Freitag, 17. Januar 2025

Sehnsucht nach dem Mittelalter

Ohne ein Überangebot an Informationen war das Leben einfach besser – vor allem für die Herrschenden. Ein Gastbeitrag von Frank Steinkron.

Bedrohung der Meinungsfreiheit durch zu viel Meinung

Allenthalben beklagen links-grüne Politiker – und neuerdings auch die CDU – , eine riesige Flut ungefilterter Informationen überfordere den normalen Internetnutzer. Die breite Öffentlichkeit könne nicht mehr zwischen „Information und Desinformation“, zwischen „Wahrheit und Manipulation“ unterscheiden, zumal sich die meisten Posts und Tweets den etablierten „editorischen Standards“ entzögen. Dringend geboten sei daher eine Kontrolle durch staatlich gelenkte Prüfinstanzen (bis vor kurzem „Faktenchecker“ genannt). Schließlich könne die Meinungsfreiheit nur geschützt werden, wenn gegen falsche Meinungen vorgegangen würde.

Gefilterte Wahrheit im Mittelalter

Angesichts solch wohlmeinender Mahnungen mag manch einer wehmütig an das Mittelalter denken. Von einer Informationsflut, gar einer ungefilterten, konnte damals keine Rede sein. Bücher gab es nur wenige, weil jedes einzelne in monatelanger, wenn nicht jahrelanger Handarbeit in den Schreibstuben der Klöster nach einer Vorlage kopiert werden musste. Wer ein bestimmtes Werk wünschte, hatte vorab Erkundigungen einzuziehen, in welcher Klosterbibliothek es verfügbar war, um dann eine Abschrift in Auftrag zu geben.

In einem zweiten Schritt konnte der Klostervorsteher prüfen, ob das erbetene Werk sich für den Bittsteller überhaupt eignete. „Sensible Inhalte“, die in den Klosterbibliotheken gleichsam im ‚Giftschrank‘ schlummerten, durften nicht in die Hände kritischer Geister gelangen; die Schriften von heidnischen Philosophen wie Platon und Aristoteles, die aus kirchlicher Sicht eine christliche Teiloffenbarung enthielten, konnte man dagegen zumindest glaubenstreuen Gelehrten zukommen lassen. Völlig unbedenklich waren die Werke „zertifizierter“ Autoren aus der „Mitte der Gesellschaft“ (sprich der Kirche). Und selbstverständlich durfte sich jeder eine Bibel bestellen. Solange das Wort Gottes auf Latein verfasst war, bestand keine Gefahr, dass das unverständige Volk es sich eigenmächtig auslegte.

Die Gefahr des Buchdrucks

Leider endete diese goldene Ära zu Beginn der Neuzeit: mit der Übersetzung der Bibel ins Deutsche, vor allem aber mit dem Aufkommen des Buchdrucks. Die Bücher wurden deutlich billiger, immer mehr Menschen konnten sie erwerben. Auch war es leichter, völlig neue Texte zu publizieren, gerade auch mit kritischen Inhalten – gegebenenfalls unter Pseudonym. Eine Klarnamenpflicht war nicht durchzusetzen. Die Löcher in den Filtern wurden immer größer.

In Genf, wo der Reformator Jean Calvin eine Art Gottesstaat errichtet hatte, reagierten die Behörden mit einem umfangreichen System der Bespitzelung. Domestiken wurden angehalten, die Regale und Schubladen ihrer Herrschaft zu sichten, unter Umständen auch einmal unter das Kopfkissen zu schauen, um gefährliches Gedankengut ausfindig zu machen. Dazu zählten vorreformatorische (also katholische) Gebetbücher. Sie bargen die große Gefahr einer unzulässigen Einmischung durch „ausländische Akteure“ und Globalisten wie das Papsttum. Entsprechende Hinweise nahmen die „Meldestellen“ im Genfer Stadtrat gerne entgegen.

Die katholische Kirche hingegen setzte auf eigens eingerichtete „Sonderauswertungseinheiten“, etwa die Inquisition. Außerdem erstellte sie den Index Librorum prohibitorum, ein offizielles Verzeichnis verbotener Bücher. Zugleich verlangte sie für alle Publikationen ein Imprimatur, eine offizielle Druckerlaubnis. Für Theologen und Priester bestand diese bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts.

Doch auch die weltliche Obrigkeit blieb nicht untätig. Sie setzte vor allem auf die Überwachung der Verlage und die Verhaftung oder zumindest soziale Ächtung unliebsamer Autoren.

Desinformation“ durch die Aufklärung

Um 1800 verschärfte sich die Lage erneut: zum einen durch die Aufklärung, zum anderen durch die Industrialisierung des Buchdrucks und die Erfindung der Zeitungspresse. Warnend schrieb der preußische Innenminister Gustav von Rochow 1838: „Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen“. Um den beschränkten Untertanen zu schützen, beschränkte der Staat die freie Meinung. Verlage und Zeitschriften wurden bei Bedarf verboten.

Fast hundert Jahren später fanden auch traditionellere Verfahren Anwendung, etwa öffentliche Bücherverbrennungen. Deren Wirkung war jedoch eher symbolischer oder ritueller Natur. Als weitaus effektiver erwies sich eine lückenlose „Volksaufklärung“. Zu diesem Zweck erzwang sich der Staat das Monopol über Rundfunk, Fernsehen und Zeitung. Heutzutage vollzieht sich die Gleichschaltung behutsamer. Der Staat erkauft sich die richtige Meinung durch auskömmliche, von Zwangsgebühren finanzierte Intendanten- und Redakteursgehälter.

Endstation Sehnsucht

Mit dem Aufkommen der sozialen Medien hat sich die Lage indes erneut verkompliziert. Die klassischen Regulierungsmechanismen reichen nicht mehr aus; selbst Shadowbans und Algorithmen greifen nur noch bedingt. Am Ende bleibt für die selbsternannten Volkserzieher und Philanthropen, für die Kämpfer gegen „Hass und Hetze“ und für die Warner vor „verschwörungstheoretischen Erzählungen“ nur der resignative Seufzer des Dichters August Kopisch:

Ach, daß es noch wie damals wär‘!
Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!“

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PP-Redaktion
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