Sie ist wieder da. Angela Merkels Memoiren mit dem Titel „Freiheit“ sind letzte Woche in dreißig Ländern gleichzeitig erschienen. Ein Konvolut von 736 Seiten, Preis 42 Euro, also kein Schnäppchen. Dr. Alexander Meschnig kommentiert beim Kontrafunk.
Merkel hat, so wird kolportiert, dafür einen Vorschuss in zweistelliger Millionenhöhe bekommen. Das ist ein großer Vertrauensbeweis in eine Ex-Politikerin, die für die schlimmsten Fehlentscheidungen der letzten Jahre steht: Euro-Rettung, Atomausstieg, Russland-Politik, Grenzöffnung und Massenmigration, Corona-Lockdowns mit gravierenden Einschnitten in die Grundrechte der Bürger. Selbstkritik und das Eingeständnis eigener Fehler, so viel sei verraten, kommen im Buch nicht vor.
Die Alternativlose
Alle Entscheidungen der Ära Merkel erscheinen auch im Rückblick als alternativlos. Neben der verhängnisvollen Russland-Politik ist es insbesondere die fehlende Einsicht in die Folgen ihrer Migrationspolitik, die einen schalen Geschmack beim Leser hinterlässt. Dass Merkel Ende 2024, nach der Kölner Silvesternacht, dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, den zahlreichen Morden und Gewalttaten sogenannter Flüchtlinge, immer noch an ihrem grenzenlosen Aufnahmekurs festhält – ohne irgendeine Reflexion der gesellschaftlichen Folgen – ist bezeichnend.
Einige Tage vor dem Erscheinen ihrer Memoiren gab Merkel dem „Spiegel“ ein Interview, in dem es auch um ihre Einwanderungspolitik ging. Dabei sparte sie nicht mit Kritik an ihrer eigenen Partei, die, wohl auf Druck der Wahlergebnisse der AfD, nun Zurückweisungen von Migranten an den deutschen Grenzen fordert. Die Probleme der Masseneinwanderung werden von Merkel in eine „Bringschuld“ der Aufnahmegesellschaft verwandelt, die sich mit dem Vorwurf der Ausgrenzung konfrontiert sieht. Denn, O-Ton des Interviews: „Ohne die Offenheit und Veränderungsbereitschaft der aufnehmenden Gesellschaft kann es keine Integration geben. Voraussetzung ist ein Mindestmaß an Wissen über andere Kulturen, ich muss mich schon dafür interessieren.“
„Kein Mensch ist illegal!“
Merkel folgt hier offenbar einem universalistischen Menschenbild, das jedem Migranten dieselben Rechte zugesteht wie den einheimischen Bürgern. Das war nicht immer so. Erinnern wir uns an die berühmten Bilder der Kanzlerin mit dem libanesischen Mädchen Reem. Die Tränen des Mädchens – Merkel konnte ihr nicht versprechen, dass sie in Deutschland bleiben darf – lösten im Sommer 2015 in den Haltungsmedien einen wahren Gefühlssturm aus. Der mediale Dauerdruck und links-grüne Kampagnen („Kein Mensch ist illegal!“) verfehlten ihre Wirkung auf führende Politiker nicht.
Niemand, auch nicht die Kanzlerin, konnte und wollte gegen die Medien und die öffentliche Stimmung regieren oder als Unmensch gelten. So mutierte die „eiskalte Kanzlerin“ innerhalb weniger Wochen zu „Mama Merkel“, einer Frau, die das einzig Richtige tat, indem sie die Grenzen weit öffnete, von den Medien danach wegen ihrer Humanität und als Retterin der europäischen Werte gefeiert. Ob Merkel selbst an diese Verwandlung glaubte, mag dahingestellt sein, aber mit ihrer Entscheidung der Grenzöffnung wurde die Spaltung des Landes endgültig manifest, in ihren Worten: „Wenn wir jetzt noch anfangen müssen, uns dafür zu entschuldigen, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“
„Heiligsprechung“ des Fremden
Lassen wir einmal die Frage nach Merkels persönlichen Motiven beiseite, zeigt sich in der Auffassung einer „Bringschuld“, dass es offenbar so etwas wie einen „Schuldvertrag“ zwischen dem „reichen Europa“ und dem „armen Rest“ der Welt gibt, der jederzeit abgerufen werden kann. Mit der grenzenlosen Aufnahme aller Benachteiligten und Beladenen konnte Europa und insbesondere Deutschland zeigen, dass es bereit ist, seine Verbrechen endgültig zu sühnen. Die italienische Zeitschrift „La Stampa“ kommentierte das Geschehen im September 2015 in diesem Sinne als eine historische Zäsur: „Merkels Beschluss, Flüchtlinge aufzunehmen, schließt im kollektiven Gedächtnis vieler Europäer die Epoche des grausamen und feindlichen Deutschlands.“
Prinzipiell kann man von einer „Heiligsprechung“ des Fremden sprechen. Er allein kann den Komplex von Schuld und Busse auflösen und Erlösung bringen. Da unser Reichtum, so die weit verbreitete Überzeugung, auf der Ausbeutung der südlichen Hemisphäre beruht, ist es nur gerecht und unsere moralische Pflicht, die ganze Welt mit offenen Armen aufzunehmen. In dieser Auffassung holen sich die aktuell einwandernden Migranten also nur das zurück, was wir ihnen über Jahrhunderte genommen haben und immer noch nehmen.
Die grüne Kanzlerin
Der französische Soziologe Pascal Bruckner fasst dieses Verhältnis präzise und polemisch zusammen: „Europa schuldet Letzteren alles: Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsversorgung, Erziehung, ordentliche Löhne, prompte Erledigung ihrer Anliegen und vor allem Respektierung ihrer Identität. Bevor sie noch einen Fuß auf unseren Boden gesetzt haben, sind sie Gläubiger, die ihre Schulden einfordern.“ Dass eine CDU-Politikerin diesem Narrativ nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre immer noch folgt – eine Sichtweise, die wesentlich bei Links-Grün angesiedelt ist –, zeigt, wie verhängnisvoll ihre politische Karriere für Deutschland war.
Denn dass Merkel aktuell für ein schwarz-grünes Bündnis wirbt und ihre eigene Partei für die Abgrenzung gegen die Grünen scharf kritisiert, macht deutlich, dass die Ex-Kanzlerin nicht nur in der Zuwanderungsfrage eine Haltung vertritt, die den Interessen des Landes gleichgültig, wenn nicht feindlich gegenübersteht. Dass sie mit ihrem Buch und dem Festhalten an einer Politik der unbegrenzten Massenmigration Friedrich Merz ein letztes Mal düpiert, zeigt zumindest menschliche Züge. Emotionen, die man in ihren Memoiren, die sich wie eine sterile Chronik eines blutleeren Lebens lesen, ansonsten vergeblich suchen wird.
♦ Hier geht es zur gesamten Sendung und zum gesprochenen Kommentar Meschnigs.
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