Samstag, 27. April 2024

Schandmal Mauer: Nicht ruhen, bis die Mörder Verantwortung übernehmen!

Von Anfang an waren es SED-Chef Walter Ulbricht samt SED-Führung, die den Bau der Mauer systematisch betrieben. Moskau hingegen fürchtete die Konfrontation mit den USA und blockierte die Bestrebungen der SED-Führung für lange Zeit. Ein Gastbeitrag von Angelika Barbe

Als am 13. August vor 62 Jahren – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – die Berliner Mauer gebaut wurde, zweifelte niemand daran, dass Moskau die Fäden gezogen hatte. Zu abhängig waren beide geteilte deutsche Staaten von ihren „großen Brüdern” USA und Sowjetunion. Doch anhand ausgewerteter Quellen wies Historikerin Hope M. Harrison nach, dass es von Anfang SED-Chef Walter Ulbricht samt SED-Führung waren, die den Bau der Mauer systematisch betrieben. Moskau hingegen fürchtete die Konfrontation mit den USA und blockierte die Bestrebungen der SED-Führung für lange Zeit.

Taktische Winkelzüge

Hope Harrison rekonstruierte minutiös, welche Grenzschließungsszenarien die SED-Führung jahrelang durchzusetzen versuchte, welche taktischen Winkelzüge sie gegenüber Moskau anwandte und wie schließlich die KPdSU-Führung unter Chruschtschow ihre Ablehnung aufgab und dem Mauerbau zustimmte. Sie war eine der Ersten, die nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten in den Archiven Ost-Berlins und Moskaus recherchierte, um  Antworten auf ihre Fragen zu finden: Wie kam es zum Mauerbau – und wer trug die Verantwortung für die verbrecherische Spal-tung der deutschen Nation in der Nachkriegsgeschichte? Die Ergebnisse veröffentlichte die amerikanische Historikerin Harrison im Jahre 2003 in englischer Sprache unter dem Titel „Driving the Soviets up the Wall“. Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus erschien 2011 die deutsche Version „Ulbrichts Mauer“.

Schandmal-Erbauer Ulbricht

Man muss betonen, dass ihre Recherchen die SED-Lüge zum Einsturz brachte, an Mauerbau und mörderischem Mauerregime seien allein die Sowjets schuld. So war es mitnichten.  In ihrem Buch untersuchte Harrison den Mauerbau im Kontext sowjetisch-ostdeutscher Beziehungen von 1945 bis 1961 und lieferte einen detailreichen Rückblick auf die Entwicklung des deutschen Kommunismus unter SED-Herrschaft.

Das Ergebnis fällt für Ulbricht, Honecker und ihre SED-Genossen verheerend aus. Die deutschen Kommunisten dachten nicht daran, bloße Befehlsempfänger der Sowjetunion zu sein, wie es der letzte DDR-Machthaber Egon Krenz in seinem Prozess verharmloste. Das eigenmächtige Vorgehen der SED-Führung brachte die sowjetische Seite unter Führung Nikita Chruschtschows sogar in erhebliche Schwierigkeiten.

Harrison urteilte; „Ulbricht ging es mehr um seine eigene Macht als um das Schicksal der deutschen Nation“. Denn die Mauer sicherte Macht und Existenz der SED. Gleichzeitig war es ein Zugeständnis, dabei versagt zu haben, DDR-Bürger von der kommunistischen Weltanschauung zu überzeugen. Bis 1961 verließen etwa 2,5 Millionen Menschen die DDR, bis 1989 noch einmal eine Million, Es war die Politik der Kommunisten, die nicht funktionierte– vom Anfang bis zum Ende. Die Bevölkerung versagte der SED die Anerkennung, denn freie Wahlen kamen für die SED nie infrage.

