Wie ein Dokumentarfilm den Kampf um unsere Meinungsfreiheit auf die Alltagsebene hebt! Kommentar und Rezension von Dennis Riehle zum Film „Schwachkopf-Affäre“ (Tale of a Meme)
Es gibt eine Reihe von Vokabeln, die nutzen wir manchmal gar inflationär, ohne damit irgendeine abschätzige Intention zu verbinden. Wie häufig kam mir schon das Wort „Schwachkopf“ über die Lippen. Doch bis zu dem Augenblick, als Robert Habeck einen Strafantrag stellte, weil ihn ein bayerischer Mitbürger in einem Meme mit der entsprechenden Bezeichnung versehen und dieses über die neuen Medien verbreitet hatte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass man sich für eine solche flapsige Aussage im Zweifel vor Gericht wiederfinden kann. Wie sehr muss es also den vermeintlichen „Täter“ getroffen haben, als er durch eine Hausdurchsuchung in der gesamten Republik bekannt wurde, hatte er doch lediglich scharfzüngige Kritik am Wirtschaftsminister a.D. geübt, bei dem es nun wahrlich zahlreiche Gründe gab, ihn für seine Politik und sein Auftreten auf die Schippe zu nehmen. Denn normalerweise sollte man davon ausgehen, dass eine wehrhafte Demokratie – in Legitimität eines zweifelsohne zugespitzten Ausdrucks von Missachtung gegenüber den Mächtigen – mit solcher Geringschätzung auf argumentativer Ebene statt mit Strafen, Drangsal und Pranger umgeht, steht doch angeblich auch in unserer Verfassung irgendetwas von dieser sogenannten Meinungs- oder Kunstfreiheit.
Praktisch über Nacht veränderte sich das Dasein gleich mehrerer Personen, die allerdings nicht aufgaben, als sie mit staatlicher Repression überzogen wurden. Stattdessen zeigte man sich kämpferisch – und blieb bei der grundsätzlichen Aversion gegenüber dem Grünen, welcher wiederum keinen Anlass sah, die durch ihn verursachte Unverhältnismäßigkeit von Justiz und Behörden in irgendeiner Form anzuprangern, sondern sie indirekt auch noch verteidigte. Viel zu lange wurde über diese Causa nur abstrakt gesprochen. Es fehlte an Impressionen und Kontext, die jene Menschen zeigen, an deren Stelle man mich und dich hätte setzen können. Denn in der momentanen Atmosphäre scheint niemand mehr davor gefeit, sich bei Bedarf für seine freie Rede rechtfertigen zu müssen. Und weil es einerseits um das gesellschaftliche Thema des Zustandes unserer Demokratie geht, in der elementare Ansprüche aus dem Grundgesetz für den Einzelnen in Frage gestellt werden, aber andererseits auch ganz konkret um das Schicksal von Stefan Niehoff und seiner Familie, kann man dem Stuttgarter Regisseur Alexander Tuschinski nur dankbar sein. Schließlich nahm er diesen Präzedenzfall an Willkür und Beliebigkeit zum Anlass, sich auf eine zutiefst bewegende, aufrüttelnde und ergreifende Spurensuche zu machen.
Der Autor begab sich also auf den Weg, um hinter die Schlagzeilen zu blicken, welche von Garmisch-Partenkirchen bis Kiel zu einer hitzigen Debatte darüber führten, was man bei uns noch sagen darf. Mit einem einzigartigen Feingefühl, vollkommener Unvoreingenommenheit und einem Händchen für den Fokus auf Alltagsmomente entführt uns der 1988 geborene Historiker mit absolviertem Studium in Audiovisuellen Medien in seiner Dokumentation über eben genannten Rentner nicht nur in die Provinz, sondern stellt diejenigen ins Rampenlicht, welche das Schicksal mehrfach hart getroffen hat. Doch es geht nicht um Mitleid oder eine Opferstilisierung. Mit seinem für die Plattform „Youtube“ produzierten Werk, das auch in die offizielle Auswahl preisverdächtiger Stücke beim Festival der unabhängigen Filmemacher in Los Angeles gelangte – und am 16. Mai 2025 dort Premiere feierte, zeichnet er die Biografie, das Leben und die Herausforderung jenes Mannes und seiner Angehörigen, zu denen der Zuschauer ab dem ersten Moment eine Beziehung aufbauen kann, sind doch sowohl Kameraführung, Schnitt und Szenerie nur allzu geeignet, ein äußerst liebevolles, authentisches, zugewandtes, nahbares, unabhängiges, tiefgehendes wie empathisches Bild zu gewinnen.
Zwischen dem auch als Schauspieler tätigen Naturtalent aus der Schwabenmetropole und seinen Protagonisten hat sich ein für den Beobachter nur allzu offensichtliches Vertrauensverhältnis entwickelt, das Einblicke ermöglicht, die kaum jemandem sonst zugestanden worden wären. Geprägt von einer umfassenden Detailliertheit, erfährt die Öffentlichkeit viel über die Motivation, Ansichten und Überzeugungen, welche den früheren Feldwebel aus Franken dazu geleitet haben, dem ehemaligen Ressortchef in der Bundesregierung mit einem markigen Widerspruch zu begegnen. Durch eine herausragende Strategie des Interviews mit ihm und seinen Liebsten steht am Ende eine cineastische Meisterleistung, das uns eintauchen lässt in manch eine melancholische Nachdenklichkeit über die Entwicklung unserer Republik, aber auch in die Stabilität und Stärke derjenigen, die sich weiterhin nicht dafür schämen, zu ihren Prinzipien zu stehen. Da präsentiert sich ein Aushängeschild für Mut und Courage, das Vorbild sein kann für den Normalsterblichen, welcher sich nicht gängeln, einschüchtern oder beeindrucken lässt von Polizei und Richtern, die mittlerweile kaum noch davor zurückschrecken, um des Schutzes der Hegemonie willen einen Keil der Polarisierung und Spaltung in unsere Gesellschaft zu treiben.
Dass dies bei jenem fehlgeschlagen ist, der sich nun plötzlich gegen Vorwürfe in ganz anderen Fällen, nämlich angebliche Volksverhetzung, verantworten muss, während die restlichen Ermittlungen zur Beleidigung im April diesen Jahres vorläufig eingestellt wurden, scheint ein Zeichen für die Vitalität und Resilienz unter zahlreichen Deutschen, denen ein überaus sensibler wie uneigennütziger Drehbuchschreiber eine stellvertretende Stimme und Gesicht gegeben hat. Mit seinem Porträt über die Hintergründe und Zusammenhänge einer Affäre, welcher zeitgeschichtliche Bedeutung und Dimension zukommt, wurde die Auseinandersetzung zwischen der Obrigkeit und dem Souverän auf eine Ebene gehoben, die nicht mehr nur Theorie bedeutet, sondern dank einer niederschwelligen Begegnung auf Augenhöhe Konkretheit erlangt. Ohne Moralisierung oder Bewertung, ohne Anspruch an eine politische oder ideologische Kommentierung, bleibt man nach der Betrachtung dieses Zeugnisses elaborativer Bereicherung mit der Erkenntnis zurück, wie schnell in diesen Tagen die Exekutive morgens an der Wohnungstür stehen kann. Der gesamte Streifzug durch einen Skandal muss mitreißen, sollten wir noch ein Gewissen und Solidarität in uns spüren – und den Wert von Liberalismus, Indemnität oder Selbstbestimmung gegenüber der herrschenden Klasse hochhalten wollen.
Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Dennis Riehle. Alexander Tuschinski ist auch auf der Plattform X mit dem Account @A_Tuschinski vertreten.