(Dagmar R. Heinemann) Viel zu lange hat die AfD sich von einer sehr lauten Minderheit auf der Nase herumtanzen lassen. Der Bedeutungsgewinn, den diese 20-Prozent-Gruppierung dadurch erzielt hat, ist selbstverschuldet. Und genau deshalb auch umkehrbar!
Wer im großen Schachspiel des Richtungskampfes der AfD seine Figuren vor dem Endspiel in die besseren Positionen gebracht hat, wird in den letzten Tagen immer deutlicher. Über viele Wochen schon hatte die bürgerliche Basis ihrem Unmut in Form einer Mail-Welle Luft verschafft. Von etwa 3000 Mails, die den bürgerlichen Teil des Bundesvorstandes erreicht hätten, ist die Rede. Tenor: Macht die Flügelauflösung glaubwürdig und echt!
Geheimbundartige Vernetzung
Als Auffangversuch ist dem Vernehmen nach auch eine mittelgroße Flügelwelle über den Vorstand geschwappt. Zweifellos unbeabsichtigt dürfte diese den Adressaten allerdings das Problem noch einmal deutlich vor Augen geführt haben. Teils haben Flügler stolz von ihren „Klartext“-Mails berichtet und man ahnt die spezielle Art der Ansprache, die mancher wohl für nötig hielt.
Zur Erinnerung: Der Verfassungsschutz spricht von Einschüchterungs-Methoden und von Mobbing, das vom Flügel ausgehe, um die innerparteiliche Debatte aus der zahlenschwachen Flügelbasis heraus zu dominieren. Geschätzte 20 Prozent der AfD-Mitglieder sind Sympathisanten des Flügels, darunter aber nur ein kleiner Teil „Stramme“. Nichtsdestotrotz: Eine geschickte – teils geheimbundartige Vernetzung – hat diese 20 Prozent in die Lage versetzt, vor Abstimmungen sehr verlässliche Absprachen zu treffen, sodass sich auch einige – im Endergebnis fehlkalkulierende – Karrieristen, Opportunisten und Ängstliche situativ pragmatisch angeschlossen haben.
Druck von der bürgerlichen Basis
Über Wochen entstand von außen betrachtet der Eindruck, das „Team Meuthen“ habe nicht gerade ein glückliches strategisches Händchen und sei womöglich ebenso wenig handlungsbereit wie -fähig. Einerseits sorgte das Vorpreschen des Bundessprechers in Sachen offener Diskussion über Grundsatzfragen auf der Seite des Flügels für Unmut. Andererseits stiegen dem Bundesvorstand die Bürgerlichen aufs Dach. Sie hatten endgültig die Nase voll davon, sich ständig von blaugetarnten nationalen Linken mit braunen Einsprengseln in Mithaftung nehmen zu lassen und durch die Flügelauflösung nun auch selbst ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten. Die Bürgerlichen verlangten, dass die Parteiführung endlich alle entsprechend der Satzung und dem Parteigesetz zur Verfügung stehenden Mittel konsequent nutze, um die Partei vor schädlichen Einflüssen und Unterwanderung zu schützen.
Wohlüberlegte Konsequenz
Nun zeigte sich, dass der Bundesvorstand keineswegs mutlos und unentschlossen ist, sondern die vielen Wochen des scheinbaren Laufenlassens schlicht nur der gründlichen Vorbereitung dienten. Eine neue Beweislage hatte die Annullierung der Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz notwendig und auch möglich gemacht. Ein so weitreichender Beschluss musste sowohl juristisch als auch hinsichtlich der parteiinternen Wirkung wohlbedacht und geprüft werden. Mit beherztem Durchgreifen ohne rechtssichere Basis wäre es nicht getan gewesen. Die Entscheidung musste einer qualifizierten juristischen Überprüfung der anwaltlichen Gegenseite und ggf. eines Gerichts standhalten können.
