Ein Gastbeitrag von David Leukert
Gegen Waldorfschulen ist eigentlich nichts einzuwenden, es sei denn, man findet Handarbeitsunterricht schlecht, in dem auch zehnjährige Jungs lernen wie man Topflappen häkelt, ohne eine Masche fallen zu lassen.
Mediale Miesmacher schafften es in den letzten Wochen trotzdem, den mit weltweit 1182 Schulen erfolgreichsten deutschen Kulturexport zu diskreditieren. Das Kontraste Magazin der ARD etwa nahm das hundertjährige Jubiläum zum Anlass, die Verbreitung „einer fragwürdigen Ideologie“ zu unterstellen. Und die Redakteure aus Potsdam meinten damit nicht den garantiert recherchefreien Haltungsjournalismus, oder den an öffentlichen Schulen grassierenden Vulgärmarxismus, sondern die ganzheitliche Erziehungsmethode der Rudolf Steiner Schulen, die sowohl in Berlin-Dahlem als auch in den Slums von Sao Paolo Filialen führen, um Kindern jenseits von Klassenunterschieden beizubringen, wie man ein halbwegs anständiger Mensch wird.
Müssen sich Waldorf-Schulen von Rudolf Steiner distanzieren?
Springer-Journalistin Susanne Gaschke, die den Eindruck macht, als hätte sie Pädagogik studiert, um selber einmal in den Genuss äußerst strenger Erziehung zu kommen, bemäkelt in der Welt die große Nähe dieser Schulen zu ihrem Gründervater und verlangt, die Waldorfpädagogik müsse diesen erst einmal eliminieren, wenn sie eine glaubwürdige erzieherische Alternative darstellen will. Das ist ungefähr so, als forderte man einen Beatnik auf, Abstand von Jack Kerouac zu nehmen, oder den Kaffeetrinker, sich von der Bohne zu distanzieren.
In dasselbe Horn stößt Josef Kraus bei Tichys Einblick. Der ehemalige Studienrat schießt insofern den Vogel ab, als er zugibt, das Werk Steiners gar nicht zu kennen, es sei ihm einfach zu umfangreich, „schließlich hat Steiner 354 Bände mit 5.611 Vorträgen interlassen“. Tatvorwurf: Fleiß. Darauf muss man erst mal kommen. Interessanter Weise lässt es sich der Pauker dennoch nicht nehmen, problematische Passagen des Anthroposophen aus dem Zusammenhang gerissen aufzulisten, um dem Österreicher so richtig eins auszuwischen. Was will uns Oberlehrer Kraus damit sagen? Genies haben auch mal einen schlechten Tag? Ganz neue Erkenntnis. Definitiv nicht neu sind Repression und Vernichtungswillen gegenüber Institutionen freiheitlicher Gesinnung, denn „es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen“ (Friedrich Schiller). Das glänzend Andere, Gewagte und in Teilen auch Schräge stieß bei Leuten vom Typus Susanne G. und Joseph K. schon immer auf Ablehnung.
In der DDR verboten
In der DDR wie in der übrigen sowjetischen Einflusszone waren Waldorfschulen („kleinbürgerlich“) verboten. Auch im Dritten Reich musste der Betrieb eingestellt werden, Schriften Steiners wurden aus den Bibliotheken verbannt. Die Aussage „der Unterschied in Bezug auf Rassen wird in Zukunft aufhören, je mehr das individuelle Element die Oberhand gewinnt“ (München, 1907) passte naturgemäß nicht in das Konzept der Nationalsozialisten, die ganz auf die Macht der Vererbung setzten.
Eine mutige Missachtung des Blut- und Bodenkonzeptes praktizierte die 1967 gegründete Constantia Waldorfschule in Kapstadt, die als einzige pädagogische Einrichtung Südafrikas während der Apartheid den Unterricht mit weißen und schwarzen Kindern inklusiv durchführte. Im Gegensatz zu den Globalisten mit ihrem marginalen Realitätsbezug leugnen Waldorfs tribale und nationale Eigenschaften keineswegs. Doch erachten sie eine Gruppenidentität nicht als konstituierend für das Wesen des Kindes.
