Donnerstag, 21. November 2024

Der ewig Hundertprozentige

Realitätsverweigerung, Heuchelei und Denunziantentum als Massenphänomen. In einem Land, in dem die Geistesstörung zum Normativ erhoben worden ist. Ein Gastbeitrag von Frank Haubold

Während Politik und Medien nicht müde werden, ihr Publikum auf die Gefährlichkeit vermeintlich „rechter“ Tendenzen in der Gesellschaft aufmerksam zu machen (was in volkspädagogischen Tatort-„Krimis“ mitunter zur kompletten Realitätsumkehr führt), erfährt eine andere Klientel kaum kritische Würdigung. Dabei handelt es sich um jene Spezies fortschrittlicher Mitmenschen, die weniger Wohlgesonnene gern als „Bahnhofsklatscher“ oder „Gutmenschen“ bezeichnen. Ich nenne sie hier „Hundertprozentige“, auch um eine gewisse Kontinuität aufzuzeigen, denn Hundertprozentige sind eigentlich ein Symptom von Diktaturen. In einer Demokratie mit Meinungspluralismus und einer funktionierenden Diskussionskultur ist normalerweise kein Platz für Hundertprozentige, die das Lied der Herrschenden singen und sogar für ihr eigenes halten. Ihr massenhaftes Auftreten hierzulande ist Alarmsignal und Armutszeugnis zugleich.

Blauäugig, dämlich oder realitätsfern

Was kennzeichnet einen Hundertprozentigen heutzutage? Er ist zutiefst davon überzeugt oder gibt dies wenigstens vor, dass das politische System der Bundesrepublik perfekt und im Sinne des Souveräns funktioniert, dass die Parteien der politischen Willensbildung dienen (und nicht etwa vorrangig dem eigenen Machterhalt und dem Einkommen der Funktionärskaste), dass Justiz und Medien jederzeit ihrer Funktion gerecht werden und die Entscheidungen der Regierenden wohlbegründet und rechtskonform sind. Das kann man je nach Gemütslage als blauäugig, dämlich oder realitätsfern bezeichnen, es richtet aber weniger Schaden an als jene Grundüberzeugungen, zu denen ich noch komme.

Eine davon – ausbildungs- und medieninduziert – ist seine grundsätzliche Aversion gegen jede patriotische Regung. Unter ständigem Verweis auf die NS-Zeit hat man dem Hundertprozentigen beigebracht, dass Deutschsein niemals etwas Positives sein kann und Stolz auf das eigenen Land, die eigene Geschichte und Kultur schnurstracks in den Nationalsozialismus samt Krieg und Massenmord führt. Um diese Gefahr zu bannen, bliebe einzig der Weg in die multiethnische und -kulturelle Gesellschaft, weshalb Zuwanderung, gleich mit welcher Motivation, generell etwas Positives sei. Wer anderer Meinung sei oder gar Zweifel an der Legitimität staatlichen Handelns äußere, könne nur ein Rassist, Fremdenfeind, Brandstifter und letztlich „Nazi“ (dieser Kampfbegriff hat inzwischen pseudoreligiösen Charakter angenommen und im hiesigen Sprachgebrauch den Teufel/Satan/Widersacher abgelöst) sein. Infolge dieser Prägung richtet sich das Sinnen und Trachten des Hundertprozentigen im Kern darauf, erstens die genannten Ansichten als seine eigenen zu vertreten und zweitens, den als Kritikern getarnten „Nazis“ die Stirn zu bieten.

Schwer mit dem gesunden Menschenverstand kompatibel

Was einfach klingt, hat in der Realität durchaus seine Tücken, denn zum Leidwesen des Hundertprozentigen besteht die Gesellschaft nicht nur aus gleichgesinnten Musterdemokraten, integrationsfreudigen Zuwanderern und finsteren Nazis. Folglich ist eine ganze Reihe von Hilfskonstruktionen notwendig, um das eigene Welt- und Feindbild intakt zu halten und kaum eine davon ist mit dem gesunden Menschenverstand kompatibel. Zu welchen Verwerfungen die mediale Prägung, gepaart mit Obrigkeitshörigkeit und Sendungsbewusstsein führt, zeigt das Verhalten des typischen Hundertprozentigen in der aktuellen Zuwanderungsdiskussion.

War er im Herbst 2015 noch euphorisiert ob der zu Zehntausenden ins Land strömenden Schutzbedürftigen und der Tag für Tag mit Willkommensplakaten und Spielzeugwurfgeschossen auf Grenzbahnhöfen präsenten Menschenmenge, so musste er doch bald erkennen, wie die allgemeine Begeisterung abflaute. Dabei stand doch in jeder Zeitung, dass die Neuankömmlinge erstens die von der Wirtschaft dringend benötigten Fachkräfte wären und zweitens schon bald durch ihre Sozialbeiträge die Renten (also auch die seine) sichern würden. Dass die meisten von ihnen männlich waren, hatte sicherlich mit der beschwerlichen Flucht zu tun, die man Frauen unmöglich zumuten konnte.

