Das Vorgehen der Türkei hat seine Logik. Allerdings eine sehr gefährliche. Ein Gastbeitrag von Severin Möres
Die Eskalation der türkischen Regierung kommt dem Muster klassischer Kriegsursache immer näher. Eine Kriegsursache, die heute Dank der Atomwaffen nicht mehr gilt. Gäbe es nur konventionelle Waffen, stünden wir höchst wahrscheinlich mit der Türkei im Krieg. Warum?
Aus der Perspektive Ankaras bilden die Türken im Ausland Exklaven* ohne entsprechende Territorien. Aber eben Exklaven. Das ist der legitimierende Grund des Wahlkampfes wie in der Türkei, nur eben bei türkischen Staatsangehörigen außerhalb des Landes in anderen souveränen Staaten.
Der entscheidende Punkt: die türkische Regierung verletzt deutlich die internationalen Reglements. Man stelle sich vor: Außenminister Gabriel reist z.B. nach Brüssel, alleine nur wegen des Wahlkampfes bei den dort lebenden Deutschen! Gigantische Proteste – zu Recht.
Außerdem hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Gastredner kein Recht auf Politischen Wahlkampf in einem anderen Land geltend machen dürfen.
Das gilt auch für türkische Gastredner. Türkische Landsleute in anderen Staaten wie eine Exklave ohne Territorium zu betrachten, erweist sich als Präzedenzfall von höchster Brisanz. Das heißt: diese Türkischen Landsleute im fremden Staat werden von Ankara ermutigt oder stillschweigend sogar aufgefordert, die Interessen der türkischen regierung bei uns durchzusetzen.
Wenn die türkischen Regierungsmitglieder ihre Landsleute in anderen Staaten als Exklave ohne Territorium konzipieren, fühlen sie sich im Recht, sich dorthin auch ohne Erlaubnis des jeweiligen Staates zwecks Wahlkampf zu begeben. Wenn dabei die betroffenen Staaten Einspruch dagegen erheben, verletzen sie, in der Sichtweise der Regierung in Ankara, die elementaren Rechte ihrer Landsleute. Wer elementare Rechte verletzt, ist ein Faschist oder ein Nachfolger der Nazis.
Es geht in Ankara auch um die Pflicht des eigenen Staates für ihre Bürger im Ausland. Diese sind faktisch für Ankara türkischer Staat in einem fremden Staat. Somit Exklave.
Nur so kann man die Haltung Erdogans in seinem „legitimen Handeln“ verstehen. Seine Landsleute im fremden Staat sind so zu sehen, als lebten sie in der Türkei. Der Gaststaat hat sich dementsprechend nicht einzumischen. Wenn er es dennoch tut, handelt er für Ankara automatisch faschistisch.
Erdogan scheint hier vom Fall der Krim inspiriert zu sein. Die dortige russische Bevölkerung, zu über 90% gegen eine ukrainische Minderheit, hat Putin dazu bewogen, neben anderen Gründen, die Krim für Russisch zu erklären.
Das langfristige Konzept Erdogans ist bekannt: Großosmanisches Reich über das Exklavenprinzip, wobei die türkische (muslimische) Bevölkerung allmählich die Mehrheit bildet.
Das ist der eigentliche Grund der Abwehr der niederländischen Regierung um Mark Rutte gegen das Agieren der türkischen Regierung im fremden Land, fernab von diplomatischen Gepflogenheiten. Die Lösung kann nur im internationalen (Völker) Recht gefunden werden.
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*Wikipedia: „Eine Exklave (von französisch exclavé ‚ausgeschlossen‘ aus lateinisch ex ‚aus‘ und clavis, ‚der Schlüssel‘) ist ein Teil – auch Teile – eines politischen Gebietes (Mutterland), das vom Rest des Gebietes durch Grenzen räumlich abgetrennt ist und ausschließlich über fremdes Gebiet zu erreichen ist.“