Mittwoch, 18. Dezember 2024

Die Befreiung der Christensklavin

Die Geschichte vom armen Madonnen-Schnitzer, dem guten Hirten und bösen Magister (Teil 4). Novelle von Klaus Lelek

Lange Zeit hatte Menna, sich unruhig im Bette hin und her werfend, mit dem Schlafe gerungen. Warum nur hatte ihr werter Herr, der stets den Verstand als höchste Geistesgabe pries, diese abscheuliche Freveltat begangen. War es der Satan, der ihn zu jenem Anschlag trieb? Sie weinte entsetzlich gleich einem armen Weibe, das ihr Kindlein verloren. Ihre Not vergrößerte sich noch in dergestalt, dass justament alle Widrigkeiten des Lebens gleich Dämonen vor ihrem Auge erschien. Welche Pein hatte die Frau in Permanenz erduldet? Wie viele Tränen waren seit ihrer Jugend im fernen Afrika geflossen? Ihre drei Mägdelein, die sie im Serail geboren, hatte man ihr grausam genommen, noch ehe sie entwöhnt. Das Knäblein, welches sie dem Magister geschenkt und heimlich entbunden, kam vor der Zeit tot zur Welt. Der Pater wollte es nicht einmal in Augenschein nehmen und ließ es vom Küster ungetauft gleich einem Kadaver im Walde vergraben.

Irgendwann nach dem ersten Hahnenschrei nahm sich Morpheus ihrer armen Seele an und die Ägypterin fiel in einen tiefen Schlummer. Erst das heftige Läuten der Hausglocke riss sie aus dem Reich angsterfüllter Träume. Sie fuhr erschrocken hoch. Die Bettstatt neben ihr war leer. Menna schlüpfte hastig in ihre Kleider und eilte die Treppe hinab zur Pforte. Draußen stand der Küster und machte ein verdrießliches Gesicht. „Heuer ist Maria-Himmelfahrt! In Bälde strömt das Volk mit den Kräuterbüscheln herbei. Wo bleiben seine Hochwürden. Ich habe den Altar geschmückt und wollte in Erfahrung bringen, ob alles wohlgefällig sei.“

„Ich habe Hochwürden heuer noch nicht gesehen“, sagte sie schleppend, nach Worten ringend. „Mir dünkt, er sitzt immer noch im Studierzimmer, wollte schreiben… langes Tractatus.“ Daraufhin bat sie den Küster, welcher ihr wohlgesonnen war, doch hereinzukommen, um selbst nach dem Pfarrer zu sehen, war es doch noch nicht lange her, dass der Magister ihr bei Strafe verboten hatte, ihn bei seinen Schreibarbeiten zu stören. Erst unlängst, als die Rührige gedankenverloren sich seiner Anweisung widersetzt, hatte der Gottesmann voller Zorn ein Tintenfass nach ihr geworfen.

Der Küster sah Menna mit verständigem Blick an und sagte: „Ich glaube euch jedes Wort, wertes Weib. Mir dünkt sein Vorgänger Cyprian war ein vom Himmel gefallener Engel. Welcher Heimat Pater Paul entsprungen, habe ich noch nicht herausgefunden.“

Beherzt schlug der Küster in Bälde gegen die schwere, mit zahlreichen Borten und Leisten verzierte Zimmertüre. „Guten Morgen Hochwürden, Pater Paul!“ rief er mit lauter Stimme. Hinter der Türe herrschte eisige Stille. Dies wiederholte er drei Mal. Nach einer geraumen Zeit hielt der gute Mann das Ohr an die Beschläge des Schlüssellochs, lauschte, ob er ein Lebenszeichen vernehme, äugte schließlich hinein und fuhr dann mit Entsetzen zurück. „Mir dünkt, im Raume hat es gebrannt. Es riecht nach Rauch und Schwefel. Wir müssen die Türe öffnen. Seine Hochwürden schweben allem Anscheine nach in allerhöchster Gefahr.“ Spornstreichs drückte der Küster die Klinke herunter. Aber ach. Die mächtige Türe ließ sich nur mit großer Mühe um eine halbe Handbreite öffnen. Etwas Schweres lag auf der anderen Seite und verhinderte, dass sich die Pforte weiter gen Zimmer bewegte. Jedoch reichte jener kleine Spalt hinlänglich aus, um einen Schwall schlimmen Schwefelgeruch zu verbreiten. „Mon dieu!“ rief die Ägypterin voller Entsetzen. „le diable!“

