Am Anfang (11.9.2001) stand der Bündnisfall der Nato. Am Ende ( 31 8. 2021) stand die Flucht aus Kabul/Afghanistan. Ein Gastbeitrag von Dieter Gellhorn
Die tödlichen Anschläge auf das World Trade Center in New York, der teilweise erfolgreiche Anschlag auf das Pentagon in Arlington und der nicht zur Ausführung gekommene jedoch sich im Anflug befindliche Anschlag auf das Weiße Haus in Washington am 9. September 2001 waren eine Kriegserklärung an die USA. So erachteten es auch die Nato-Verbündeten der USA und sahen den Bündnisfall als gegeben an. Als Antwort auf diese Aggression startete die USA nun den „Kampf gegen den Terror“.
Rasch stellte sich nun heraus, dass der saudi-arabisch stämmige Milliardär Osama bin Laden (1954 bis 2011) die 19 dschihadistischen Attentäter für diese vier Angriffe angeworben, koordiniert und dirigiert hatte. Osama bin Laden hielt sich zu der Zeit des Anschlags in einem seiner fünfzig Ausbildungscamps für Terroristen in Afghanistan auf.
Die seit 1996 in Afghanistan herrschenden Taliban weigerten sich, Osama bin Laden an die USA auszuliefern. Deshalb hatten sich dann die USA und ihre Verbündeten entschlossen, das Emirat Afghanistan anzugreifen. Auch auf den Philippinen, am Horn von Afrika und in der Sahelzone wurden in diesem Zusammenhang damals „Antiterrormaßnahmen“ durchgeführt.
Wie in den ersten beiden Sätzen zu lesen war, ist der Gegenangriff der USA und ihrer Verbündeten – zumindest in Afghanistan – letzten Endes nicht zum erwünschten Erfolg gekommen. Es gelang dort wie meist auch andernorts nicht, nach dem siegreichen Einmarsch stabile demokratische und die Menschenrechte garantierende Strukturen aufzubauen.
Mit diesen Misserfolgen in Afghanistan beschäftigen sich – was den deutschen Teil des Einsatzes anbelangt – seit Juli 2022 eine Enquete-Kommission und ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Beide Gruppen sind je 12-köpfig und sie werden beide von je einem SPD-Mitglied des Bundestages geleitet.
Der von der Enquete Kommission bereits vernommene ehemalige Außenminister Joschka Fischer – er war 2001 im Amt – hat erklärte, dass man zu Beginn des Einsatzes kaum Wissen über Afghanistan gehabt hätte, andererseits aber auch kaum die Möglichkeit gehabt hätte, sich dem amerikanischen Unterstützungswunsch zu widersetzen, „ohne einen sehr hohen Preis dafür zu zahlen“.
Vor dem Untersuchungsausschuss, der sich hauptsächlich mit der fast misslungenen Evakuierung der deutschen Botschaft, des Militärs und weiterer Schutzbefohlener beschäftigt, erklärte der zuständige Militär, dass der Zeitraum von 14 Monaten nach dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA am 29. Februar 2020 eigentlich ausreichend gewesen wäre, den Abzug des Militärs, der Botschaftsangehörigen und der ursprünglich mit 11.000 Personen bezifferten Ortskräfte geordnet zu vollziehen, das aber ab Anfang August 2021 alle Planungen von dem raschen Vorrücken der Taliban umgestoßen worden wären.
Der politisch interessierte Zeitgenosse wird wissen, das in zwei der anderen genannten Kriegsschauplätze des Kampfes gegen den Terror (Sahelzone und Horn von Afrika) nach den Putschen in Mali und Niger und nach einem Bürgerkrieg in Äthiopien gegenwärtig auch keine Sicherheit vor terroristischen Aktionen besteht, dass also der „Kampf gegen den Terror“ aus heutiger Sicht auf ganzer Linie verloren scheint.
