Nach langen Überlegungen unter einem drückenden Gefühl des Eingesperrtseins umgeben von Paranoia und Wahn in der BRD hatte ich mich entschlossen eine Reise zu unternehmen, und der Würfel war für Kastilien gefallen. Bis zuletzt hatte ich gezittert, ob eine Reise sinnvoll, ja ob sie überhaupt möglich sein würde. Ein Gastbeitrag von Bernd Fischer
Mein alter Freund José, der mit den res politicae Spaniens bestens vertraut ist, befürchtete nämlich, dass die Corona-Maßnahmen nach der Regionalwahl in Katalonien, die im Februar stattfand, auch in Madrid noch verschärft würden. Ein Madrid mit ähnlichen diktatorischen Maßnahmen wie in der BRD hätte natürlich seinen ganzen Reiz eingebüßt. Zum anderen bemerkte ich zu meinem Schrecken, wie sehr sich das Gift der Unfreiheit, das sich in der BRD ausgebreitet hatte, auch schon in meinem Gehirn festgesetzt hatte. Unbewusst hatte ich das Gefühle etwas zu unternehmen, was sich nicht gehörte. Manche in meinem Bekanntenkreis, die unter einer Art Corona-Paranoia leiden, warfen mir Landesverrat vor, zumindest stillschweigend:
„Wie kannst du nur in diesen Zeiten, wo unser Vater-/Mutter-/Vorfahren-mit-nicht-binärer-Sexualität-Land bzw. Besiedlungsgebiet BRD vor einer solch bedeutenden historischen Aufgabe steht, überhaupt an Reisen denken!“
Die Verbotspropaganda von Angela Merkel, Helge Braun und ihren Mitgenossen hatte ihre Wirkung nicht verfehlt: Von Reisen wird dringend abgeraten, selbst in die Staaten des Warschauer Paktes! Diese psychologische Last empfand ich seit längerem auch schon beim abendlichen Fernsehen. Wenn immer sich Menschen in den Filmen umarmten oder mit Küsschen versahen, fielen mir die AHA-Regeln ein, hustete jemand, dann lief innerlich das Lothar-Wieler-Teletubby-Band ab:
„Wenn wir Symptome für eine akute Atemwegserkrankung erkennen, dann bleiben wir bitte zuhause und rufen einen Arzt an“.
Wie unvorsichtig! Corona-Leugner! schoss es mir durch den Kopf! Bis zuletzt befürchtete ich, dass nicht essentielle Reisen (wie de facto ja in der BRD durch das Beherbergungsverbot) auch ins europäische Ausland unmöglich gemacht würden. Aber so war es zum Glück nicht. Madrid schien dem Druck der Landesregierung und der Corona-Aktivisten standzuhalten. So machte ich mich schließlich an die Buchungen, wie an etwas, das wie eine heimliche Flucht schwierig zu realisieren sein würde. Ich dachte an James Bond, wenn er mal wieder eine Reise unternahm, die den vom MI6 erteilten Anordnungen zuwiderlief. Zu meiner großen Verblüffung verlief dann alles irgendwie — normal! Die Buchung der Flüge verlief gänzlich unproblematisch, auch wurden von der Linie Flüge nicht kurzfristig wegen mangelnder Ausbuchung gestrichen, was lästige Telefonaktionen bzw. Warten im Niemandsland der Telefons-Warteschleifen nach sich gezogen hätte. Manche Hotels wiesen darauf hin, dass sie derzeit noch lokale Corona-Maßregeln umsetzen müssten, und daher nicht ausschließen könnten, Gäste in andere Quartiere transferieren zu müssen. Eines, das eine feste Zusage geben konnte, fand sich dann aber doch recht schnell. Problematischer war die Organisation des Corona-Tests. Da es ein PCR-Test sein musste, der bei der Einreise nicht älter als 72 Stunden sein durfte, ging ich auf Nummer sicher und ließ meinen am Flughafen in Frankfurt nehmen. Das war zwar völlig unproblematisch, aber auch sehr teuer. Insgesamt haben mich die drei vorzunehmenden Tests (der zweite binnen 48 Stunden, der dritte fünf Tage nach der Rückkehr, um die Quarantäne aufzuheben) fast so viel gekostet wie die Flugtickets. Während des Goldrausches verdienten vor allem die Hersteller der Schürfwerkzeuge daran, heute sind es die Testcenter (und einige CDU-Politikern). Der Preis für die Freiheit! Am schwierigsten war noch die Beschaffung der Eintrittskarte für das Teatro Real, denn Einzelkarten können aufgrund der coronabedingten Einschränkung für die verfügbaren Sitze nicht über das Internet gebucht werden, sondern nur telefonisch oder vor Ort. Im Kartenbüro ging aber sehr beharrlich niemand ans Telefon. Erst als ich fast schon die Hoffnung aufgeben hatte, kam ich doch noch durch und konnte einen akzeptablen Logenplatz ergattern.
