Er starb an einem Januar-Tag, wie sein jahrzehntelanger Mentor Rainer Hildebrandt (09.01.2004): Wie erst jetzt bekannt wurde, starb am 9. Januar 2022 in Berlin der am 16. August 1937 in Leipzig geborene und 1962 bei Kohlhasenbrück in Berlin geflohene ehemalige DDR-Grenzsoldat Rudi Thurow im Alter von 84 Jahren.
Nachdem der lange geleugnete Schießbefehl auch für seine Einheit wirksam wurde, flüchtete der damalige Unteroffizier zusammen mit drei Zivil-Personen im Februar 1962 nach West-Berlin und gehörte damit zu den dadurch besonders bekannt gewordenen Uniformierten des „Ersten Arbeiter- und Bauernstaates“, die nach dem Mauerbau im August 1961 in die Freiheit flohen. Thurow hatte nach eigener Darstellung heimlich den Sender RIAS gehört und erfahren, wie zwischenzeitlich immer wieder Flüchtlinge durch den Beschuss von DDR-Grenzern ums Leben gekommen waren. Durch seine Flucht wollte er sich einer solchen belastenden Situation entziehen.
Der einstige Mauer-Grenzer wurde zum Fluchthelfer
Thurow war auch als Fluchthelfer bis 1975 in verschiedenen Fluchthelfergruppen tätig und verhalf somit erfolgreich Hunderten DDR-Bürgern zur Flucht in die ersehnte Freiheit. Diese Tätigkeit, im Stasi-Sprech als „verbrecherische Handlungen gegen die DDR“ bezeichnet, blieb natürlich nicht unbemerkt. Das MfS (Ministerium für Staatssicherheit) leitete „eine intensive Aufklärung“ ein, wie aus den später zugänglichen Stasi-Akten hervorging.
Rainer Hildebrandt, der Gründer des Mauermuseums „Haus am Checkpoint Charlie“ setzte Rudi Thurow schon früh mit dieser Broschüre ein Denkmal.
Der ursprüngliche Plan, Thurow zu entführen und einer Bestrafung zuzuführen, wurde später in eine „Maßnahme zur Liquidierung“ abgeändert.
In einer „als geeignet“ ausgemachten Umgebung in Berlin-Zehlendorf sollte ein Raubmord vorgetäuscht, der abtrünnige DDR-Soldat mit einem Hammer nächtens erschlagen werden.
Thurow arbeitete sich nach der Wiedervereinigung durch seine Stasi-Akten und fand die beabsichtigten Täter heraus. Den seinerzeitigen Mordbefehl hatte kein Geringerer als der Stasi-Generalmajor Karl Kleinjung unterzeichnet. Die Versuche, mit den einstige Tätern ins Gespräch zu kommen, scheiterten auch im Fall Thurow. Mit einem TV-Team hatte dieser versucht, die Hintergründe seiner damaligen Verfolgung aufzuklären. Er scheiterte an der konsequenten Aussageverweigerung der einstigen Akteure.
Ermittlungsverfahren gegen Mord-Auftraggeber eingestellt
Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft stellte Ende der 90er-Jahre auch das Ermittlungs-verfahren gegen Stasi-Generalmajor Kleinjung und die anderen, hier wegen des Mordplans an Thurow, ein. Die Begründung in diesem Fall: Der Mord war nicht ausgeführt worden. Immerhin wurde auf der anderen Seite die Arbeit des einstigen DDR-Unteroffiziers 2012 mit dem Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik Deutschland gewürdigt.
Nun hat Thurow den Boden dieser Erde verlassen. In Erinnerung wird er seinen Begleitern, Freunden und einstigen Flüchtlingen als ein geradliniger, ehrlicher und von seinen Überzeugungen geprägter Mensch bleiben, dem es gelang, sich den verleumderischen Attitüden eines unmenschlichen Systems nicht nur zu entziehen, sondern dieses auch wirksam durch erfolgreiche Fluchthelferaktionen zu bekämpfen. Er wird uns als Unteroffizier der DDR-Grenztruppen in bleibender Erinnerung bleiben, der durch seinen gelebten Widerstand bewies, das der Geist eines Graf Schenk von Stauffenberg das Hinrichtungs-Peloton überlebt hat.
Erstveröffentlichung: Redaktion Hoheneck, Berlin