Gastbeitrag von Philippe Olivier
Am sinnbildlichen 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, tötete in Nizza ein deprimierter, vermutlich bisexueller, fanatischer Tunesier 84 Unschuldige und verwundete etwa 50 Personen, die auf der berühmten Promenade des Anglais flanierten und ihr Leben in vollen Zügen – nach einem prächtigen Feuerwerk – genossen. Seit den blutigen Untaten des Fanatikers Merah im Jahr 2012, sowie den Terroranschlägen vom Januar und November 2015 leidet und weint Frankreich.
Bis dahin kritisierte ein Teil der ehemaligen grande nation die sogenannte Härte der israelischen Regierung gegenüber den palästinensischen Attentätern heftig. Nun erlebt das vom schwachen und ständig unentschlossenen François Hollande “regierte” (?) Land eine konkrete und extreme fürchterliche Konfrontation mit dem Terrorismus.
Seit den 1860er Jahren waren Nizza und die Riviera ein ebenso teures wie angenehmes und sonniges Pflaster, ein Emblem des art de vivre nach französischer Art, ein Magnet des internationalen Tourismus’. Jetzt ist die Bevölkerung dieser Stadt wütend auf den religiösen Islam und seine Usancen, die sie seit langer Zeit schon abgelehnet hat. Am 18. Juli haben die Nizzaer eine Art Scheiterhaufen am Ort, wo der radikalisierte Bluthund von der Polizei getötet wurde, installiert.
Die ostsüdlichen Hitzköpfe echauffieren sich. In den Kneipen werden Marine Le Pen, Renaud Camus und seine große Umvolkungs-Theorie in einer ständigen Litanei beim Apéro mit Pastis und marinierten Oliven angerufen.
Diese Mantras sind besonders ominös.
In dem 176 Kilometern von Nizza entfernten Aix-en-Provence wurde in diesen letzten Tagen bei den seit 1947 bestehenden und schicken Opernfestspielen ein Musiktheaterwerk eines aus dem Gaza-Streifen stammenden Komponisten namens Moneim Adwan (46) uraufgeführt. Das Stück wurde auf arabisch gesungen. Obwohl die Aufführungen von « Kalila et Dimna » reibungslos und erfolgreich über die Bühne gingen, gab es vor einem Jahr in der französischen E-Musikbranche eine heftige Protestbewegung gegen Adwan und sein Werk – just zu dem Zeitpunkt, als angekündigt wurde, dass die Uraufführung « Kalila et Dimna » für Juli 2016 geplant sei.
Damals behaupteten etliche respektierte Insider, dass es ein Sakrileg sei, in arabischer Sprache auf einer französischen Opernbühne zu singen und dass das von Adwan gewählte Thema – eine Geschichte aus der Tausendundeine-Nacht-Sammlung – zu einem französischen Publikum nicht passe.
So benahm sich und benimmt sich noch immer ein Teil der guten Gesellschaft vis-à-vis einer außereuropäischen Kultur. Leider ist die heutige Zwietracht unter den Franzosen so weit fortgeschritten, dass sich ihre Heimat nun am Rand eines Bürgerkrieges befindet. So lautet die auf einer großen Erfahrung fußende These von Patrick Calvar, dem Chef des französischen Innennachrichtendienstes.
Viele Franzosen verachten nicht nur Leute mit Migrationshintergrund. Sie hassen auch gewisse Mitbürger, weil sie « anders » sind. Die Demonstrationen gegen die « Ehe für alle » haben seit 2013 diese These anschaulich belegt.
Während meiner Karriere im hohen öffentlichen Amt gehörte ich als Kulturreferent der Kanzlei an, und zwar dem « private office » des Oberbürgermeisters einer französischen Großstadt. In dieser Kanzlei war eine Kollegin äußerst homophob. Sie verleumdete dauernd ihre zwei schwulen Amtskollegen, Jean Martin* und mich. So versuchte diese hinterhältige Dame uns u.a. den Zugang der Teeküche zu verweigern. Sie war überzeugt, dass wir das ganze Team mit HIV infizieren würden, wenn wir die Teekannen und die Tassen anfassten. Damals schrieb man das Jahr 2007 !