Auf ihrer Webseite erläutern die Erzieher der Constantia Waldorf School die hinter ihrer Pädagogik stehende Weltanschaung: „Die Lehrer sind der Auffassung, dass alle Kinder auf natürliche Weise religiös sind. Wenn diese Qualität nicht durch Dogmatismus verzerrt oder durch Ablehnung zerstört wird, kann Religiosität eine feste Grundlage dafür sein, Vertrauen in das Leben zu fassen.“
Keine bigotten Bodenküsser heranzüchten
Dabei predigen die Lehrer nicht, sie wollen keine bigotten Bodenküsser heranzüchten, vielmehr soll im Unterricht eine Wertschätzung der Schöpfung, ein Bewusstsein für die rhythmischen Prozesse der Natur vermittelt werden. Kernsatz der Herangehensweise ist das folgende Gedicht aus dem West-Östlichen Divan (So wie man in Nordrhein-Westfalen Goethe gerade aus dem Lehrplan öffentlicher Schulen tilgt, so grundlegend prägt die deutsche Klassik den Unterricht an den Rudolf Steiner Schulen):
Im Atemholen sind zweierlei Gnaden
Die Luft einziehen, sich ihrer entladen
Dieses bedrängt, jenes erfrischt
So wunderbar ist das Leben gemischt
Du danke Gott, wenn er dich presst
Und dank ihm, wenn er dich wieder entlässt
Der religiöse Aspekt ist aufgeklärten Zeitgenossen selbstverständlich ein Dorn im Auge, besonders den Gouvernanten aus den rot-rot-grünen Luftschlössern. Doch müssen Skeptiker mit Resttoleranz den Südafrikanern zumindest im Punkt „All young children are naturally religious“ recht geben. Rituale der Andacht haben für Kinder eine große Bedeutung. Ignorieren Erzieher dieses Bedürfnis, diesen Drang zum Höheren, sucht sich das verirrte Schäfchen erfahrungsgemäß einen anderen Gegenstand der Verehrung. Die meisten Ersatzreligionen sind harmlos, doch wenn es schief läuft, landet der Gläubige bei Bayer Leverkusen, nennt den Plastik-Club „Kultverein“, Rudi Völler „Fußballgott“. Oder er huldigt einem Fetisch, entwickelt eine zünftige Vaginalobsession, vergöttert den Rapper Al Gear mit seinem Song „Periode ist eine Krankheit“ – zur Zeit ein Welthit in Deutschland. Auch das worstshipping der Mescalineros von „Extinction Rebellion“ stellt eine attraktive Ersatzreligion dar.
Das Ende der Welt ist nämlich gekommen: „Wir haben nur noch drei Monate Zeit“ (O-Ton Aktivist vor der Siegessäule). Da ist natürlich die logische Konsequenz, dass man seinen Mitmenschen noch mal so richtig auf den Sack geht und Pendler daran hindert, pünktlich zur Arbeit zu kommen. Und wenn man sich für 450 Euro die Woche -umgekehrter Ablasshandel- auch noch mit verzückten Zuckungen in Extase hüpfen kann, ist der Hypermoral Genüge getan, der Eintritt ins Nirvana nur noch Formsache. Hare-Hare-Hare-Klima!
„Nein, wir wollen lieber, dass unser Kind lernt, seinen „Namen zu tanzen“
Renitente Eltern sagen sich: Nein, wir wollen lieber, dass unser Kind lernt, seinen „Namen zu tanzen“. Letzteres entspricht allerdings kaum den Gegebenheiten, denn Waldorfschüler tanzen ihren Namen nicht, nur den Vornamen. Schulen in Russland versuchten bis vor ein paar Jahren, den vollständigen Namen darzustellen, nahmen dann aber davon Abstand, weil es bei Tschucktschichov zu Unfällen kam. Musik kann genauso abgebildet werden. Manchmal schweben die Schüler auf Beethovens Mondscheinsonate, oder bewegen sich zu Al Gears „Periode ist eine Krankheit“. Das Ganze nennt sich Eurythmie. Die Ausübung dient der Harmonisierung der Wesensglieder, verbessert bei richtiger Anwendung die Konzentrationsfähigkeit der Eleven. Mit Tanz oder Turnen hat es wenig zu tun. Die Bewegungen sollten weder geziert wie beim Standard, noch zielgerichtet wie beim Sport ausgeführt werden, sondern in organischem Fluß, Worten bzw. Tönen folgend, Klang visualisieren. Abläufe und Gebärden ähneln eher dem Tai Chi, das der Urheber mal als „Eurythmie des Ostens“ bezeichnete. Insofern ist die schulinterne Bewertung „Öko-Karate“ treffender als das abgegriffene Namentanzen.