Der Küster war ein beherzter Mann. Er hatte als verdienter Soldat im Heer des großen Friedrich so manchen Schwefelgeruch auf den Schlachtfeldern des gebeutelten, zerrissenen Deutschlands gerochen, war durch manche abgebrannten Dörfer marschiert, und sagte daher hinfort nichts mehr, sondern setzte nun alle Kraft daran, die verhängnisvolle Türe vollends zu öffnen. Das Hindernis, welches den Weg versperrte, wich nach vielen Pressen und Stemmen, stets nur um Fingers Breite. „Weib, Ihr müsst mir helfen!“ stöhnte der Küster. Menna war ein stattliches Weibsbild und es mangelte ihr nicht an Kraft. Gemeinsam drückten nun beide das schwere Hindernis gen Zimmerinnern. Es war Anubis, der ihnen den Weg versperrt. Die gewaltige schwarze Dogge lag mit dem Rücken an der Tür. Die Beine gen Körper gepresst. Zuvorderst sah es so aus, als ob das Tier schliefe. Der Rüde war mausetot.

„Mon dieu! Mon dieu!“ schrie die Ägypterin erneut aus Leibeskräften und wollte sich sogleich in den von Rauch und Schwefeldünsten verschleierten Raume stürzen, aber der wackere Küster hielt sie beherzt zurück. „Bleibet um Himmels Willen auf der Schwelle, Weib!“ herrschte sie der alte Soldat an. „Ich habe im Kriege viele Menschen tot in ihren Häusern gefunden, die sind nicht vom Feuer verbrannt, sondern elend im Rauch erstickt.“ Er zog ein Schnupftuch aus der Tasche, holte tief Luft rannte in das Studierzimmer, riss die Fenster auf und kam dann nach Luft ringend wieder in die Eingangshalle. „Der Magister liegt mit dem Kopf auf dem Pult. Sein Tintenfass ist umgestürzt und hat einen riesigen Fleck auf dem Papier hinterlassen. Mir dünkt Hochwürden sind im Rauche erstickt. Sagt mir Menna, welcher Teufel hat der Pater geritten mitten im Erntling ein Feuer im Kamin zu entfachen. Ich wollte am zweiten Tag im Scheiding den Kamin gründlich inspizieren, weil im Herbstmond nächtlings der erste Frost sich auf die Wiesen legt. So war´s mit Hochwürden abgesprochen.“

„Er hat die Weihegabe verbrannt,“ schluchzte Menna. „Die Holzfigur am Kirchenfenster, gleich am Eingang. Dort wo so viele Menschen der HEILIGEN GOTTESMUTTER Dankestafeln gestiftet. Ich wollte ihn davon abhalten. Erst gestern habe ich heimlich eine Kerze vor dem wundertätigen Bild aufgestellt.“ Der alte Soldat sah sie ungläubig an und rief: „Menna, Ihr wart in unserer Kirche, sprecht von der GOTTESMUTTER? Ich habe geglaubt, ihr wäret eine Muselmanin. Hochwürden haben mir erzählt, Ihr stammt aus Ägypten, wäret eine Sklavin des Emirs gewesen. Der Gottesmann hätte euch als Geschenk erhalten für seine Gelehrsamkeit und Diplomatisches Geschick? Um Allerwelt seine Ideen von Toleranz, Menschenglück und Freiheit zu zeigen, habe er Euch nicht gezwungen die Christenreligion anzunehmen.“

„Ce n´est pas vrai. Dies ist nur die halbe Wahrheit,“ unterbrach ihn die Haushälterin. „Exactement sogar eine freche Lüge. Voulez-vous entendre la vérité? Wollt ihr die Wahrheit hören?“