Kein Interesse an den Opfern, sondern nur an den politischen Folgen

Als dann Kölner Silvesternacht kam und mit ihr die ersten Berichte über kriminelle Zuwanderer, fühlte er sich schwer gekränkt. Weniger der Opfer wegen, für die echte Hundertprozentige ohnehin erstaunlich wenig Empathie aufbringen, sondern weil derartige Berichte natürlich den Nazis und Ausländerfeinden in die Hände spielten, die bekanntlich nur darauf warteten, Pogrome anzuzetteln. „Der Schoß ist fruchtbar noch“, hatte er schließlich gelernt und es galt „den Anfängen zu wehren“.

Außerdem war es doch ganz normal, dass traumatisierte Flüchtlinge gelegentlich Schwierigkeiten mit dem komplizierten Regelwerk bundesdeutscher Rechtsvorschriften hatten, kamen sie doch aus einer ganz anderen Kultur. Was der Hundertprozentige als besonders ärgerlich empfand, war, dass einige verantwortungslose Blätter die von Schutzsuchenden im öffentlichen Raum verübten sexuellen Übergriffe bis hin zu Vergewaltigungen nicht mehr wie früher verschwiegen und damit den Nazis von AfD & Co. Gelegenheit gaben, sie zu „instrumentalisieren“. Da konnte er sich im „Zeit“- und „Spiegel online“-Forum die Finger wund schreiben, es gab immer noch Leute, die den „Rattenfängern“ auf den Leim gingen.

An seiner positiven Grundeinstellung zur Zuwanderung konnten derart hochgespielte „Einzelfälle“ natürlich nichts ändern. Sobald er erfuhr, dass irgendwo „Schutzsuchende“ auf Grund angeblicher Straftaten oder fehlender Asylgründe abgeschoben werden sollen, war er auch weiterhin außer sich vor Empörung und sofort zur Stelle, um derlei fremdenfeindliche Willkürakte zu verhindern. Problematischer wurde es, als tatsächlich zu Terrorakten kam. Für die konnten eigentlich nur Geistesgestörte verantwortlich sein, schließlich hatten Politik und Medien doch einhellig verkündet, dass von Flüchtlingen keinerlei terroristische Gefahr ausging. Wenigstens machte man offiziell keinerlei Aufhebens um die Opfer, denn große Staatsakte oder öffentliche Begräbnisfeierlichkeiten wären ja nur Wasser auf die Mühlen der Nazis gewesen.

Islam-Appeasement

Obwohl er sich selbst nicht viel aus Religion macht, ist der Hundertprozentige durchaus bereit, religiös gebundenen Zuwanderern entgegenzukommen, zumindest wenn sie Moslems sind. So hat er nichts gegen ein Schweinefleischverbot in Kindertagesstätten und Schulen (seine eigenen Kinder, so vorhanden, besuchen Privatschulen, wo sich das Problem nicht stellt), getrennten Schwimmunterricht für Jungen und Mädchen und öffentlich finanzierte Moscheebauten. Obwohl er ein vehementer Befürworter der Gleichberechtigung ist, versteht er, dass die Errungenschaften der westliche Zivilisation Neuankömmlingen aus anderen Kulturkreisen nicht einfach übergestülpt werden können. Deshalb lehnt er die Kinderehe auch nicht prinzipiell ab, solange alle Beteiligten mit dem Arrangement zufrieden sind. Im Grunde ist so ein armes Mädchen doch schlimmer dran, wenn es aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wird und die Bezugsperson fehlt.

Der Hundertprozentige ist stolz auf seine Toleranz und sein Verständnis für fremde Kulturen, mögen ihm manche Sitten und Gebräuche auch seltsam erscheinen. Besser als die „völkische Deutschtümelei“ der „Rechtspopulisten“ (so bezeichnet er „Nazis“, die sich juristisch wehren könnten) sind sie allemal, auch und vor allem im Hinblick auf die gemeinsame multikulturelle Zukunft, auf die er sich schon freut. Er ist natürlich überzeugt, dass die Neuankömmlinge sein Engagement zu schätzen wissen und ihm die gleiche Zuneigung entgegenbringen, wie er ihnen. Da er nur selten ausgeht und schon gar nicht nachts oder in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, hat er bislang auch keinerlei Anlass zu begründeten Zweifeln. Den Verlautbarungen sogenannter „Islamkritiker“ aus den Herkunftsländern der Schutzsuchenden traut er dagegen keine Sekunde über den Weg. Vermutlich wurden diese Querulanten von den Nazis dazu gebracht, schlecht von ihren ehemaligen Landleuten zu reden. Fremdenfeinde sind nicht nur bösartig, sondern auch raffiniert.

Divergenzen zwischen Wirklichkeit und Ideal machen den Hundertprozentigen zornig

Auf sein fortschrittliches Weltbild lässt der Hundertprozentige nichts kommen. Genau genommen liebt er es mehr als sich selbst, was ihm leichtfällt, wurde ihm doch die Abneigung gegen das eigene Volk (zu dem er ja leider doch noch irgendwie gehört), seine Vorfahren und die deutsche Kultur von Kindheit an eingepflanzt. Deshalb nimmt er die Realität nur zur Kenntnis, wenn sie mit seinem Weltbild und den Verlautbarungen der Medien übereinstimmt.