In Madrid angekommen, beschloss ich vom Flughafen mit dem Zug in die Stadt zu fahren. Das Terminal war fast menschenleer und auch auf dem Gleis, in dem bereits der Zug wartete, fand sich keine einzige Menschenseele. Um mich bei den Bediensteten der Bahn zu erkundigen, musste ich das gesamte, mehrere hundert Meter lange Gleis abschreiten, um dabei festzustellen, dass ich tatsächlich der einzige Fahrgast war! Wie passend zu meinem schlechten Corona-Gewissen! Aber was hatte ich erwartet? Vielleicht 100DM Begrüßungsgeld? Die guten Bürger der BRD bleiben eben zuhause! Während der Fahrt sinnierte ich darüber, welcher von den folgenden Wielerschen kategorischen Imperativen durch Sinnfreiheit und gebetsmühlenartige Wiederholung nerviger geworden war: „Wir bleiben zuhause!“ oder „Bleiben Sie gesund!“?
Am Morgen nach meiner Ankunft machte ich von der hier herrschenden Freiheit sogleich Gebrauch, indem ich einen langen Spaziergang entlang der Calle de Alcalá über die Puerta del Sol bis zur Plaza Mayor unternahm, wo ich mich gleich in den Außenbereich eines Restaurants setzte. Wie oft hatte ich mir diesen Augenblick in den Wochen zuvor ausgemalt, ja ihm förmlich entgegengefiebert. Denn in der BRD ist es lediglich gestattet, sich etwas „to go“ (noch so eine klebrige Floskel) aushändigen zu lassen und es dann in gehörigen Abstand wie degenerierte Tiere umgeben von Müllhaufen auf einer Parkbank, auf dem Rand eines Blumenkübels oder ähnlichem zu sich zu nehmen; eine Maßregel, die genauso nutzlos-symbolisch ist wie das Tragen von Masken von einer Handvoll Fußballfunktionären in einem riesigen Fußballstadion. Die Mehrzahl der Menschen in der BRD benötigen wohl solche selbsterniedrigen Gesten, um den Glauben an die Anti-Corona-Frühjahrsoffensive zu festigen. Dazu passend die Meldung aus Düsseldorf: Passanten am Rheinufer werden von den Ordnungskräften ermahnt, wenn sie an einem Ort verharren anstatt zügig weiterzugehen!
Vorsicht auf der Plaza Mayor!
Auf der Plaza Mayor jedoch ein unbeschreibliches Gefühl der Freiheit! Es ist fast wie immer, nur dass an diesem Mittwochmittag dieser Monumentalplatz beinahe menschenleer ist. Bemerkbar machen sich lediglich die Franzosen, doch auch sie verlieren sich in dieser großen Stadt. (Fast) keine Deutschen — wie angenehm! Überall in Madrid herrscht strikter Maskenzwang. Selbst in den Restaurants und Cafés müsste man sie eigentlich tragen, wenn man nicht gerade etwas isst oder trinkt. Dies wird von den allermeisten jedoch nicht befolgt und von den Kellnern auch nicht beanstandet. Überall sonst tragen die Madrilenen aber ihre Masken mit einer unfassbaren Disziplin, selbst in den entlegensten Parkanlagen. Man sieht auch fast nie jemanden mit einer schlampig angelegten Maske, die etwa den Nasenbereich freiließe. Scheinbar hat Corona in der ersten Welle doch einen gehörigen Effekt erzielt. Auch die saftigen Bußgelder mögen eine Rolle spielen, allerdings waren nirgendwo Kontrollen zu bemerken.