„Ja! Gottverdammt zum Teufel tausendmal Ja!“, rief der alte Soldat erregt und faste die schwarze Schönheit sanft am Arm. „Ich habe schon die ganze Zeit gemerkt, dass hier irgendwas nicht stimmt. Ich kenne mich aus mit euch Weibsleuten. Ich habe Eure traurigen Augen gesehen und mir gesagt, eine schöne Frau wie Ihr, die so traurige Augen hat, muss schreckliche Dinge erlebt haben. Erzählt mir alles Madame. Ihr habt mein Vertrauen. Und solltet ihr fortan der Hülfe bedürfen, so werde ich alles tun, um weiteres Ungemach von euch fernzuhalten. Ich habe im Kriege zwei Offizieren das Leben gerettet. Wem ich mein Wort gebe, für den gehe ich, wenn´s die Not verlangt sogar durch die Hölle.“

Was der wackere Küster jetzo vernommen, könnte gewiss so manches Buch füllen. Zuvorderst erfuhr er, dass die Ägypterin, gar nicht vom Nil stammte, sondern aus Äthiopien, was schon ihre dunkle Haut hinlänglich bewies. Dann berichtete die Schöne, dass sie nicht Menna, sondern Mariam geheißen und eine CHRISTIN sei, ehe sie arabische Sklavenjäger, die ihr Dorf überfielen, die Männer abschlachteten und die jungen Frauen verschleppten, sie auf einem Markte gleich einem Stück Vieh feilboten. Auf diese Weise wäre sie in den Palast des Emirs gelangt, wo sie fortan als Sklavin lebte. Obwohl dieser bereits zwölf Frauen sein Eigen nannte, habe auch er sich, wegen ihres wohl gewachsenen Körpers, miniglich mit ihr vergnügt und drei Mägdelein gezeugt, welche ihr jedoch alsbald genommen wurden.“

Dieses und andere Ungeheuerlichkeiten erfuhr der gute Mann von der dunklen Schönheit und schickte sich sofort an, dem Schicksal der Frau, die er stets aus der Ferne mit heimlicher Bewunderung umhegt, eine gute Wendung zu geben. Zuvorderst eilte er zur Kirche und verriegelte sie gründlich, damit nicht alte Weiber vor der Zeit diese betreten, den Verlust der Figur entdecken und ein Furor verbreiten.  Anschließend inspizierte er den Raume, welcher auf so tragische Weise zum Sarkophag des Seelenhirten geworden und stellte fest, dass ein verlassenes Dohlen Nest den Kamin in dergestalt verengt habe, dass der schädliche Rauch nicht in den nächtlichen Himmel abgezogen, sondern sich im inneren verteilt habe. Gehören nicht auch Dohlen zu den altbekannten Todesvögeln?

Da der Küster von Amts wegen auch als Bader in Krähenberg tätig war – Er hatte als Feldscher im Kriege zuhauf Erfahrungen mit Sterbenden und Toten gesammelt – war es ihm gestattet die Todesursache des Paters genau zu protokolieren. Auch den Kadaver des Anubis ließ er nicht unerwähnt, war er doch mutmaßlich an der gleichen Ursache gestorben wie sein Herr. Zu seiner großen Überraschung war die Figur der HEILIGEN GOTTESMUTTER nicht von den Flammen verzehrt, sondern nur verkohlt, ein Umstand, welcher im Glasmacherdorf gewiss den Geister- und Teufelsglauben weiter entfachen könnte. Um diesen Umstand zu unterbinden, drehte er die geschwärzte Holzfigur gen Kamin, so dass ein hereinkommender nur ihre gesichtslose Rückseite in Augenschein nehmen konnte. Seine wichtigste Aufgabe sah der Küster jedoch darin, nicht alles, was er entdeckte zu verbreiten. So war ihm beim Inspizieren des Toten nicht entgangen, dass die Pupillen des Paters ungewöhnlich groß waren, was auf eine schwere Vergiftung mit Bella Donna hinwies, ausgelöst durch jene Beere, Tollkirsche geheißen, welche der Pater auf dem Wege zum unglücklichen Köhlerpaare leichtsinnig gegessen und seinem Mund und Halse jeglichen Speichel geraubt. Dieser Umstand freilich könnte die Haushälterin in arge Bedrängnis bringen, war sie doch für das leibliche Wohlergehen des Paters verantwortlich. Wie leicht hätte man sie als Giftmischerin und Hexe verleumden können, zumal man ihrer Hautfarbe und Herkunft wegen, solche bösen Verleumdungen nur zu gerne verbreitet.  Es galt also zu verhindern, dass ein studierter Medikus mit dem Fall betraut werde, ebenso wenig wie ein Polizeiamtmann aus der fernen Residenz. Er allein, Küster, Bader, ehemaliger Feldscher musste ausreichen, um den Fall nach allen Seiten als Verkettung unglücklicher Umstände erscheinen zu lassen, was ja auch in Fülle der Wahrheit entsprach.

Nachdem er den Schultheiß über den Tod des Priesters informiert, ihm die Leiche und den Kadaver des Hundes gezeigt, ebenso wie den von Todesvögeln versperrten Kamin, schwang er sich munter auf einen Apfelschimmel, welcher ihm ein Zehnthof ausgeliehen und ritt geschwind für dahin in die Kleine Stadt am Rande des Waldgebirges, um der dortigen Geistlichkeit vom Ableben des Amtsbruders, der ja zu den angeseheneren Klerikern zählte, zu berichten, verbunden mit der Frage, ob auch sie den Leichnam sehen wollen oder es der Glasbläsergemeine überließe, was mit den sterblichen Überresten des Gottesmannes geschehen sollte. Am Ende des Tages machte als letzter der Stadtdekan, der mit einer Kutsche anreiste, dem Glasmacherdorf seine Aufwartung, besah den Schreckensort, bestätigte alle Berichte über die Todesursache und sandte noch am gleichen Tag eine dringliche Depesche an den Fürstbischof, in welchem er den Tod des großen Aufklärers, Diplomaten und „Bruders“ wortreich mitteilte.

Alsdann bereitete der Küster die Beerdigung des Weltpriesters vor, ließ ein Grab ausheben, bestellte den Eichensarg und kümmerte sich für dahin um die Haushälterin, welche nur Fremden gegenüber dem Anschein eines trauenden Weibes verbreitete ihm gegenüber jedoch einen wahrhaft frohgemuten Eindruck machte.

Der Platz, wo die verstorbenen Priester der alten Filialkirche ihre letzte Ruhe fanden, lag, den meisten Blicken verborgen, direkt hinter dem prachtvollen Pfarrhause. Die Erde war dort tiefgründig und allendhalben fruchtbar. Das Grab von Hochwürden schien derowegen besonders tief ausgefallen. Als der Küster und die Haushälterin die Grube in Augenschein nahmen sagte der wackere Mann zum Weibe: „Nun müssen wir nur noch für Anubis einen Ort finden. Wo wir ihn zur letzten Ruhe betten können.“

„Ist dieses Grab nicht tief genug. Mir dünkt einen besseren Ort für Anubis können wir gar nicht finden,“ sprach die Haushälterin zum Küster und lächelte dabei ein wenig schelmisch in sich hinein. „Mir dünkt, dass er seinen Hund besser behandelte als so manchen Menschen, da wäre es doch schicklich, wenn beide, Herr und Hund, wie Mann und Frau im gleichen Grabe ruhen.“ Gesagt getan. Als die Nacht hereingebrochen, schleppten beide Kirchendiener mit vereinten Kräften die schwere Dogge über die Schwelle des Hauses, luden sie auf einen Leiterwagen, hoben das Grab noch ein wenig tiefer aus und legten hernach den toten Körper des Tieres dort hinein, darüber eine Schicht Erde, welche sie feststampften. Während sie die Erde feststampften, die Körper dicht an dicht im engen Grabe, nahm der Küster die schöne Frau genauer in Augenschein, warf ihr einen buhlerischen Blick zu und sagte: „Mir dünkt Madame, der Tod von Hochwürden scheint euch nicht sonderlich erschüttert. Ihr wirkt so frohgemut als sei eine große Last und Bürde von eurem Busen gefallen. Habt ihr nicht das Bett mit Hochwürden geteilt?“

„Ich habe auch das Bett mit dem Emir geteilt“, sagte sie mit grausamem Spott: „Glaubt Ihr wirklich ich hätte die Männer, die mich in ihr Bett zwangen, geliebt? Je suis un esclave! Ich bin eine Sklavin. Ich wurde vom Emir gekauft, wie eine Kuh und vom Emir verschenkt wie eine Hündin. Hochwürden hat mich nicht aus dem Serail befreit. Ich wurde verschenkt. J´ai changé un harem avec un presbytère. Ich habe den Serail nur mit dem Pfarrhaus getauscht. Freiheit war für Hochwürden nur eine Lüge. Er hat einem muslimischen Sklavenhalter die Freundschaft erwiesen und bei seiner Aufwartung das Kreuz unter dem Talar verborgen. Kann es eine größere Lüge, einen größeren Lügner und Verleumder geben?“

