Mittwoch, 24. April 2024

„indymedia“: Von einem alternativen Nachrichtenportal ins gesellschaftliche Abseits

Die Geschichte von „Indymedia“, die Abkürzung für „Independent Media Center“, beginnt im Jahr 1999. In Seattle findet die Ministerkonferenz der Wirtschafts- und Handelsminister der WTO statt. Teile der antikapitalistischen Linken gründen als Reaktion auf das politische Stelldichein ein eigenes Netzwerk. Das Internet steckt noch in den Kinderschuhen, doch die ersten computeraffinen Anarchisten wollen sich vernetzen und eine Nachrichtenplattform gegen den mächtigen Mainstream errichten. Man versteht sich als vollkommen unabhängig und kooperiert mit keinen anderen Nachrichtenstrukturen.

Ein Siegeszug

„Die Berichterstattung entspricht vielmehr dem bunten Bauchladen des politischen Aktivismus“, schreibt die linke Zeitschrift „Der Freitag“ im Jahr 2001. Das Herzstück der Seite ist das sogenannte „Open Posting“ – Jeder darf schreiben, kommentieren, mitmachen – egal, was er von sich gibt. „Indymedia“ begibt sich weltweit auf den dezentralen Siegeszug des Internets. 2002 gibt es bereits fast 50 Ableger, im Vorfeld eines Castortransportes gründet sich schließlich die deutsche „Indymedia“.

In Berlin-Kreuzberg treffen sich fast 50 deutsche Aktivisten, die ihren eigenen Graswurzel-Ableger gegen die „etablierte Presse“ starten wollen. „Da sieht, hört und liest man doch nie, was in Wirklichkeit passiert“, meint eine Aktivistin gegenüber Telepolis im März 2001. Ein Vorbote der „Lügenpresse“-Gegner von linker Seite.

Die Linken jubeln, nach Jahren der „neoliberalen Agenda“ formiert sich etwas wie ein anarchistischer Widerstand, eine schlagkräftige Medienplattform gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt ; unzensiert, frei und ohne kapitalistische Strukturen. Man spricht sogar von einer „neuen APO“ (Telepolis). Die „neuen Linken“ sind vielfältig, modern, internetaffin und haben ein hohes Mobilisierungspotenzial. Man schafft einen „Kommunikationskorridor für die linke Szene“.

„linksunten.indymedia“ gründet sich

Der radikale Linksruck, die übertriebene Politisierung, die Darstellung als arme Opfer des Systems, aber vor allem die Aufrufe zur Gewalt und die Veröffentlichung von Bekennerschreiben, fanden zu Beginn von „indymedia“ kaum statt. Erst mit der Gründung von „linksunten.indymedia“ gelingt man in radikaleres Fahrwasser. Dabei handelt es sich im weitesten Sinne um einen Ableger, der am 23. Mai 2008 gegründet und nur auf Süddeutschland begrenzt sein sollte. „indymedia.linksunten“ bietet offen gewaltbereiten Linken eine Plattform. Radikaler und energischer zieht es schnell am Original vorbei. Ein Grund für die Spaltung sind „Differenzen“ mit dem älteren deutschlandweiten Netzwerk. Die Moderationseingriffe im alten „indymedia“ sind dem neuen, süddeutschen Kollektiv zu stark. „Linksunten“ steht nämlich nicht nur für die politische Ausrichtung, sondern auch für die Gründung aus dem schwäbischen Raum.

Zeitgleich schwimmen den ursprünglichen „indymedia.org“-Betreibern die Felle davon. Die oftmals wohlgesonnene „taz“ titelt im November 2012: „Vom modernen Netz überholt“ – zudem reduziert sich das Organisations- und Redaktionsteam von 100 auf nunmehr 15 Personen. Zwischen den Beiträgen vergehen gelegentlich mehrere Wochen, betont die „taz“ und schreibt weiter, „Indymedia erstarrt langsam“. Der Mainstream und die Linksradikalen interessieren sich nicht mehr für das alternative Projekt der alternden Vorkämpfer. Viel interessanter ist das neue Portal „linksunten.indymedia“, durch eine „schwache Moderation“, werden fast alle Beiträge veröffentlicht, redaktionelle Leitlinien existieren nicht wirklich. Außerdem kann man auf dem neuen Portal anonym und unzensiert diskutieren.