Unvermittelt tritt eine ältere Dame an meinen Tisch heran, um mich zu warnen. Ich solle doch meinen Rucksack im Auge behalten, den ich etwas entfernt auf einem der Stühle abgelegt hatte. Der würde sonst schnell mal gestohlen! Die Rumänen! Wie reagierte ich Trottel? Ich sagte artig „gracias“, und bevor ich zur Besinnung kam, war sie auch schon entschwunden. Sonst hätte ich ihr noch entgegnen können, dass diese Aussage ja wohl „voll rassistisch“ gewesen sei! Ich würde ihr als Bürger der BRD trotz meiner völligen Unkenntnis über die konkreten Gegebenheiten in Madrid sehr gerne einmal auseinandersetzen, wie sich die Dinge wirklich verhielten! Selbst wenn es sich um Rumänen handelte, hätten wir in der BRD einen Grad der multikulturellen Toleranz erreicht, der uns diese Tatsache schlichtweg verdrängen ließe. Schließlich gäbe es ja noch eine höhere Erkenntnisebene als die Realität (etwas was die Linken in der BRD ohnehin als eher störend empfinden), nämlich jene der ideellen Werte. Wie gesagt, das hätte ich sagen sollen! Ärgerlich, dass ich’s nicht tat! Denn man sollte rassistischen Äußerungen immer gleich mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Sonst gibt es da kein Halten mehr. Da wird sich am Ende vielleicht noch zu der gänzlich abwegigen Bemerkung verstiegen, in Berlin gäbe es kriminelle Clans!
Inquisition und die Professoren auf dem Narrenschiff BRD
Beim Flanieren durch die Straßen und über die Plätze wird mir bewusst, dass Madrid doch im Wesentlichen eine Stadt des 19. Jahrhunderts ist. Gewiss gibt es die bereits erwähnte, im 17. Jahrhundert unter den Habsburgern geschaffene Plaza Mayor. Ebenso wie der kurz zuvor entstandene Place des Vosges in Paris, an die sie erinnert, ist die Plaza Mayor von einer gewissen Strenge und Nüchternheit gekennzeichnet. (Die Wandverzierungen an der Casa de la Panadería —das Bäckerhaus—stammen aus den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts und wirken etwas fremdartig.)
Selbst beim Sinnieren über die historische Funktion wird man hier schon wieder an die politische Lage in der BRD erinnert, denn hier fanden die berüchtigten Autodafés (siehe Bild, abgeleitet vom lateinischen actus fidei, also Akt des Glaubens) samt der sich anschließenden Verbrennungen der Ketzer statt. Nun soweit sind wir in der BRD noch nicht ganz, aber wodurch unterscheidet sich die Verbissenheit, mit der die woken links-grünen Kampfverbände die Sache der Political Correctness und die Ausgrenzung der Abtrünnigen forcieren, von der heiligen Inbrunst, mit der die Spanische Kirche die Inquisition betrieb? So sehr man die Situation in der BRD auch ignorieren möchte, sobald man sich in den Nachrichtenfluss einklinkt, erreichen einen auch in Madrid Nachrichten über die Akte des Wahnsinns: Die Medien berichten über die Freie Universität Berlin und ihrer Bemühungen für „eine gender- und diversitätsbewusste Sprache“. In Anschreiben werden Professoren nun mit „Sehr geehrt* Professor“ angeredet. (Nun sollen also auch Adjektive „gegendert“ werden!) Professoren, die sich darüber beschweren, werden barsch zurechtgewiesen. Rudolf Stöber, Professor für Publizistik an der Universität Bamberg, veröffentlichte in der Fachzeitschrift „Publizistik“ einen Artikel in dem er die Gendersprache scharf kritisierte und mit dem „Neusprech“ des Romans 1984 von George Orwell verglich. Eiligst wurde ein offener Brief verfasst und von vielen hunderten von Stöbers Kollegen unterschrieben, in dem ihm vorgeworfen wurde, er verließe „die Ebene einer sachlichen Argumentation“. Aus diesem Grunde hätte sein Beitrag überhaupt nicht veröffentlicht werden dürfen! Es wird wohl nicht mehr allzu lange dauern, bis die moderne Inquisition in der BRD eine solche Macht erreichen wird, dass ein Stöber (und die verantwortlichen Redakteure der Zeitschrift) über einem solchen Beitrag ihren Job verlieren! Dazu passend: Befreundete Studenten berichten über Notenabzüge, wenn in Seminararbeiten die Regeln der Political correctness verletzt werden. Finis Academiae!
