Donnerstag, 31. Oktober 2024

Der schwarze Freitag – ein dunkler Tag für LGB

Das Selbstbestimmungsgesetz ist ein Ergebnis grenzenloser Toleranz, bei der die Streitkultur der Aufklärung, mit einseitiger politischer Beachtung, nur noch eine Fußnote ist. Ein Gastbeitrag von Michael Rühl.

Schwule und Lesben werden obsolet. Ja! Jeder darf jetzt in die Rolle des Anderen schlüpfen und sich einfach zur schwulen Frau oder zum lesbischen Mann erklären. Toll! Haben wir da was vergessen? Quatsch! Wie? Sie haben etwas dagegen? Dann sind Sie vermutlich homophob oder transphob – mindestens aber verleugnen Sie die Biologie. Also die Neue. Die mit den critical studies, die ja eigentlich so bezeichnet werden, weil sie wissenschaftlich eher kritisch betrachtet werden, als inhaltlich kritisch sind. Was die bisherigen Homosexuellen dazu sagen? Die sind jetzt alle Nazis! Kurzum: Gelegentlich jedoch nützlich.

Wir sollen alle queer sein

Das Selbstbestimmungsgesetz, das die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität erleichtern soll, wurde mit dem Ziel eingeführt, Trans-Personen mehr Autonomie über ihr eigenes Leben zu geben. Doch während das Gesetz in vielen Bereichen als Fortschritt gefeiert wird, werfen wir LGB die Frage auf, welche Konsequenzen es insbesondere für Lesben, Schwule und speziell Frauen haben könnte. Im Übrigen: Schon Jahre!

Ein zentrales Argument gegen das Gesetz ist die Tatsache, dass es die Sichtbarkeit von Lesben und Schwulen gefährdet. Durch die Fokussierung auf individuelle Selbstbestimmung erhärtet sich die Gefahr, dass die spezifischen Bedürfnisse und Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, in den Hintergrund gedrängt werden. Historisch gesehen haben Lesben und Schwule bereits oft für ihre Rechte kämpfen müssen, und die Beobachtung ist, dass das Gesetz diese Kämpfe obsolet macht, indem es die Diversität der LGBTQ-Community verwässert. Sprich: Wir sollen alle „Queer“ sein, wenngleich das Q am Ende von LGBTIQ steht. Das ergibt keinen Sinn und untermalt die aggressive Respektlosigkeit, mit der man uns erklären will, wer wir eigentlich zu sein haben. Wir sind weder im falschen Körper, brauchen keine anderen Pronomen und unterziehen uns keiner Hormontherapie, nur um uns als jemand zu fühlen, von dem wir gar nicht wissen, wie er oder sie sich fühlen könnte. Mit TIQ+ haben wir ebenso viel gleich, wie eine Kuh mit dem Fahrradfahren.

Ein weiteres kritisches Argument bezieht sich auf die tiefgreifenden Auswirkungen der Selbstidentifikationsgesetze auf Frauenräume und den feministischen Diskurs. Der Zugang zu geschützten Räumen für Frauen wird durch die Möglichkeit der Selbstidentifikation massiv verändert und häufig unter dem Deckmantel der Selbstbestimmung infrage gestellt. Dies ist besonders für lesbische Frauen problematisch, die erleben, dass ihre Safe-Spaces zunehmend nicht mehr respektiert werden. Der Schutz von Frauenrechten wird dadurch geschwächt, während Fragen nach Sicherheit und Wohlbefinden von Frauen verdrängt werden.

Frauen als Täter der Moderne

Die Realität zeigt in alarmierenden Beispielen, wohin das führen kann: Auf lesbischen Demonstrationen wurden Frauen von Transaktivisten beschimpft, bespuckt und geschlagen, weil sie ihre Räume nicht mit biologischen Männern teilen wollen. Ihre Ablehnung wird jedoch nicht als legitime Selbstverteidigung, sondern als „Transphobie“ gebrandmarkt und die Frauen kurzerhand zu Tätern der Moderne erklärt.

Doch die Folgen dieser Entwicklung gehen weit darüber hinaus. Begriffe, die seit jeher biologisch verankert sind, werden zunehmend uminterpretiert – ein männlicher Penis wird plötzlich als „weiblich“ bezeichnet, und die weibliche Vagina als „Bonusloch“. Kritik an solchen Entwicklungen wird umgehend als „Hass und Hetze“ abgestempelt. Was bedeutet in diesem Kontext noch gleichgeschlechtliche Liebe? Diese essenzielle Frage bleibt häufig unbeantwortet – und das Fundament von LGB verschwindet allmählich aus dem Blickfeld.

Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass bei berechtigter Kritik an der LGBTIQ+-Community immer wieder auf die hart erkämpften Rechte von Lesben und Schwulen verwiesen wird? Sobald es jedoch um die gelebte Vielfalt und Interessen geht, stehen LGB in der queeren, woken Welt oft nur am Rand – genutzt als bequeme Symbolfigur, um Mehrheiten darzustellen, die so gar nicht existieren. In Wahrheit wird Vielfalt zur Marke und der Regenbogen zur Fassade, die Politik und Öffentlichkeit eine große, einheitliche Wählermasse suggeriert. Doch was wirklich dahintersteht, ist oft nur ein geschickt inszeniertes Zeichen, das eine tatsächliche Mehrheit vorgaukeln soll.

Wir wollen nicht länger Werkzeuge einer Ideologie sein

LGB-Personen haben sich zunehmend in eigenen Gruppen und Foren organisiert, um Raum für sachliche Debatten zurückzugewinnen, die in der heutigen Regenbogencommunity oft unterbunden werden. Statt Austausch erleben wir eine feindselige Haltung, die uns abwertet und für veraltet erklärt. Die Diskussionen in unseren eigenen Foren sind lebendig und klar in ihren Zielen: Wir wehren uns dagegen, als Werkzeuge einer Ideologie missbraucht zu werden, die unsere Anliegen ignoriert und echte Probleme, vor allem die von Kindern und Familien, bewusst ausklammert – vielleicht, weil sie in einer selbstbezogenen Weltsicht als unangenehm empfunden werden.

Auch werden wir nicht das persönliche Empfinden über wissenschaftliche Erkenntnisse stellen und so weiteren Schaden riskieren, nur um verletzte Gefühle zu schonen. Eine gesunde Streitkultur gehört zur Aufklärung und ist mehr als nur ein leeres Schlagwort. Sie ist eine Philosophie, ein Grundsatz, auf dem wir mit Standhaftigkeit stehen, um zu überzeugen – auch politisch. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen wieder die Partei finden, die wirklich zu ihnen passt. Dieses Engagement ist unser Versprechen.

„Lesbische Penisträgerinnen“

In diesem neuen Kontext sind nun alle „schwulen Bonuslöcherinnen“ und „lesbischen Penisträgerinnen“ ebenso wie „Brüder und Brüder*innen“ herzlich eingeladen, am Diskurs teilzunehmen – ganz im Sinne einer scheinbar inklusiven Sprache. Doch hinter der Oberfläche dieser Begriffe wird deutlich, wie sehr die Diskussion über Geschlechter und Identitäten aus dem Ruder gelaufen ist. Anstatt Klarheit zu schaffen, führt die ständige Ausweitung von Begriffen und Definitionen zu Verwirrung und Verunsicherung, vor allem bei denjenigen, die eigentlich im Mittelpunkt stehen sollten.

Die Frage ist: Wie schaffen wir echte Lösungen, wenn Sprache und Begrifflichkeit jeden Bezug zur Realität verlieren? Der Diskurs braucht dringend eine Rückkehr zu einer verständlichen, respektvollen und nachvollziehbaren Basis. Nur so kann in der Sache wirklich um die beste Lösung gestritten werden, ohne dass persönliche Identitäten instrumentalisiert und verzerrt werden.

Über den Autor: Michael Rühl ist ein erfahrener Medienprofi mit über zwei Jahrzehnten Berufserfahrung in den Bereichen Journalismus, Rundfunk, Social Media, PR und Online-Marketing. Seine Karriere begann 2003 als Foto- und Videoreporter für Agenturen wie Medien Laib, wo er Berichte und Reportagen für renommierte Medien wie RTL und Bild lieferte. Von 2006 bis 2015 arbeitete er als Redakteur und Regisseur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk bei Oeins, wo er Sendungen in den Bereichen Wissenschaft, Philosophie und Kunst betreute. Parallel dazu baute er das Online-Fernsehen bei Oldenburg News auf und entwickelte seine Expertise im Social Media Management für das Bildungswerk Niedersächsische Wirtschaft.

2008 übernahm er die Position des Intendanten bei der regioTV GmbH und verantwortete ab 2011 den Bereich Oldenburg. Seit 2015 gibt er als Dozent sein Wissen an Unternehmen und Start-ups weiter, insbesondere in den Bereichen PR und Öffentlichkeitsarbeit. Heute unterstützt er selbstständig Unternehmen dabei, ihre Umsätze durch gezieltes Online-Marketing zu steigern.

Der Autor, älter als Google und seit 2017 verheiratet, war langjährig engagierter Sozialdemokrat und Mitbegründer von SPDqueer im Nordwesten. Im Februar 2024 trat er aus der SPD aus und legte seinen stellvertretenden Vorsitz in der Gemeinde Goldenstedt nieder. Seine Entscheidung, SPDqueer zu verlassen, fiel nach einer kontroversen Diskussion über Identitätsfragen. Supportet JustGay und ist undogmatisch streitbar.

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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