Die Politik schläft

Fast neun Jahre kann sich „linksunten“ austoben. Anleitungen zum Bau von Molotowcocktails? Kein Problem! Veröffentlichung  privater Adressen? Legitim, so lange es gegen „Rechte“ geht. Hass, Gewaltaufrufe, Tipps und Tricks gegen Polizisten und den Staat, linke Ideologien, extremistische Vernetzungen und Inhalte, die den Raum der Rechtsstaatlichkeit längst verlassen haben. Irgendwann kommt es sogar zum indirekten Mordaufruf am Berliner Innensenator Frank Henkel (CDU): „Henkel in den Kofferraum“, als Anlehnung an die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Für den Verfassungsschutz ist nach neun Jahren klar: „Die Plattform „linksunten.indymedia“ hatte sich zu dem mit Abstand bekanntesten und wichtigsten Medium des gewaltorientierten Linksextremismus entwickelt.“

Das Innenministerium greift durch

Im August 2017 dann der Schlag gegen das Netzwerk: Eine Hausdurchsuchung gegen die mutmaßlichen Betreiber aus Freiburg. Sie berichten gegenüber dem „Neuen Deutschland“, dass sie erst während der Hausdurchsuchung, um halb sechs morgens, vom Verbot und den Ermittlungen erfahren haben. Zeitgleich, am 25. August 2017, folgt ein Polizeieinsatz mit Razzia beim lokalen Antifa-Zentrum, dem städtisch finanzierten „KTS“ in Freiburg. Dort findet man zwar Waffen und hohe Geldbeträge, für das Innenministerium besteht aber kein Zusammenhang zwischen den (freien) Waffen und dem Portal: „Die Waffenfunde sind Zufallsfunde, die eine nachgeordnete Rolle spielen und deren Bewertung nun Sache der Strafverfolgungsbehörden ist“. Gleichzeitig beschlagnahmt man Computer, Notizen, Tresore und Festplatten, die die Beweise liefern sollen, auf die alle warteten.

Das Innenministerium unter Thomas de Maizière verbietet die Plattform mit sofortiger Wirkung. Dabei geht man den rechtlich fragwürdigen Weg des Vereinsverbotes, da „linksunten“ weder Vereinsstrukturen besitzt noch ein eingetragener Verein ist. In diese Richtung zielt auch die Kritik der Betreiber, die schließlich gegen das Verbot klagen. Dass das Verbot ein politisches Verbot war, liegt in linken Kreisen auf der Hand, auch von bürgerlicher Warte aus betrachtet verwundert das urplötzliche Vorgehen: Die Inhalte hatten sich in Fragen der Radikalität und der Gewalt im Vergleich zu den Vorjahren nicht unterschieden. Bis August 2017 hatten das Innenministerium und der Verfassungsschutz Nachsicht gezeigt.

Ein besonderer August

Der August 2017 ist allerdings ein besonderer August: die Bundestagswahl steht vor der Tür und die CDU sorgt sich, trotz nicht ganz schockierender Umfragewerte, um die Wählerstimmen, zumal der Staat und die etablierten Parteien im Angesicht der linksextremen G20-Krawalle kurz zuvor versagt hatten. Also spielt de Maizière kurzerhand mit Peitsche statt mit Zuckerbrot und besänftigt die konservativen Wählerscharen, indem er zum „Schlag“ gegen die Linksextremen ausholte. Das sahen auch die linksradikalen Betreiber im Umfeld des KTS so. Sie beschreiben die Aktion rückblickend:

 „Es war offensichtlich nicht so, dass sie Angst vor körperlichen Angriffen durch uns hatten, das hat man gemerkt. Trotzdem haben sie bei der Durchsuchung von einem Appartement die komplette Straße mit Bullenautos zugeparkt und insgesamt rund 50 Beamte rund um das Haus abgestellt. Das war eine mediale Inszenierung, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das deutet darauf hin, dass es bei dem Verbot nicht in erster Linie darum ging, Beweise zu finden, sondern ein mediales Ereignis im Vorfeld der Bundestagswahl zu schaffen“

Es hilft wenig. Die CDU stürzt auf knapp 33 Prozent ab. Trotz alledem wird „linksunten.indymedia“ schließlich vom Netz genommen und die Ermittlungen beginnen. Für Anfang 2019 werden drei Prozesstage angesetzt, die schließlich verschoben werden. Die linken Betreiber suhlen sich im Vorfeld in Unschuld – sie seien nur Moderatoren, die fragwürdigen Inhalte haben die Autoren zu verantworten und diese seien nicht herauszufinden, der Quellenschutz auf „linksunten“ funktioniere hervorragend. Zumal alles von der Meinungsfreiheit gedeckt sei und nicht zensiert werden dürfe, so die Argumentation. Zwei Jahre ermittelt die Polizei. Dann, am 19. August 2019, die abschließende Verhandlung und der juristische Paukenschlag: Alle elf Verfahren werden mit sofortiger Wirkung eingestellt. Es konnten nicht genügend Beweise gesichert werden. Was ergaben die Auswertungen der beschlagnahmten Speichermedien? Gar nichts. Es gelang der Polizei nicht die Verschlüsselung zu knacken.

