Freitag, 29. März 2024

Wie bei Anne Will Antisemitismus relativiert wurde

Die Sendung von „Anne Will“ gestern Abend in der ARD beherrscht heute den medialen Blätterwald. Nicht zu Unrecht, denn es ging um ein mehr als brisantes Thema: „Wie antisemitisch ist Deutschland heute?“ Ein Gastbeitrag von Sebastian Rollmann

Der Tenor der Sendung war: Ja, es gibt ihn (immer noch), den Antisemitismus in Deutschland. Darauf wollen wir hier gar nicht näher eingehen – Antisemitismus gibt es in vielerlei Ausprägungen in allen europäischen Gesellschaften, auch in den USA. Das musste selbst der Experte Schoeps einräumen, der Deutschland beim Antisemitismus auf einem Mittelplatz im europäischen Vergleich sieht. Dass das natürlich für Deutschland ein Armutszeugnis angesichts der Geschichte darstellt, d’accord.

Bemerkenswert für mich war der Beitrag von Wenzel Michalski, Direktor Human Rights Watch Deutschland. Sein Sohn wurde in der Schule von türkischen und arabischen Mitschülern beleidigt, geschlagen und bei einer „Scheinhinrichtung“ gewürgt. Nicht nur für ihn ein Skandal:

Die Lehrer hätten sich nicht gekümmert, ja sogar Verständnis für die Täter gezeigt, wegen „ihrer Erfahrungen“ würde es Muslime halt „aggressiv machen, wenn ein Jude in der Klasse sei.“

Anne Will konterte direkt: Da könne und wolle sie sich nicht einmischen, die Schule habe einen Kommentar verweigert, ohne deren Einlassung wollte sie aber weder dafür noch dagegen sprechen. Aber Michalski habe ja gerade auch gesagt, dass die Klassenlehrerin sich für seinen Sohn eingesetzt habe.

Michalski erzählt, dass sich nach dem Vorfall etliche Eltern bei ihm gemeldet hätten. Es sei kein Einzelfall, es gebe mittlerweile bundesweit eine Vielzahl solcher Fälle.

Nach einem verwässernden Kommentar der Kulturstaats-Ministerin Monika Grütters (CDU) – „Wir schämen uns!“ – „Und überhaupt sind alles die sozialen Netzwerke schuld!“ – „Jetzt gibt es bald einen Antisemitismusbeauftragten.“ – kommt der Einsatz des „trojanischen Pferdes des Islamismus in der SPD“ (Hamed Abdel Samad), Sawsan Chebli.

„Da ja hier auch von Muslimen und Migranten gesprochen wird, muss man sich mal eine Zahl vor Augen führen …. (Pause) … Das an der Schule ihres Sohnes ist natürlich tragisch und deswegen ist es trotzdem falsch, zu sagen: alle Lehrer haben versagt. Das ist nicht so. Ich habe sehr viele Freundinnen, die Lehrer sind, die wahnsinnig viel Kraft und Energie reinstecken und und ihren Bildungsauftrag und quasi auch ihrem Erziehungsauftrag nachkommen. Also das ist das Eine, und das ist glaube ich auch wichtig, zu sagen: 90 % der antisemitischen Straftaten werden von rechts begangen und nicht von Muslimen und nicht von Migranten….“

„Richtig, richtig“-Zwischenrufe der übrigen Gäste …

Chebli weiter: „ Das muss man ganz klar sagen.“

Anne Will: „Das ist sehr wichtig, dass Sie das hier sagen!“

Chebli weiter:

„Und und und ein Zweites: die Bereitschaft von Muslimen und Migranten, auf jüdische Organisationen und Initiativen zuzugehen, war aus meiner Sicht noch nie so groß wie dieser Tage. Weil sie natürlich auch sehen, dass da, wo Antisemitismus herrscht, ganz häufig auch Islamfeindlichkeit und Muslimhass da ist und andersrum genauso. Also es gibt die Bereitschaft und das stimmt mich positiv, ohne dass ich irgendetwas klein reden möchte, an Problemen verschweigen möchte, tue ich nicht, da ich ja oft darüber rede, aber sie haben den Hinweis gemacht, wir haben Rassismus in der Gesellschaft, der gerade auch Auswüchse erreicht mit einer Partei im Bundestag, eine große Gefahr für unsere Demokratie und auch da ist anzusetzen…“

„Richtig, richtig“-Rufe, auch von der Holocaust-Überlebenden.

