Keine große deutsche Metropole wird von den Corona-Maßnahmen so hart getroffen wie Berlin. Ein Gastbeitrag von Norman Hanert
Als Tesla-Gründer Elon Musk Anfang September die Baustelle für sein erstes europäisches Großwerk besuchte, war er voll des Lobes für die Berliner „Gigafactory“. Tatsächlich wird Teslas erstes europäisches Autowerk im Land Brandenburg errichtet. Die Aufmunterung durch den bekennenden Berlin-Fan Musk kann die Hauptstadt allerdings gut gebrauchen.
Derzeit regnen auf Berlin nämlich vor allem Hiobsbotschaften nieder. Wirtschaftlich läuft es seit dem Beginn der Pandemie-Maßnahmen im März sogar noch schlechter als in vielen anderen Gegenden Deutschlands. Die Stadt hängt stark von Tourismus, Dienstleistungen sowie von der sogenannten Kreativ- und Eventbranche ab. Diese Sektoren haben der Millionenmetropole in den vergangenen Jahren zu einem kräftigen Wirtschaftswachstum verholfen. Seit März sind aber gerade diese Boombranchen besonders stark vom Wegbleiben der vielen Berlin-Besucher betroffen. Gleichzeitig fehlt Berlin, einst die größte Industriestadt des Kontinents, eine breite Basis an verarbeitenden Betrieben.
Insgesamt fällt der wirtschaftliche Absturz in der Hauptstadt so heftig und tiefgreifend aus, dass in der „FAZ“ unlängst sogar schon vom „Ende des Berliner Geschäftsmodells“ die Rede war. Ein Alarmsignal für die Metropole.
Touristenzahlen stürzen ab
Bislang war vor allem der Tourismus eine Erfolgsgeschichte. Noch im Februar hatten Visit-Berlin-Chef Burkhard Kieker und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) voller Stolz neue Rekordzahlen für den Hauptstadttourismus präsentiert. 2019 hatten fast 14 Millionen Besucher in Berliner Hotels und Pensionen übernachtet. Die Bilanz von mehr als 34 Millionen Übernachtungen katapultierte die Hauptstadt Deutschlands sogar in die Gruppe der Weltstädte mit mehr als 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr.
„Wir spielen in der Liga von New York, Dubai und Singapur“, so Kieker damals. Auch Pop befand: „Berlin bleibt ein Magnet für Menschen aus aller Welt.“ Der sogenannte Corona-Lockdown im März hat diese Entwicklung jäh unterbrochen. Seit Ende Mai sind die Hotels in Berlin zwar wieder für Touristen geöffnet – diese bleiben jedoch weiterhin weg.
Laut Zahlen des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg kamen im Juni nur noch rund 270.000 Gäste an die Spree. Im Juni des Vorjahres zog es noch mehr als 1,2 Millionen Touristen nach Berlin. Besonders stark eingebrochen sind die Buchungszahlen ausländischer Reisender: Die Zahl der Gäste aus den USA und Asien sank im Vergleich zum Juni des Vorjahres um 90 Prozent.
Einen drastischen Rückgang des Geschäfts meldet auch die Immobilienwirtschaft. Besonders extrem war die Entwicklung bei Büroflächen: Die Branche hat zwischen April und Juni in Berlin nur noch etwas mehr als halb so viele Vermietungsverträge abgeschlossen wie im gleichen Vorjahreszeitraum. Insgesamt wurden in der ersten Jahreshälfte 2020 etwa 80.000 Quadratmeter Bürofläche weniger vermietet als ein Jahr zuvor. Noch ist die Leerstandsrate bei Büros zwar niedrig. Experten sehen durch den Trend zur Heimarbeit auf Berlin aber ein generelles Überangebot an Büroflächen zukommen: „Mittelfristig werden mindestens 30 Prozent der jetzt bestehenden Büroflächen in Berlin verschwinden“, so Sven Wingerter vom Beratungsunternehmen Eurocres.
Dramatischer Einbruch bei Büros
Für die Stadt könnte diese Entwicklung bedeuten, dass, so Wingerters Schätzung, rund sechs Millionen Quadratmeter Bürofläche nicht mehr gebraucht würden. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln könnte die zunehmende Heimarbeit auch dafür sorgen, dass die Büromieten in Deutschland und Europa dauerhaft niedriger bleiben. Für Berlin sagen die IW-Forscher in diesem Jahr einen dramatischen Preiseinbruch bei den Büromieten um ein Fünftel voraus.
Dieser Absturz könnte viele Investoren auf dem falschen Fuß erwischen. Gerade Bürobauten rechneten sich für sie bislang am besten. Entsprechend hoch ist das Volumen an hochpreisig kalkulierten Büroflächen, die in Berlin und anderen deutschen Großstädten derzeit noch im Bau sind. Was wird aus den Gebäuden und ihren Investoren, wenn sich später weder Käufer noch Mieter finden?
Obsolet sind möglicherweise auch die bisherigen Prognosen zum Wachsen der Bevölkerungszahl Berlins. Nach neuen Daten des Landesamts für Statistik betrug der Nettozuwachs im ersten Quartal dieses Jahres nur noch 61 Einwohner. Bereits vergangenes Jahr, also vor Corona, hatte sich angedeutet, dass der Zuzug aus dem Ausland nach Berlin nachlässt. Im Gegenzug hält der Weggang deutscher Staatsbürger von Berlin in Richtung Brandenburg weiter an.
Der Beitrag erschien zuerst in der PAZ