Das Problem mit Vorurteilen ist, dass sie meistens berechtigt sind. Das gilt jedoch nicht für die Annahme, die 1919 gegründete reformpädagogische Einrichtung sei eine Spielschule. Es mag sein, dass Quereinsteiger unter den Lehrkräften das Prinzip missverstehen und bis zum Abitur Klatschen-XXL und Blockflöte-brutal veranstalten. Im Sinne des Erfinders wäre das nicht: „Durch ein bloßes Im-Spielen-Lernen kann man dem Kinde die ganze Kindheit verderben.“ (Dornach 1922) Tatsächlich ist der Unterricht dem Plan nach stark strukturiert, Frontal-Unterricht selbstverständlich, auf Tests folgen dezidierte schriftliche Beurteilungen und die Lehrer setzen auf Autorität. „Der Herr F. ist gut“ „Warum?“ „Der ist streng“ muss sich das eine oder andere zuhause lax operiende Waldorf-Elternteil anhören. Zumindest bei den Jüngeren gibt es einen erkennbar gegebenen Wunsch nach straffer Führung und klaren Vorgaben.
Fixpunkt vorbildlicher Autorität
Fehlt in jungen Jahren der Fixpunkt vorbildlicher Autorität, kommen dabei so anmaßende Backfische wie Greta, Luisa, Clara heraus. Neunmalkluge BesserwisserInnen, die meinen, schlauer zu sein, als der klimawandelskeptische Professor für Teilchenphysik.
Anscheinend gab es das Problem in Ansätzen schon vor hundert Jahren. Mit antiautoritärer Erziehung „wird der Grund gelegt zu all der Großmannssucht, die heute in die Jugend gepflanzt wird, zu all dem Dünkel und Vorurteil, als ob man schon irgendwie einen Standpunkt haben könnte!“ (Heidenheim, 1918) Was passiert, wenn man Kinder zu kleinen Erwachsenen macht, sollte nachvollziehbar sein. Die Verfehlung schmieren die Verzogenen den Verantwortlichen früher oder später aufs Brot: „You have stolen my childhood!“ Und damit hat Fräulein Thunberg mal recht.
In diesem Zusammenhang verständlicher erscheint auch ein weiterer seltsamer Ansatz der Erziehungsmethode Waldorf. Eine „Verintellektualisierung“ von Grundschülern soll verhindert werden. Was wie eine Handlungsanweisung für Betreuer der Daniela Katzenberger Hauptschule klingt, ist in Wahrheit ganz gut durchdacht. Wird das Gehirn in jungen Jahren unangemessen beansprucht, stellt sich unter Umständen derselbe Effekt ein, wie bei verfrühtem Krafttraining. Dieses behindert das Wachstum und bringt am Ende keinen leistungsfähigen Sportler hervor, jenes keinen klugen Menschen, der in der Lage ist, eigene Gedanken zu entwickeln.
Nobelpreis für Medizin
Entsprechend zurückgeblieben war vermutlich auch der Waldorfschüler Thomas Südhof (dreizehn Jahre in Hannover), hätte bei Mathe-Olympiade und Jugend forscht vielleicht kläglich versagt. Im Jahr 2013 reichte es dann doch irgendwie zum Nobelpreis für Medizin.
Er erhielt ihn für die Erforschung des „Steuerungssystems für den Transport und die Zustellung von zellulärer Fracht“, was sich ziemlich verintellektualisiert anhört.
Möglicherweise hätte er diese Exzellenz nicht erringen können, wenn er schon in der Unterstufe mit Infinitesimalrechnung, dem Gesetz vom Erhalt der Masse und Desoxyribonukleinsäure traktiert worden wäre. Geschadet hat ihm das Häkeln von Topflappen jedenfalls nicht.
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David Leukert ist Autor und Kabarettist aus Berlin.
Zur Zeit tourt er mit dem Programm „Schau Liebling, der Mond nimmt auch zu!“ Mehr bei Facebook und unter David-Leukert.de
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