Falsch: unaufgeklärte antisemitische Straftaten (90%+) werden automatisch als „rechtsextrem“ eingestuft – oft sogar bei gegenteiliger Beweislage. Sowohl solche Statistiken, als auch das berufen darauf, verharmlosen das dringende Problem des islamisch geprägten Antisemitismus https://t.co/jUejFpMaFg

— Aras-Nathan (@Aras_Nathan) January 29, 2018

Damit hat Frau Chebli wieder ihren Auftrag erfüllt, Nebelkerzen gesetzt und die notwendige Diskussion über importierten Antisemitismus – auch mit Hilfe der Moderatorin und Kulturstaatssekretärin – beendet. 

Während der Abspann läuft und die Kamera über die Runde streift, sieht man hitzig Herrn Michalski auf Chebli einreden, die sich ebenso hitzig zu verteidigen scheint. Wenn wohl auch die eingeladenen Gäste der Ansicht sind, nur die Deutschen seien Antisemiten und Fremdenhasser, so scheint der Opfervater da doch noch etwas andere Fakten zu sehen.

Cheblis Studie ist umstritten. Vielfach wird auch kolportiert, nicht geklärte antisemitische Übergriffe würden einfach dem rechten Spektrum zugeordnet. Eine Studie der Frankfurt University of Applied Sciences über „Jüdische Perspektiven in Deutschland“ kommt zu einem ganz anderen Ergebnis:

82% der tätlichen und 63% der verbalen Übergriffe gegen Juden wurden 2016 von Muslimen verübt.

Heute Morgen berichten fast alle Leitmedien über den gestern Abend bei „Anne Will“ festgestellten „gewachsenen Antisemitismus“ in Deutschland.

Der „Focus“ unterlässt es zu erwähnen, dass der Sohn von Michalski von arabischen und türkischen Mitschülern drangsaliert wurde und spricht von „gemobbt“.

„T-Online“ streift das kurz und übernimmt als Fakt direkt den Satz von Chebli, dass ja 90% der antisemitischen Taten von „Rechten“ ausgingen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ unterschlägt diese wichtige Passage komplett und zitiert, Michalski habe die AfD kritisiert (?).

„n-tv“ zitiert korrekt, nennt auch die muslimische Thematik „unbequem“, die „etwas zu kurz gekommen sei“.

„BILD“ dreht mal eben Cheblis Satz ins Groteske um: „Hoffnungsvollster Satz des Abends von Saswan Chebli: „Die Bereitschaft jüdischer Organisationen, auf Juden zuzugehen, war nie so hoch wie in diesen Tagen.“ Wäre schön, wenn diese Hoffnung nicht trügt.“

Wäre schön, wenn BILD mal korrekt zitieren lernt, es waren bei Chebli nämlich (natürlich) keine Organisationen und erst recht keine jüdischen, sondern gleich alle „Muslime und Migranten“ – what else? Mittlerweile wurde der Beitrag aktualisiert.

Lediglich die FAZ berichtet objektiv und beklagt, dass eine Diskussion über den Antisemitismus der Einwanderer nicht stattfand und Chebli das zu sehr relativiert habe.

Auch der SPIEGEL berichtet ungewohnt differenziert. Er nennt Cheblis Statistik „umstritten“, zitiert Michalski im Detail und beklagt neben der abgewürgten Diskussion über Migranten-Antisemitismus auch die Nicht-Erwähnung des „linken Antisemitismus“.

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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