Obwohl nun der Bundestag gleich mit zwei Organen, sinnigerweise jeweils von einem SPD-Politiker geführt, versucht, aus den unglücklich verlaufenen Vorgängen zu lernen, steuert hier nun ein Gastautor von PP – übrigens kein SPD-Mitglied – auch noch mindestens eine zusätzliche Ansicht auf die Gründe des Misslingens der 20jährigen Aktion in Afghanistan bei.
Bei diesem Einsatz in Afghanistan waren nach und nach 160.000 deutsche Soldaten beteiligt. Davon sind 59 gefallen. Die Zahl der Verletzten war um ein Vielfaches höher.
Es sind in den 20 Jahren aber sogar 2443 US-Soldaten gefallen und 78314 Polizisten und Soldaten der Afghan National Army. Die ebenfalls hohen Verluste anderer Nationen seien hier nicht genannt.
Man wird aber wohl sagen müssen: Es war eine große, opferreiche und trotzdem beharrlich durchgeführte Aktion. Warum aber ist ein so großer und auch mit großer Ausdauer durchgeführter Einsatz letztlich doch gescheitert?
Und das, obwohl es zusätzlich ja noch jede Menge NGO’S gab, die mit Geld, Frau- und Mann – Power versuchten, die afghanische Gesellschaft in Richtung Gleichberechtigung der Frauen und demokratischer Strukturen umzubauen.
Gerade bei den Geldzuwendungen sieht übrigens der Reporter und Autor Wolfgang Bauer, der zwischen 2001 und 2021 das Land jährlich besuchte und von dem auch die obigen Zahlen stammen, das Problem.
In seinem Buch „Am Ende der Straße, Afghanistan zwischen Hoffnung und Scheitern“ zeigte er, wie sich diese Gelder unheilvoll auswirkten. Man hätte durch die Verfügbarkeit dieser Gelder für die Eliten die allgemeine Korruption, an der die afghanische Gesellschaft sowieso schon seit langem litt, extrem aufwuchern lassen.
Zum Schluss sei alles käuflich gewesen, jede Erlangung eines ausgeschriebenen Bau- oder Wartungsauftrags, jeder Rats- oder Bürgermeisterposten, ja sogar jedes Urteil in einem Zivilprozess. Das einzige, was hinterher nicht käuflich gewesen wäre, und was dann auch noch absehbar schnell Ordnung geschaffen hätte, das sei die Schariagerichtsbarkeit der Taliban gewesen.
Natürlich wäre dann die Bevölkerung nach und nach auf die Seite der Taliban gegangen.
Herr Wolfgang Bauer erwähnt als weiteren Grund für das Scheitern der Mission die sachliche Diskrepanz, die in den Tatsachen aufscheint, dass einerseits die Invasionsmächte die Gleichberechtigung der afghanischen Frau in der Gesellschaft einforderten und andererseits die Respektierung der heimischen Kultur verkündeten.
Am Grund der afghanischen Kultur aber – und an dieser Stelle muss ich über Herrn Bauer hinausgehen – befindet sich der Koran/ Islam. Diesen aber wollte man tolerieren und diesen griff auch Herr Bauer nicht einmal in einem einzigen seiner Sätze an. Im Gegenteil zitierte er an einer Stelle die Sure 113 in einer so milden Fassung, wie ich sie in keiner der mir vorliegenden acht Übersetzungen gefunden habe, auch nicht in der von der muslimischen Weltliga akzeptierten von Abdel Khoury von 2018.
Es ist aber notwenig bei der Retrospektion dieses so gewaltig fehlgeschlagenen Einsatzes Roß und Reiter des Problems zu nennen. Reiter ist in diesem Fall der Islam, der in Asien seine herrschende Ausprägung in Deoband gefunden hat, einer nordindischen Stadt nahe der Grenze zu Nepal.
An der dort befindlichen Moschee-Universität, in der 370 Dozenten unterrichten und laufend 6 bis 7.000 Studenten ausgebildet werden, hat nämlich das Führungspersonal der Taliban studiert. Dort haben sie sich in mehrjährigen Kursen zu glaubensfesten und gewaltbereiten Muslimen ausbilden lassen.
