Die AfD war in ihren Anfängen die dringend benötigte Stimme der Vernunft. Und sie ist es, trotz zweier Häutungen, bis heute geblieben. Was wird aber sein, wenn nun bald eine dritte Häutung kommt? Ein offener Brief an David Berger von Parviz Amoghli
Lieber David Berger,
Entschuldigen Sie bitte vielmals meine etwas verspätete Rückmeldung, aber ich war derart in Anspruch genommen, so dass ich erst heute dazu komme, mein Schreiben vom Juli zu konkretisieren.
Damals befand sich die Auseinandersetzung zwischen Ihnen, der Schnellroda-Fraktion und Frau Steinbach auf ihrem Höhepunkt. Die Härte und Unnachgiebigkeit, mit der diese bis zum Zerwürfnis ausgetragen wurde, haben mich allerdings einigermaßen überrascht. Dass es innerhalb der AfD und ihrem Sympathisanten Umfeld hinsichtlich der Stoßrichtung oppositioneller Politik und Aktionen rumort – geschenkt. Aber sollte über das gemeinsame Ziel, nämlich eine echte Politikwende (kein Systemwechsel!), wirklich so wenig Einigkeit bestehen, dass ein einzelner Auftritt von Milo Yiannopoulos im Nachgang der Konferenz der Freien Medien ein solches Hauen und Stechen auslöst? Es scheint so zu sein.
Deutschland steht am Scheidewege
Noch ist die Bundesrepublik ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen. Doch das Feld für den nächsten moralischen Totalitarismus ist bereitet.
Dies ist umso tragischer, da Deutschland am Scheideweg steht. Das klingt pathetisch, und ist es wahrscheinlich auch, jedoch wird es dadurch nicht falscher. Noch ist die Bundesrepublik ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen. Doch das Feld für den nächsten moralischen Totalitarismus ist bereitet. Die Berliner Republik driftet jeden Tag weiter vom Rechtsstaat in Richtung Bewegungsstaat, in dem das primitive Bauchgefühl namen- und gesichtsloser Funktionseliten über Gesetz und Verfassung steht. Und das Volk lässt sich mitreißen, will in seiner übergroßen Mehrheit teilhaben an dem zutiefst kleinbürgerlichen, moralischen Herrenmenschentum. Dafür wirft es jede Vernunft über den Haufen, von der Euro-Rettung über die Migrationspolitik bis hin zur Klimahysterie, und wählt mit weit über 80% genau diejenigen, die aus ihrer Verachtung für Wähler und Volk keinen Hehl machen.
Gewiss, nun kann man natürlich sagen, sobald die Leute merken, dass die deutsche Weltrettungsmission ein normales Leben immer weiter verunmöglichen, werden sie zur Vernunft kommen. So wie in Frankreich die Gelbwesten. Oder in Italien, wo Salvini immer neue Zustimmungsrekorde erreicht. Oder in Österreich, wo Sebastian Kurz sicherlich bald wieder Kanzler wird. Aber das lässt außer Acht, dass die Deutschen Deutsche sind und eben keine Franzosen, Italiener oder Österreicher. Der Sonderweg, gebahnt und begangen von machtgeilen Krämerseelen, ist eine urdeutsche Spezialität.
Vernunft ist die Grundlage des Rechtsstaats
Umso notwendiger ist eine politische Kraft, die dem regierungsamtlichen Irrsinn mit Vernunft entgegentritt. Vernunft ist die Grundlage des Rechtsstaats. Ohne sie ist der Willkür Tür und Tor geöffnet. Die Vernunft unterscheidet den Rechtsstaat vom säkularen Bewegungsstaat, denn letzterem liegt stets ein rationaler Wahn zugrunde. Stichwort: Gender, Gleichheitsidee…
Die AfD war in ihren Anfängen diese dringend benötigte Stimme der Vernunft. Und sie ist es, trotz zweier Häutungen, bis heute geblieben. Jedenfalls solange sie sich auf Recht und Gesetz beruft und auf dem Boden der Verfassung gegen die fortschreitende Aushöhlung derselben angeht. Beispiele dafür gibt es zuhauf.
Wird Höcke vor Kraft nicht mehr laufen können?
Es steht allerdings zu befürchten, dass im Herbst eine dritte Häutung der Partei ansteht. Dass sie kommen wird, steht freilich nicht fest. Doch der „Flügel“ scheint nach der Europawahl, