Sonntag, 22. Dezember 2024

„Wir werden euch zeigen, dass wir uns nicht kaufen lassen!“

Ein Gastbeitrag von Josef Hueber

Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt!
(Friedrich v. Schiller)

Ein Beschwichtiger ist, wer ein Krokodil füttert,
in der Hoffnung, dass es ihn zuletzt frisst.
(W. Churchill)

Große Literatur, das ist eine grundlegende Banalität für Erstsemester im literarischen Studium, zeichnet sich darin aus, dass sie die unvermeidlich zunehmende zeitliche Distanz zu ihren Lesern nicht spüren lässt. Sie hat kein Verfallsdatum, ist zeitunabhängig aktuell, selbst wenn sie historisch eingekleidet ist. Gleichzeitig tendiert sie zum Parabolischen, verbirgt also hinter ihren konkreten Inhalten Gleichnishaftes, das entschlüsselt werden will.

Diese ästhetische Eignung für eine Verschlüsselung qualifiziert sie zu einer schwer nachweisbaren Kritik politischer Zustände, denn es besteht die Chance, dass die Zensoren und Wahrheitsbeansprucher nicht freiheitlich gesinnter Regierungen das politische Dynamit der Botschaft nicht erkennen.

Graham Greenes Kurzgeschichte The Destructors (Die Zerstörer) aus den 50er Jahren lässt sich als politische Parabel lesen, wenn sie auch nicht für heutige Leser geschrieben wurde.

In einem Land, in dem viele schon länger dort Lebende die Erfahrung machen, dass politisch inkorrekte Äußerungen, öffentlich geäußert, stigmatisiert, gelöscht oder juristisch bis zur Existenzvernichtung verfolgt werden, in solch einem Land kann die Kurzgeschichte als aktuelle gesellschaftspolitische Bestandsaufnahme der Jetztzeit gelesen werden.

England, kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Eine Gang von neun Jugendlichen, der jüngste von ihnen neun Jahre alt, beschließen eines Tages eine außerordentliche Aktion. Ein zwischen zwei Bombenkratern wie durch ein Wunder nicht völlig zerstörtes historisches Haus, sehr wahrscheinlich von dem Stararchitekten Christopher Wren gebaut, wird von einem alten Mann, „Old Misery“, bewohnt. Das Haus ist freistehend, wurde behelfsmäßig bewohnbar gemacht, die unmittelbare Umgebung ist zu einem behelfsmäßigen Parkplatz hergerichtet. Am Ende von Old Miserys Grundstück befindet sich ein Plumpsklo in einem kleinem Holzverschlag, das die Gangmitglieder nach Bedarf einfach mitbenutzen.

Der alte Mann spürt intuitiv die Gefahr, die von den Jugendlichen ausgeht und versucht deswegen, sie mit kleinen Geschenken zu beschwichtigen. Die Bedroher erkennen seine Absicht. „Es ist Bestechung“, sagen sie. „Er will, dass wir nicht mehr mit dem Ball gegen seine Hauswand spielen.“

Sie lassen sich nicht beeindrucken und konstatieren: „Wir werden ihm zeigen, dass wir uns nicht kaufen lassen.“ Das tun sie auch und verbringen einen ganzen Morgen damit, mit einem Ball gegen seine Hauswand zu schießen. Der alte Mann lässt sich nicht blicken und zeigt keine Reaktion.

Am nächsten Tag läutet einer der Jungen an der Tür von und Old Miserys Haus und teilt ihm mit, dass er das Haus ansehen möchte. Old Misery lässt ihn herein, und so nimmt er das Gebäude in Augenschein. Er berichtet der Gang von Einzelheiten der historisch kunstvollen Architektur der Innenräume. Nachdem sie erfahren, dass Old Misery zwei Tage verreisen wird, fällt der Entschluss, nicht etwa einzubrechen und zu stehlen, sondern das Haus platt zu machen. Ein detaillierter Plan des Anführers, der Reihenfolge und Art der Abrissaktionen im Inneren des Gebäudes festlegt, wird punktgenau ausgeführt. Von außen ist nichts wahrzunehmen.

„Wir machen das von innen. Wie Würmer in einem Apfel. Wenn dann innen alles zusammengefallen ist, bringen wir abschließend die Wände zum Einsturz.“

Als die Demolierung des Hausinneren abgeschlossen ist, taucht Old Misery, offensichtlich früher als vermutet, auf. Und dafür haben die Jungen einen Plan B. Einer von ihnen geht in das Klohäuschen und ruft dort um Hilfe. Angeblich, so sagt man Old Misery, könne er dort nicht mehr heraus und drohe zu ersticken. Der alte Mann fällt auf die List herein. Er will den Jungen befreien und wird dabei selbst von der Gang in das Bretterklo eingesperrt.

Auf sein Bitten, ihn wieder herauszulassen, reagieren die Täter mit der Zusage, ihm nichts zu tun, wenn er sich ruhig verhalte. In seiner aussichtslosen Situation fällt ihm ein, dass auf dem Parkplatz lediglich ein Lastwagen steht, dessen Fahrer an diesem Tag, einem Feiertag, sicher nicht herkommen und ihm vielleicht helfen würde. Am Abend reicht man dem Entführten für die Nacht eine Decke und eine Wurst als Nahrung.

Tags darauf kommt der Lastwagenfahrer zu früher Stunde und versucht loszufahren. Er spürt Widerstand und bemerkt, wie, unter lautem Getöse, Dachziegel in seine Richtung fliegen. Als er aussteigt, wird ihm bewusst, dass man den Stützpfosten einer der Wände des alten Hauses an seinen LKW gebunden und so das vorher schon entkernte Gebäude zum Einsturz gebracht hat. Old Misery ruft aus dem Klohäuschen um Hilfe, der LKW Fahrer befreit ihn. Wieder in Freiheit jammert er:

„Wo ist mein Haus?“ Der LKW Fahrer kann beim Anblick des Desasters sein Lachen nicht zurückhalten und meint gegenüber dem Erschütterten : „Sie müssen zugeben, dass das lustig ist.“

 

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Bestseller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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