„Für mich seid Ihr fortan eine freie Frau,“ rief der Küster erregt. „Jeder Mensch ist frei geboren, schrieb unlängst ein kluger Mann in Frankreich. Ihr König dort hat ein Parlament geschaffen und seinen Bürgern die Freiheit längst geschenkt. Wenn ihr nicht frei seid, werte Frau, so werde ich hinfort dafür sorgen, dass ihr frei werdet. Egal welchen Weg ihr auch einschlagen wollt. Ich für mein Teil will nicht länger ein Fürstenknecht sein. Ich werde dieses Land bald verlassen und nach Paris gehen, wo ein Oheim einen guten Handel unterhält. Wenn ihr wollt, könnt ihr mit mir gehen.“

Die schöne Äthiopierin, deren Gesicht in der Dunkelheit nun vollends schwarz ward, dass nur ihre wunderschönen Augen gleich Sterne leuchteten öffnete ihre wohlgeformten Arme und sprach: „Mon dieu. Monsieur. Ihr seid der erste Mann, bei dem ich mich frei fühle.“

Was hernach im offenen Grabe geschah? Es ist nicht schicklich es in allen Einzelheiten hier wiederzugeben, nur so viel sei gesagt, dass die beiden für dahin ein Paar wurden, welches in später Liebe vereint von nun an gemeinsam ein Leben in Glück und Freiheit genossen. „L ´Allemagne est perdue“, waren ihre letzten Worte im Flickenteppichreich kleiner, tumber Tyrannen, ehe sie nach Passieren unzähliger Schlagbäume und aufgeblähter Schergen bei Straßburg den Rhein überquerten und den Weg nach Paris einschlugen.

Epilog

Hier ist die Geschichte eigentlich zu Ende, aber sicher fragt sich so mancher, was aus dem armen Holzfäller und Köhler geworden ist, welcher zusammen mit seinem Weibe Anna vor den Nachstellungen des Paters in den tiefen Wald floh. Nun, sie sind in Bälde zurückgekehrt. Schon als sie das wahnsinnige Lachen und das jämmerliche Jaulen des Hundes hörten, wussten sie, dass der Magister den Verstand verloren hatte. Wenig später überbrachten Glasmacher ihnen die Kunde, dass der Kleriker und sein Cerberus im Rauch erstickt seien. Auch das Verschwinden der MUTTERGOTTES wurde ihnen beizeiten kundgetan. Für Anna war dies ein untrügliches Zeichen, dass ihre Zeit im Waldgebirge endgültig vorbei sei. Sie schrieb noch am gleichen Tage einen langen Brief an Pfarrer Cyprian und schilderte ihre Not. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Es war der Fürst L, der ihnen durch seinen Verwalter ausrichten ließ, dass in Bälde eine Kutsche unterwegs sei, welche sie unverzüglich nach Mähren bringen soll.

Am Tage, als sie ihre Habseligkeiten gerichtet, hat sich widererwarten noch etwas Wundersames ereignet, was an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben soll. Als Anna am Morgen der Abreise aus der Tür trat, entdeckte sie vor der Gartentür einen schwarzen Holzklotz. Beim Näherkommen erkannte sie, dass es die angebrannte MARIA und ihr KIND waren, die zwar übel zugerichtet aber nicht zerstört den Weg in den Wald zurückgefunden hatten. An der Figur klebte ein Papier mit den Worten „Excusez-moi. Bonne chance – Mariam.“ So trat die verstoßene Dankesgabe, sorgsam verpackt, ihren Weg zu den tiefgläubigen slawischen Untertanen am Rande des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation an, wo sie hinfort als „Köhlermadonna“ die Kirche des Pfarrers Cyprian zierte. Im Herzen des gottlosen, zerrissenen Landes, in welchem schon bald wieder mal schreckliche Kriege tobten, war kein Platz mehr für sie.

