sich an die allgemeine Meldestelle für Vermisste, wenn Sie was wollen
Die Angehörigen schildern dann sehr eindrücklich, ja schon schockierend, wie mit ihnen umgegangen wurde. Sie mussten sich wie jeder andere auch an die „allgemeine Meldestelle für Vermisste“ der Berliner Polizei wenden. Sie erhielten keinerlei Auskünfte. Rückrufe wurde versprochen, die nicht erfolgten. Erst nach massiven Beschwerden wurden den Familien Beamte vom LKA Berlin als persönliche Ansprechpartner zugeordnet. Dies erst nach mehr als 36 Stunden nach dem Anschlag. Da jedoch weiterhin die Informationssperre des BKA bestand, konnten diese zugeordneten LKA-Beamten auch weiterhin keine Auskünfte erteilen. Die Menschen wussten noch immer nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist, ob diese noch leben oder nicht.
Auch in den folgenden Tagen und Wochen habe sich niemand von offizieller Seite gekümmert. Das erste offizielle Schreiben deutscher Behörden sei erst 22 Tage nach dem Anschlag von Bundesjustizminister Heiko Maas ergangen und das auch nur an einen Teil der Familienangehörigen. Maas habe dabei keinerlei Anstrengungen unternommen, auch nur alle Familienangehörigen ersten Grades zu erreichen. Er habe den Hinterbliebenen, die er so erreicht hatte, persönlich kondoliert, allerdings nicht im Namen der Bundesregierung. Sodann habe er sofort den Prozess der Antragstellung für Härteleistungen aus Mitteln des Deutschen Bundestages erläutert.
Nach drei Monaten wird ein spezieller Beauftragter ernannt, der teilweise Spendenorganisationen um Hilfe bitten muss
Erst 60 Tage nach dem brutalen Terrorakt hat der damalige Bundespräsident Joachim Gauck zu einem Zusammentreffen im Schloss Bellevue eingeladen und kondoliert. Nach drei Monaten ernannte die Bundesregierung dann Kurt Beck zum Beauftragten für die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlags, der sich für die Hinterbliebenen und die Verletzten des Anschlags einsetzte. Beck bemühe sich zwar redlich, sei jedoch nicht mit Ressourcen ausgestattet, effektiv helfen zu können. Er müsse teilweise sogar Spendenorganisationen um Hilfe bitten.
Viele der Hinterbliebenen stehen seit dem Anschlag vor ungelösten finanziellen Herausforderungen: „Wie sollen Alleinerziehende den Alltag mit ihren Kindern gestalten, wenn sie zu mehr als 100% arbeiten müssen, um den Verdienstausfall des verstorbenen Elternteils zu kompensieren? Wer kommt für dauerhafte psychische Schäden auf, die bis hin zur Berufsunfähigkeit führen?“, sind nur zwei von etlichen Fragen, denen sich die Hinterbliebenen und Opfer gegenüberstehen.
Die einfache Fortschreibung des Versagens der Bundesrepublik ist unverantwortlich
Der Brief endet mit den Worten: „Frau Bundeskanzlerin, leider ist zu befürchten, dass der Anschlag vom Breitscheidplatz nicht der letzte terroristische Anschlag in Deutschland gewesen sein wird … Es sollte alles dafür getan werden, künftige Anschläge zu verhindern und zumindest einen angemessenen Umgang mit Opfern und Hinterbliebenen … zu gewährleisten … Die einfache Fortschreibung des aktuellen Versagens der Bundesrepublik ist unverantwortlich.“
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Unser Tipp: Die aktuelle Ausgabe der „Jungen Freiheit“ enthält zahlreiche Beiträge zu dem sich jährenden Anschlagsdatum:
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Zum Autor: Jürgen Fritz studierte in Heidelberg Philosophie, Erziehungswissenschaft, Mathematik, Physik und Geschichte für das Lehramt. Nach dem zweiten Staatsexamen absolvierte er eine zusätzliche Ausbildung zum Financial Consultant unter anderem an der heutigen MLP Corporate University. Er arbeitete etliche Jahre als unabhängiger Finanzspezialist. Außerdem ist er seit Jahren als freier Autor tätig. 2007 erschien seine preisgekrönte philosophische Abhandlung „Das Kartenhaus der Erkenntnis – Warum wir Gründe brauchen und weshalb wir glauben müssen“ als Buch, 2012 in zweiter Auflage. Seit 2017 betreibt er schwerpunktmäßig seinen Blog JÜRGEN FRITZ.
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