Weist man ihn auf die Divergenzen zwischen Wirklichkeit und Ideal hin, dann vergisst er alle Toleranz und wird richtig böse, denn wer so etwas versucht, kann nur ein verkappter Nazi sein. Nazis und „Rechte“ überhaupt hasst der Hundertprozentige aus vollem Herzen. Deshalb hat er im Grunde auch nichts gegen Angriffe auf AfD-Funktionäre und -Einrichtungen oder gewalttätige Gegendemonstrationen, hütet sich aber, das öffentlich zuzugeben. Zur „Zivilcourage“ im „Kampf gegen rechts“ ruft er dagegen gern auf, und wenn diese am Ende doch in Gewalt mündet, ist es ja nicht seine Schuld.

Da der Hundertprozentige seine Informationen ausschließlich aus „seriösen“ Medien bezieht und insbesondere „Tagesschau“ und „heute“ als Born objektiver und unabhängiger Information schätzt, ist er auch ein überzeugter Streiter gegen den menschengemachten Klimawandel, den er inzwischen beinahe noch mehr fürchtet als die Machtergreifung der Höcke-Nazis. Da er sich selbst nie getraut hat, die Schule zu schwänzen, hält er die freitäglichen Hüpf-Rituale der Greta-Jugend für ein leuchtendes Beispiel von Verantwortungsbewusstsein und Zivilcourage. Zwar sind seine naturwissenschaftlichen Kenntnisse ausbildungsbedingt eher bescheiden, aber dergleichen bedarf es auch nicht, wenn 97 Prozent aller Wissenschaftler vom menschengemachten Klimawandel überzeugt sind (dass diese Zahl eine ziemlich kühne Interpretation der Untersuchungen von Cook et al. ist, weiß er erstens nicht und würde es zweitens auch niemals glauben).

„Klimaleugner“ (die heutige Entsprechung von Satanisten und Hexen) hasst er ebenso inbrünstig, wie er die Gallionsfiguren des juvenilen Feldzugs gegen das vornehmlich von bösartigen alten weißen Männern erzeugten Kohledioxid verehrt. Natürlich ist er für den vollständigen Ersatz fossiler Brennstoffe durch Solar- und Windkraftanlagen (dass das problemlos möglich ist, weiß er aus dem Fernsehen) und würde auch SUV-Fahrer hassen, wenn er nicht selbst ein solches Fahrzeug besäße (natürlich nur wegen des leichteren Einstiegs und seiner maroden Bandscheiben).

Ohnehin ist das Engagement des Hundertprozentigen bundesrepublikanischer Prägung in erster Linie dadurch geprägt, dass es sich nach außen richtet und von der Allgemeinheit zu finanzieren ist. Selbstverständlich ist er für die Aufnahme von Flüchtlingen aller Couleur, es sei denn, eine entsprechende Einrichtung sei im eigenen Umfeld geplant. Das würde den historisch gewachsenen Charakter des Wohnquartiers genauso zerstören wie etwa eine Windkraftanlage in weniger als zehn Kilometer Entfernung. Langstreckenflüge lehnt er ab, es sei denn, sie führten die eigene Familie in den Karibik-Urlaub, der – so wird er nicht müde zu behaupten – nicht etwa dem Vergnügen dient, sondern der Gewinnung „authentischer Erkenntnisse“ über Land und Leute. Schließlich kann man im Zeitalter der Globalisierung nicht einfach den Kopf in den Sand stecken…#

„Klimaleugnung“ generell unter Strafe zu stellen

Um die Welt vor dem Hitzetod zu retten und Hamburg vor der Überflutung (die aus medienpolitischer Sicht durchaus ihre Vorzüge hätte), ist der Hundertprozentige jedoch durchaus für restriktive Maßnahmen. So unterstützt er auch den Vorschlag des Fördervereins Solarenergie, „Klimaleugnung“ generell unter Strafe zu stellen. Das würde ihm zudem die Möglichkeit geben, entsprechende Missetäter nicht nur zu identifizieren, sondern auch per Anzeige ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Im Grunde versteht der Hundertprozentige ohnehin nicht, dass „Fremdenfeinde“, „Rechte“ und „Klimaleugner“ noch frei herumlaufen dürfen. Liberalität hat schließlich ihre Grenzen, wenn es um das „Große und Ganze“ geht.

Käme allerdings jemand auf die gar nicht so fernliegende Idee, ihn auf die geschichtliche Kontinuität derartiger Ansichten und Forderungen nach staatlicher Repression (vom Volks- über den Klassenfeind zum Fremden- und Klimafeind) hinzuweisen, würde er die entsprechenden Analogien empört zurückweisen.

Nun könnte man mit einiger Berechtigung postulieren, der Hundertprozentige sei in Wirklichkeit ein wahrnehmungsgestörter Psychopath, aber in einem Land, in dem die Geistesstörung zum Normativ erhoben worden ist, gelten rationale Betrachtungen nicht mehr. Dieses Gemeinwesen ist längst zu einem Land geworden, gegen das jede Psychiatrie ein Hort der Vernunft ist.

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