Sonntag, 25. Mai 2025

Letzte Linie Ungarn: Die Europäische Union vor der Zerreißprobe

Der 27. Mai könnte in die europäische Geschichte eingehen – nicht als Tag der Disziplinierung Ungarns, sondern als Moment der Entlarvung: Die Union, die sich als Raum der gemeinsamen Werte begreift, wird zur Bühne der Machtpolitik. Gastbeitrag von Elena Fritz.

Am 27. Mai tritt der EU-Rat zusammen, um über eine Maßnahme zu entscheiden, deren Symbolkraft kaum zu überschätzen ist: Der mögliche Entzug des Stimmrechts Ungarns nach Artikel 7 des EU-Vertrags. Es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Verwaltungsakt – sondern um eine Zäsur. Ein Mitgliedsstaat soll faktisch entmachtet werden, weil er außenpolitisch einen anderen Kurs verfolgt als die tonangebenden Hauptstädte Brüssel, Berlin und Paris.

Formal geht es um die „Wahrung europäischer Grundwerte“. Doch die politische Realität ist ernüchternd: Das Verfahren gegen Ungarn läuft bereits seit 2018, die aktuelle Anhörung ist die achte ihrer Art. Immer wieder wurde Budapest für seine migrations-, medien- und rechtspolitischen Entscheidungen gerügt. Doch in Wahrheit geht es um mehr: um den Konflikt zwischen zentralistischer Integration und nationalstaatlicher Eigenständigkeit.
Dass es ausgerechnet Artikel 7 ist, der nun in Stellung gebracht wird – die sogenannte „nukleare Option“ der EU – zeigt, dass der Konflikt eine neue Eskalationsstufe erreicht hat. Die Union versucht, Abweichung nicht mehr politisch zu verhandeln, sondern institutionell zu disziplinieren.

Souveränität als Störfaktor

Ungarn steht heute exemplarisch für eine Politik, die sich dem Konsens verweigert:

  • Keine bedingungslose Unterstützung für Kiew
  • Kritik an den Wirtschaftssanktionen gegen Russland
  • Ablehnung einer zentralisierten Migrationsagenda
  • Betonung der eigenen außen- und energiepolitischen Interessen.

Diese Haltung ist im Brüsseler Koordinatensystem längst zur Provokation geworden. Doch genau darin liegt der Kern der europäischen Krise: Nicht Ungarns Abweichung destabilisiert die Union – sondern der Umgang mit ihr.

Ein neuer Block entsteht

Mit der Ankündigung eines Vetos durch die Slowakei wird offensichtlich, dass sich eine Gegenbewegung formiert. Es geht nicht mehr um Ungarn allein. Vielmehr ist ein geopolitischer Riss sichtbar geworden, der sich quer durch die EU zieht – zwischen Staaten, die ihre nationale Handlungsfreiheit bewahren wollen, und jenen, die auf Integration um jeden Preis setzen.

Die Slowakei, die in den letzten Monaten mehrfach eine eigenständige Linie verfolgt hat, erklärt sich nun solidarisch mit Budapest. Damit entsteht ein erstes Gegengewicht – und die Frage steht im Raum: Wie viele weitere Staaten werden folgen? Italien? Tschechien? Österreich?

Systemischer Bruch in Sicht

Die entscheidende Entwicklung der kommenden Monate dürfte sein, dass der Konsensmechanismus der EU faktisch erodiert. Wo früher Einigkeit durch Verhandlungen hergestellt wurde, tritt nun Zwang an die Stelle von Zustimmung. Doch die Legitimationsbasis der Brüsseler Politik schwindet – denn immer mehr nationale Parlamente, Regierungen und Bevölkerungen hinterfragen das Selbstverständnis der EU.

Dieser Bruch ist nicht taktisch – er ist strukturell. Was sich abzeichnet, ist eine fundamentale Krise der europäischen Architektur, in der die politische Homogenität nicht mehr als Stärke, sondern als Schwäche erkennbar wird: Wer keine Abweichung duldet, verliert am Ende die Vielfalt – und damit das Vertrauen.

Fazit

Der 27. Mai könnte in die europäische Geschichte eingehen – nicht als Tag der Disziplinierung Ungarns, sondern als Moment der Entlarvung: Die Union, die sich als Raum der gemeinsamen Werte begreift, wird zur Bühne der Machtpolitik.

Die Frage ist nicht, ob Ungarn ein Sonderfall bleibt. Sondern ob es der erste Dominostein in einer Kette ist, die das europäische Projekt in eine neue Realität überführt: Weg von der Illusion einer homogenen Union – hin zu einem pluralen, konflikthaften, aber ehrlicheren Europa der souveränen Nationen.

Der Beitrag erschien zuerst bei PI-News.

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