Aber aus mit dem Sender und wieder zurück nach Madrid und zur nahegelegenen Plaza de la Villa mit dem alten Rathaus.
Sie ist ebenfalls ein Zeugnis für das Wirken der Habsburger in Madrid. Man könnte hier noch einige wenige andere Bauwerke aus der Zeit der Habsburger oder des Spätmittelalters (etwa die Klöster) anführen, doch sie prägen diese Stadt nicht. Und nichts von alledem reicht an den Glanz der Städte Toledo und Segovia heran! Die entscheidende Ausformung erfährt Madrid, wie bereits angedeutet, erst im neunzehnten Jahrhundert. Da erst werden die großen Ringstraßen mit ihren imposanten Gebäuden und Plätzen geschaffen. Madrid war nämlich lange Zeit eine recht unbedeutende Provinzstadt und obendrein ohne Bischofssitz. Dies änderte sich erst, als Philipp II 1561 den Sitz der Regierung nach Madrid verlegte. Beim Flanieren über die Prachtstraßen wie der Calle de Alcalá, der Gran Via oder der Calle de Serrano mit ihren klassizistischen und historistischen Prachtbauten erlangt man einen Eindruck von dem gewaltigen Impuls, der auf die Stadtentwicklung in diesem Jahrhundert ausging.
Abends dann noch in eine Flamenco-Tablao auf Empfehlung einer Freundin! Selbst das ist in Madrid möglich! Nicht alle Tablaos sind geöffnet, sei es, weil die Corona-Auflagen dies nicht zulassen oder weil die Touristenzahlen zu gering sind. Nach einigen Telefonaten fand sich dann doch eine, die geöffnet hatte: Cardamono, ganz in der Nähe meines Hotels. Es war ein großartiges Erlebnis, nach der langen Dürrephase in der BRD wieder einmal Zeuge einer derartigen Eruption (anders kann man es nicht bezeichnen) künstlerischen Willens zu werden. Der Begriff Zeuge trifft es allerdings nur unvollständig, denn als Zuschauer wird man förmlich in diesen Kampf zwischen den Geschlechtern (was soll es sonst darstellen?) hineingerissen! Man spürt förmlich, wie die Tänzer sich nach und nach völlig in diesem Tanz verlieren und sich in einem Zustand befinden, der vielleicht eher einem Trancezustand entspricht. Nachher wird einem nur umso schmerzlicher bewusst, welche seelischen Schäden in der BRD durch das Zusperren vergleichbarer künstlerischer Begegnungsstätten hervorgerufen werden. Ist es richtig, diese als so gering anzusehen?
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Zum Autor: Dr. Bernd Fischer hat viele Jahre in leitenden Positionen in der Finanzindustrie gearbeitet. Er ist ausgebildeter Physiker und promovierter Mathematiker.
Seit ca. einem Jahr auch freiberuflicher Schriftsteller.
Mehr von ihm finden Sie auf seinem Blog www.philippicae.de.
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