Diese Moschee- Universität, genannt Dar ul Ulum, Haus der Weisheit, bildet auch die Imame für über 50% der pakistanischen Moscheen aus und – im Gefolge der pakistanischen Einwanderer – auch die Imame für etwa 600 Moscheen im Vereinigten Königreich.
Ja, es stimmt, in diesem dort propagierten Weltbild spielt das Patriarchat eine sehr wichtige Rolle; wichtiger aber noch ist der Suprimat der islamischen Religion über alle anderen Religionen ( Sure 8, Vers 39).
Folglich war es unmöglich, ungläubige Besatzer im eigenen Land zu akzeptieren und schon gar nicht, sich von ihnen eine islamfremde Regierungsform aufzwingen zu lassen.
Unmöglich war es dann auch, von ihnen favorisierte – obendrein auch noch korrupte – Präsidenten zu akzeptieren, ob sie nun Hamid Karzai oder Ashraf Afgani hießen.
Besonders aber hatten die Muslime und die Taliban Sure 3, Vers 110 verinnerlicht:
„IHR SEID DIE BESTE GEMEINSCHAFT, DIE FÜR DIE MENSCHEN HERVORGEBRACHT WORDEN IST. IHR GEBIETET DAS RECHTE UND VERBIETET DAS VERWERFLICHE UND GLAUBT AN ALLAH. …“ [ der Vers, der die Klammer zwischen Islam und sog. politischen Islam darstellt]
Die afghanische Gesellschaft hatte sich so gestärkt schon Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber einer Eroberung durch eine fremdkulturelle Macht als resilient erwiesen. So hatte man im Chaiberpass, der das britische Westindien (das heutige Pakistan) mit Afghanistan verband, eine 16.000 Mann starke britische Invasionstruppe bis auf einen Mann vernichtet. Theodor Fontane hat dieses Drama in einem unsterblichen Gedicht verewigt.
Im 20.Jahrhundert hatte Afghanistan zweimal schon eine atheistisch kommunistische Regierung abgeschüttelt und nun sollte man sich der Führung durch eine unggläubige von den USA-angeführte Besatzungsmacht ergeben?
Es war eigentlich nicht überraschend, dass der von den Muslimen und insonderheit von den Taliban als vom Himmel gegeben empfundene Koran/Islam sich da als die stärkere Macht erwies. Es war nicht überraschend schon von der auf beiden Seiten eingesetzten Geistpower her. Was aber hätte man bei dieser Gemengelage besser machen können und müssen?
Nun, man hätte in Afghanistan von Anfang an wenigstens Keimzellen des Christentums implantieren müssen, z. B. an der Universität Kabul einen Studienzweig Katholische Theologie anbieten müssen – auch wenn es anfangs nur um einen Religionsvergleich gegangen wäre.
Wichtiger noch: man hätte die evangelische Karmelmission, die in den Nachbarländern Indien und Pakistan mit einigem Erfolg missioniert, ins Land holen sollen und natürlich dann auch diesen dann entstehenden christlichen Gemeinschaften ganz entschiedenen Schutz bieten müssen ( nicht nur mit sechs Personen, wie vereinzelt tatsächlich versucht wurde, eine einzelne Kirche zu schützen).
Zur Motivation eines solchen Vorgehens aber hätte ein Wissen des westlichen Führungspersonals gehört, dass der geschichtliche Prozess des Erringens der nun im Westen gegebenen gesellschaftlichen Freiheiten ein ins Säkulare gewendeter Ausfluss der Werte des Christentums selbst war – auch wenn sie oft im Kampf gegen ihn errungen zu sein schienen.
Dazu hätte zudem ein Wissen darum gehört, dass man zivilisatorische Treppen nur Stufe um Stufe ersteigen kann und dass im Regelfall man die christlichen Stufen nicht einfach aussparen kann.
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