Um seine Macht zu sichern, begann Ulbricht schon Anfang der fünfziger Jahre, das Konzept einer kompletten Abriegelung der Grenze zu West-Berlin zu entwickeln. Er versuchte unaufhörlich, Moskau für diese Idee zu gewinnen. Schließlich wurde Berlin gemeinsam von den vier Siegermächten des Zweiten Weltkrieges verwaltet Die Westmächte dachten gar nicht daran, das SED-Regime anzuerkennen. Ulbricht war sogar bereit, beide Supermächte Sowjetunion und USA in eine direkte Auseinandersetzung zu treiben. Er war es, der mit eigenmächtigem Handeln im Oktober 1961– drei Monate nach der Grenzschließung – die berüchtigte Panzerkonfrontation am Checkpoint Charlie auslöste

Ost-Berlin als Schaufenster des Kommunismus

Chruschtschow dagegen verfolgte eine andere Strategie. Für ihn war Deutschland das „wichtigste Testgebiet im Wettstreit zwischen Kommunismus und Kapitalismus“. Während einige   KPDSU-Granden Moskau nach dem Aufstand am 17. Juni 1953 das Experiment DDR auf-geben wollten, machte er den ostdeutschen Staat zum „Superverbündeten“, der militärisch wie wirtschaftlich gefördert werden musste. Mithilfe deutscher Tatkraft sollte in Berlin ein werbewirksames Schaufenster des Kommunismus entstehen. Der Erfolg blieb aus und so begann auch Chruschtschow darüber nachzudenken, das „Schlupfloch Berlin“ zu schließen und die Westmächte aus der Stadt herauszudrängen. Im Ultimatum vom November 1958  wies er offen auf die Existenz von Atomwaffen in der Sowjetunion hin. Die US-Regierung behielt die Nerven. Präsident John F. Kennedy, der im Januar 1961 sein Amt antrat, machte beim Gipfeltreffen in Wien unmissverständlich klar, dass die USA ihre Rechte in Berlin not-falls auch mit militärischen Mitteln verteidigen werden. Die Welt stand am atomaren Abgrund und der Sowjetführer knickte ein. Krieg stand für ihn nicht auf der Tagesordnung.

Als Anfang Juli Ulbricht angesichts exorbitanter Flüchtlingszahlen den Offenbarungseid gegenüber dem sowjetischen Botschafter leistete, musste Chruschtschow handeln. Ulbricht bekam seine Mauer, der Befehl dazu stammte aus Moskau.

Gedenken an die Opfer des deutschen Schandmals

Angesichts des offiziellen Gedenkens an über tausend Morde durch SED-Mauer und Stachel-draht fragt sich der Bürger, warum die Mauerbauer Ulbricht und Honecker in den politischen  Sonntagsreden nicht vorkommen, warum der kalte Krieg an allem schuld war und damit die Toten erneut ermordet werden. Ich erinnere an SED und Unrechtsstaat DDR, die 17 Mio. Bürger einmauern ließen, um sie mit Schießbefehl und Selbstschussanlagen an der Flucht in die Freiheit zu hindern–und frage, warum die SED-Diktatur seit 1989 systematisch verharmlost wird. Ich kann die Worte Bundespräsident Raus nicht vergessen, der die Mauer als Verbrechen gegen das eigene Volk bezeichnete und frage, warum SED-Verbrecher mit Hilfe der Kartellparteien an die Macht geholt wurden – etwa weil sie damit zur Festigung heutiger Machtverhältnisse beitragen?

Ich denke an Willy Brandt, Sozialdemokrat und ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin, der 1961 auf Seiten flüchtender Opfer stand, die nicht im gigantischen Gefängnis DDR leben wollten und frage, warum seine Erben sich heute mit den Tätern- der mehrfach umbenannten SED – die sich unter das Tarndach Linke flüchtet- verbünden. Denn die Mörder sind noch heute unter uns. Es kommt nicht darauf an, was sie sagen oder heuchlerisch bedauern. Es kommt darauf an, was sie weglassen. Bis heute fehlt ein Eingeständnis der SED/Linke, für den Unrechtsstaat DDR verantwortlich zu sein. Einzelnes Unrecht wird scheinheilig zugestanden, aber das ge-samte kommunistische SED-Regime wird verteidigt. Solange die Verantwortung verschleiert wird, darf niemand ungestraft mit den Schuldigen zusammenarbeiten.

Ich denke an die Mauer – als Symbol von Unfreiheit und kommunistischer Unterdrückung und an alle, die für die Freiheit ihr Leben gaben.

Ich anerkenne nur den Politiker, der verspricht und umsetzt:

– nicht eher zu ruhen, bis das Vermächtnis der politisch Verfolgten eingelöst wird, stets für die Freiheit einzutreten,

– nicht eher zu ruhen, bis die Toten dem Vergessen entrissen sind und die Lebenden Gerechtigkeit erfahren,

– nicht eher zu ruhen, bis Mörder und Befehlsgeber Verantwortung übernehmen.

David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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