Dienstag, 30. Dezember 2025

Der Untergang von CDU und SPD in symbiotischer Umklammerung

Die viel beschworene Existenzkrise der Union ist kein singuläres Parteiproblem. Sie ist Teil eines umfassenderen Verfalls, der die beiden ehemaligen Volksparteien gleichermaßen erfasst hat. Gastbeitrag von Frank-Christian Hansel.

CDU und SPD unterscheiden sich heute weniger durch Inhalte als durch Traditionen, weniger durch Weltanschauung als durch historische Erinnerungen. In ihrer gegenwärtigen Gestalt bilden sie keine politischen Gegensätze mehr, sondern zwei Varianten desselben erschöpften Parteityps: organisatorisch stabil, gesellschaftlich entkoppelt, geistig ausgezehrt.

Was sich politisch als große Koalition, schwarz-rote Partnerschaft oder staatspolitische Verantwortung ausgibt, ist in Wahrheit eine wechselseitige Sicherungsarchitektur. CDU und SPD ketten sich aneinander, nicht um zu gestalten, sondern um zu überleben. Ihre Koalitionen sind keine Zweckbündnisse zur Durchsetzung politischer Projekte, sondern defensive Zusammenschlüsse zweier erodierender Apparate, die einander gegen weiteren Bedeutungsverlust abschirmen.

Beide Parteien haben ihren jeweiligen historischen Auftrag verloren. Die CDU hat ihre Rolle als ordnende Kraft des Bürgertums aufgegeben und sich in eine Verwaltungspartei ohne Ordnungsanspruch verwandelt. Die SPD wiederum hat den Anspruch, politische Repräsentantin der arbeitenden Gesellschaft zu sein, vollständig eingebüßt. Arbeit, Leistung, Aufstieg, Solidarität – all jene Kategorien, aus denen sie einst ihre Legitimation bezog, sind entweder moralisch entkernt oder durch identitätspolitische Ersatzdiskurse ersetzt worden. Die SPD existiert fort, ohne noch ein soziales Subjekt zu vertreten.

In diesem Zustand werden CDU und SPD füreinander funktional unverzichtbar. Die Union liefert staatliche Stabilitätsrhetorik ohne ordnungspolitischen Kern; die Sozialdemokratie liefert moralische Legitimation ohne gesellschaftliche Verankerung. Gemeinsam erzeugen sie den Eindruck politischer Verantwortung, während sie tatsächlich nur den Stillstand institutionalisieren. Ihre Koalitionen sind weniger Regierungen als Stabilisierungsregime gegen den eigenen Bedeutungsverlust.

Diese Symbiose wirkt nach außen wie Konsens, nach innen jedoch wie Kapitulation. Anstatt politische Konflikte zu integrieren, neutralisieren beide Parteien den Streit. Anstatt Alternativen zuzulassen, immunisieren sie sich durch moralische Grenzziehungen, Verfahren, Kommissionen und symbolische Bekenntnisse. Die vielbeschworene Mitte ist dabei kein Ort der Ausgewogenheit mehr, sondern ein Schonraum für erschöpfte Parteien, die den Kontakt zur gesellschaftlichen Dynamik verloren haben.

Metapolitisch ist diese Konstellation hochproblematisch. Denn sie ersetzt politische Konkurrenz durch gegenseitige Legitimation. CDU und SPD bestätigen einander fortwährend ihre Unverzichtbarkeit und erzeugen so eine geschlossene Ordnung der Macht, die Kritik nicht mehr integriert, sondern abwehrt. Die Brandmauer ist Ausdruck dieser Logik: Sie schützt nicht die Demokratie, sondern die Parteien vor der Demokratie.

Besonders deutlich wird diese Entwicklung im Umgang mit sozialen und regionalen Spannungen. Die SPD hat den Kontakt zu den klassischen Milieus der Arbeit und des sozialen Aufstiegs verloren, während die CDU den Kontakt zu den produktiven Schichten des Bürgertums aufgegeben hat. Beide reagieren darauf nicht mit Selbstkorrektur, sondern mit Moralisierung. Wähler werden belehrt, Regionen stigmatisiert, abweichende Präferenzen delegitimiert. Die politische Repräsentation wird durch pädagogische Attitüde ersetzt.

So entsteht ein paradoxes System: Zwei Parteien, die gesellschaftlich an Bindungskraft verlieren, gewinnen durch Koalition kurzfristig an Regierungsstabilität – und beschleunigen langfristig ihre Erosion. Die Symbiose wirkt immunisierend gegen Wahlniederlagen, aber toxisch für politische Erneuerung. Sie konserviert Strukturen, die längst ihre Trägerschichten verloren haben.

Die Hoffnung, diese Parteien könnten sich im Verbund gegenseitig stabilisieren, verkennt die Logik ihres Niedergangs. Erschöpfte Parteien erneuern sich nicht durch Zusammenschluss, sondern durch Konflikt. Wo dieser ausbleibt, verfestigt sich der Verfall. CDU und SPD sind daher nicht Opfer äußerer Umstände, sondern Gefangene ihrer eigenen Überlebensstrategien.

In der weiteren politischen Entwicklung markieren CDU und SPD gemeinsam das Ende des volksparteilichen Modells. Sie stehen nicht mehr für gesellschaftliche Integration, sondern für administrative Kontinuität. Sie sichern Macht, ohne Sinn zu stiften; sie verwalten Ordnung, ohne sie zu begründen. Ihre Koalitionen sind das politische Äquivalent eines Stillhalteabkommens gegen die Zeit.

Der Abgesang gilt daher beiden. Nicht, weil sie versagt hätten, sondern weil sie überholt sind. Ihre Symbiose mag den weiteren Erosionsprozess verlangsamen – aufhalten kann sie ihn nicht. Die Republik wird sich verändern, mit oder ohne sie. CDU und SPD werden diesen Wandel nicht gestalten, sondern als letzte Instanzen einer untergehenden Ordnung begleiten.

Was folgt, wird nicht aus ihnen hervorgehen.
Und genau darin liegt die endgültige Pointe ihres gemeinsamen Schicksals.

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Frank-Christian Hansel ist Fachpolitischer Sprecher der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus für Wirtschaft, Energie, Klima, Flughafen.

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PP-Redaktion
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