Kalkulation der Effekte
Deshalb darf man sicher davon ausgehen, dass das Fehlen des Aufnahmeantrags bei der Überprüfung als unerheblicher Malus erkannt wurde und nicht – wie von interessierter Seite im Nachgang zur Entscheidung behauptet – erst am Tag nach dem Akt. Dass solche Gerüchte in Umlauf gesetzt wurden, zeigt einmal mehr die maßlose Selbstgewissheit und Überheblichkeit, aus der heraus nicht wenige Flügelvertreter alle und jeden außerhalb ihrer eigenen Gruppierung für töricht und oberflächlich halten.
Und um auch das klarzustellen: Garantiert wurde in den Planspielen der Wochen zuvor auch das „innerparteiliche Erdbeben“, das einer Annullierung der Kalbitz-Mitgliedschaft folgen könnte, berücksichtigt, entsprechend diverse Varianten der Reaktion durchgerechnet und Optionen einer ggf. notwendigen Gegenreaktion beschrieben.
Aus die Maus, Kalbitz ist raus!
Das ist laut Faktenlage konsequent. Der eiligst zusammengesuchte Aufschrei der Bedenkenträger – von Kalbitz-Anhängern wie AfD-Gegnern in seltsamer Querfront – ändert daran nichts. Dass AfD-Gegner teilweise juristisch die Kalbitz-Position stärken, belegt übrigens sehr eindrucksvoll, wie nützlich Protagonisten wie Kalbitz für „das System“ sind. „Das System“ hat keinerlei Interesse an einer AfD ohne Höcke und Co. Denn sie sind es, die die AfD verlässlich klein halten.
Popstar Höcke
Andreas Kalbitz war schon lange viel bedeutsamer als der wenig stressfeste und eher als Projektionsfläche benutzte Popstar Höcke. Dass die Annullierung gleichzeitig den Start für eine innerparteiliche Rückbesinnung auf die klassische AfD und auf ihre Gründungsideale darstellt, hat Jörg Meuthen im Interview in der Sendung Maischberger am 20. Mai deutlich gemacht, ohne es auszusprechen. Für Szenarien von „wohltemperierter Grausamkeit“, wie Björn Höcke sie ausmalt, ist da kein Raum. Ebenso wenig für Sozialismus, der durch kluges Wording als „Sozialpatriotismus“ getarnt wird. Auch libertäre Träumer sollten nicht vorschnell triumphieren. Die klassische AfD steht durchaus auch mit beiden Beinen im Konzept der Sozialen Marktwirtschaft. Dass Björn Höcke Meuthens Verortung im Rahmen seiner Diffamierungs-Kampagne negiert und alleinige Kompetenz in diesen Fragen bei sich und den Seinen sieht, ist ebenso falsch wie irrelevant.
Thüringen und Brandenburg – AfDDR 2.0
In diesen Bundesländern haben Kalbitz und Höcke nahezu alle Andersdenkenden entfernt. Ein Heer von strammen Flüglern bildet an Stelle positiv-gärender demokratischer Vielfalt die Gemeinschaft der Aktiven. Dort ist das Prinzip DDR 2.0 weiter fortgeschritten als irgendwo sonst in Deutschland. Was insbesondere die Flügler (aber auch die CDU selbst) Angela Merkel vorwerfen, Gleichschaltung und Unterdrückung von Kritikern, ist in diesen Bundesländern AfD-seitig in Perfektion vollendet, aber eher nicht gewieft dezent, sondern stumpf und unmissverständlich.
Die bisher stillen bürgerlichen Partei-Mitglieder dieser Bundesländer sollten sich nun sehr genau überlegen, ob sie nicht den Schwung der Gesamtpartei nutzen wollen und einen neuen Versuch wagen, sich Raum zu verschaffen. Die strammen Flügler wiederum sollten sich ihrerseits überlegen, ob es nicht klug wäre, das Unterdrücken innerparteilicher Vielfalt zu unterlassen und Zeichen – auch personelle – für einen anderen Kurs zu setzen.
Sollte es daher noch irgendwem klug erscheinen, auch in Zukunft Anführern zu folgen und sie zu wählen, die den eigenen Landesverband im Failed-State-Status belassen wollen? Ein Erfolgsrezept ist das ganz sicher nicht!