Im heutigen Frankreich herrscht der Neid: die einen können die anderen nicht ausstehen, weil sie glücklicher, schöner, reicher, intelligenter, produktiver und erfolgreicher sind. In den Schulen, Gymnasien und Universitäten, in den politischen Parteien, in den Büros, in den Unternehmen und in den Familien obsiegt diese moderige Einstellung über alles. Wie es im Berliner « Tagesspiegel » vom 17. Juli unter der Überschrift « Was wird aus meinem Frankreich? » der ehrwürdige Nestor der deutsch-französischen Freundschaft Alfred Grosser schreibt: „Wir sind eigentlich kein Rechtsstaat mehr und vielleicht keine nationale Gemeinschaft. […] Der Begriff des Allgemeinwohls ist abhanden gekommen.“ Und er hat recht: Zynismus, Selbsthass und Verachtung herrschen von Marseille bis Lille und von Brest bis Strasbourg.
Frankreich ist zu einem Tränenplalast geworden – und in diesem Tränenpalast duldete vor zwei Monaten die von Manuel Valls geleitete Regierung, dass das 33. Jahrestreffen der in Frankreich ansässigen Moslems besonders berüchtigte Prediger einlud. Vor einem breiten Publikum verlangten und in der Öffentlichkeit forderten diese Unglückspropheten die gewalttätige Tötung aller Opponenten der Scharia, der Abtrünnigen und der Homosexuellen.
Und da auf französischem Boden! Deswegen wurde in letzter Zeit die Besorgnis erregende Fahrlässigkeit der Regierung mit Recht kritisiert. In einer am 18. Juli in « Le Figaro » veröffentlichten Umfrage behaupten 67% der befragten Bürger, dass Hollande, Valls und der Innenminister Bernard Cazeneuve (53) nicht fähig sind, den islamischen Terrorismus zu bekämpfen und zu vernichten. Kürzlich bezeichnete der äußerst brillante Islam-Spezialist Gilles Kepel (61), der u.a. an der New Yorker Columbia University lehrt, die derzeitige französische Regierung als « eine Bande Nieten » und das französische Volk als « ein Haufen von passiven Dummerchen ».
Ein Teil der Mittelschicht plant bereits die Hauptstadt vorsorglich zu verlassen und sich auf dem Land zu installieren, um damit einem Terroranschlag zu entrinnen. So hat sich meine Cousine Brigitte entschieden, mit Mann und Kater aus dem Pariser 19. Bezirk zu fliehen und in die Alpen umzuziehen. Da Brigitte und Arthur Rentner sind, ist dieser Plan relativ einfach umzusetzen! Hinzukommt noch eine andere besorgniserregende Entwicklung : In den Cafés prahlen gewisse Front National-Anhänger damit, dass sie in diesen nächsten Zeiten Moscheen mit Handgranaten und MGs stürmen werden. Einer mir persönlich bekannten Rechtsanwältin haben sie vehement vorgeworfen, Kundin eines Installateurs algerischer Herkunft zu sein. Auf der anderen Seite machen die Aktivisten der französischen Antifa-Bewegung keinen Hehl daraus, dass sie bereit sind, Front National-Mitglieder hinzurichten. Die Banlieues werden zu Waffenlagern der Islamisten. Seit dem 19. Juli herrschen im nördlich von Paris gelegten Département Val-d’Oise Tag- und Nacht Krawalle. Ca. 20 Autos und ein Rathaus wurden von Jugendlichen abgebrannt. Sie werfen der Polizei vor, einen 24Jährigen afrikanischer Herkunft getötet zu haben.
Die aktuellen, besonders beängstigenden Umstände haben auch die Regierung und ihren Innenminister Cazeneuve zur Fortsetzung restriktiver Maßnahmen bestärkt: Der Ausnahmezustand wird bis Januar 2017 verlängert. Kürzlich hat Cazeneuve die « französischen Patrioten » aufgefordert, sich für die Armeereserve freiwillig zu melden. Obwohl die Reserve eine alte Institution ist, existiert die Wehrpflicht in Frankreich seit 1997 nicht mehr. Damals hatte das damalige Staatsoberhaupt Jacques Chirac sie aufgehoben. In den kommenden Wochen werden diese Freiwilligen sich mit Schießübungen beschäftigen.
So wird der Sommer 2016 in Frankreich keine Entspannung bringen. In Paris haben die Behörden verschiedene Kulturveranstaltungen vorsorglich annulliert. Die in Nizza für den 20. August angekündigte Pink Parade wird nicht stattfinden.
Zum Autor: Philippe Olivier (62) ist einer der besten französischen Kenner der deutschen Kulturszene und Autor von 30 Büchern.
Der Wahl-Berliner ist u. a. Präsident von „Orfeo 33 e. V.“, einem Verein der sich mit den durch die Nationalsozialisten verfolgten Komponisten und Interpreten beschäftigt.
Foto: „Scheiterhaufen“ auf der Prom in Nizza an der Stelle, wo der tote Attentäter lag (c) Screenshot youtube
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