Juristisch fragwürdiges Urteil

Das Entscheidung der Richter ist zweifelhaft: Die Anklage lautete unter anderem auf „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ und dem „Verstoß gegen das Vereinsgesetz“. Dass der Weg über den „Verein“ von vornherein eine Farce war, um einen rechtlichen Hebel anzusetzen, der nicht direkt die volle Härte der „kriminellen Vereinigung“ innehat, war abzusehen. Wenn allerdings eine Gruppe – im Umkreis eines linksradikalen Zentrums – nachweislich eine Plattform betreibt, die zu Straftaten aufruft und sich gegen die BRD als Rechtsstaat stellt, bei einer Razzia Bargeldbeträge und legale und illegale Waffen gefunden werden, von denen auszugehen ist, dass sie gegen Polizisten eingesetzt werden, die elektronischen Nachweise bereits vorher verschlüsselt wurden und das Vorgehen der Staatsanwaltschaft vorausahnten, dann kann der Freispruch durchaus als fragwürdig gelten.

Die Linken freuen sich zwar, sehen sich aber wie immer unfair behandelt  und bestreiten weiter den Rechtsweg. Dafür gibt es schließlich den mittlerweile vom Verfassungsschutz genannten Verein „Rote Hilfe e.V“ der für „linksunten.indymedia“ Spenden sammelt, mit Verquickungen bis in die oberste Politiketage aufwarten kann und straffällige Linksextreme unterstützt. Aber ist die Geschichte nicht abgeschlossen? Die „taz“ fasst zusammen: Zwar seien die Betreiber ohne Verurteilung davongekommen, allerdings bestehe das fragwürdige „Vereinsverbot“ noch weiter. Dementsprechend bleibe „linksunten.indymedia“ weiterhin offline. Über die Rechtmäßigkeit des Verbotes entscheidet im Januar das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Sinnloses Verbot und Rochade

Trotzdem täuscht das augenscheinliche Abschalten von „linksunten“ die Öffentlichkeit noch immer über die linksextremen Vernetzungen hinweg. Viele der Texte, Hass- und Gewaltaufrufe und Bekennerschreiben über Straftaten haben den Weg zum alten „indymedia“ gefunden, der Vorgänger aus den frühen 2000ern, von dem sich „linksunten“ abgespalten hatte. Alles viel harmloser als der verbotene Ableger? Keineswegs.

Im September 2018 – als noch immer die Öffentlichkeit vom „linksunten“-Verbot geblendet war – schreibt ein Autor auf der angeblich harmloseren Seite „indymedia.org“: „besser sind gaspistolen. sie haben magazine mit über 15 patronen. in der kammer findet eine patrone ebenfalls platz. bei einer konfrontation mit faschos hat dies mehr wirkung auf den feind. wenn man einmal dabei ist zu schiessen, macht es sinn das magazin leer zu schiessen und so schnell als möglich zu flüchten. beim laden des magazin sollten lieber keine fingerabdrücke auf den patronen sein. also fasst die pfefferpatronen nur mit haushaltshandschuhe an. ein aufgesetzer schuss aus einer gaspistole auf einen nazi am kopf oder am herz ist sofort tödlich.(Fehler aus dem Original übernommen)

In den letzten zwei Jahren macht das alte „indymedia“ insbesondere gegen die AfD mobil und übernimmt nahtlos die Aufgabe von „linksunten.indymedia“. Man postet Bekennerschreiben zu Angriffen auf das „Bürgertum“, das „Kapital“ und verweist regelmäßig auf „heldenhafte“ linke Straftäter. Selbst mit der Kooperation und Textübernahmen von anderen linksradikalen Seiten, schafft es das Portal aber lediglich auf eine Handvoll Beiträge pro Tag. Trotzdem ist die Seite – nach der Abschaltung von „indymedia.linksunten“ – der zentrale Knotenpunkt für die Linksextremisten in Deutschland geworden und hat die Lücke der „Tochterseite“ so gut es geht gefüllt. „Man habe nach der Schließung von »linksunten« beschlossen, die radikale Linke wieder stärker in den Vordergrund zu rücken“, sagt ein anonymer Aktivist gegenüber der „taz“. Das ist längst geschehen. Der Öffentlichkeit und der Politik ist das Scheitern ihres Verbotes durch simple Umschiffungstaktik nicht ansatzweise bewusst.

Der Beitrag erschien zuerst bei dem Internetmagazin BLICK nach LINKS

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PP-Redaktion
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