Wenige Jahre nach dem Wegzug der Köhler eröffnete ein schlauer Mann in der kleinen Stadt am Rande des Waldgebirges eine große Glashütte. Die meisten Glasmacher zogen dorthin, um fortan als Knechte eines Fabrikherrn zu verdingen.  Zurück blieben drei Bauern, die auf den kargen Wiesen ihre Kühe weideten. In Bälde waren auch sie verschwunden und der Wald verschluckte den Talgrund. Einzig auf dem Hollaberg erhob sich noch, von der Linde beschattet, die Glasmacherkirche, bewahrte für dahin das Gnadenbild. Besucher erzählten, dass Antlitz der HEILIGEN MUTTERGOTTES habe sich verändert. Das feine Lächeln wäre aus ihrem dunklen Antlitz verschwunden. Jäger berichten, sie hätten nach einer verspäteten Heimkehr aus dem Haag einen Hund vom Hollaberg herab erbärmlich jaulen hören. Zuerst hatten sie geglaubt es wäre ein Hund ihrer Meute, der sich verlaufen habe. Jedoch war diese vollständig. Andere berichteten sie hätten zur gleichen Zeit einen Mann mit schwarzen, zerfetzten Kleidern durch den Wald irren sehen, der in einer fremden Sprache etwas in den Wald rief und dabei ein wahnsinniges Gelächter vernehmen ließ.

Anmerkung des Verfassers:

Diese Geschichte und die darin vorkommenden Personen sind frei erfunden. Dennoch beruht sie teilweise auf ähnlich verlaufenden Begebenheiten und historischen Fakten. Eine sagenhafte „Buchen-Maria“ gibt es tatsächlich. Sie wird in einer Wallfahrtskirche im Wald bei Lohr am Main verehrt.

(Siehe Foto (c) PetrusSilesius, CC BY-SA 3.0 <http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/>, via Wikimedia Commons)

Hier in der Nähe soll auch das Märchen von Schneewittchen entstanden sein. Weiterhin wurde eine Madonnenfigur aus Gelnhausen während des 30jährigen Kriegen gerettet und von Hirten im Spessart versteckt, wo sie heute noch in einer kleinen Dorfkirche bewundert werden kann. Einige hochstehende Kleriker im Bistum Mainz waren Ende des 18. Jahrhunderts Freimaurer und sogar Illuminaten und hatten sich ganz der Aufklärung verschrieben.

Bereits während dieser Zeit wehte sogar in katholischen Ländern der traditionellen Kirche der Wind hart ins Gesicht. Kaiser Josef II – ebenfalls Freimaurer – ließ Klöster schließen. Wertvolle Bücher und Handschriften wanderten in die Papiermühle. Diesem Vorbild folgten ab 1800 während der Säkularisation auch die Fürsten in den Süddeutschen Staaten. In Münsterschwarzbach wurde sogar eine Barocke Abteikirche von Balthasar Neumann – gerade mal 50 Jahre alt – zum Abriss freigegeben. Viele Aufklärer hatten gemäß der Ringparabel von Lessing eine große Affinität für den Islam, wobei sie großzügig über den von den Arabern betrieben Sklavenhandel hinwegsahen, ja sogar davon profitierten. Fürst Pückler zum Beispiel kaufte auf dem Sklavenmarkt in Kairo ein 12jähriges farbiges Mädchen, die er später mit nach Deutschland nahm, wo sie schon bald starb.

Meine Geschichte, die bewusst an den Sprachstil der Romantik angelehnt ist und auch Worte enthält, die heute nicht mehr gebräuchlich und sogar verpönt sind, soll vor allem ein Plädoyer für Freiheit, Glauben, Mut und Menschlichkeit sein und zugleich eine Kampfansage an idiologische Verblendung, die ähnlich wie zur Zeit der Aufklärung vor allem von Selbstverliebtheit, Absolutheitsanspruch und Doppelmoral geprägt ist. Ob mir dies gelungen ist, mag der Leser entscheiden.

Klaus Lelek

PP-Redaktion
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Eigentlich ist PP nach wie vor ein Blog. Dennoch hat sich aufgrund der Größe des Blogs inzwischen eine Gruppe an Mitarbeitern rund um den Blogmacher Dr. David Berger gebildet, die man als eine Art Redaktion von PP bezeichnen kann.

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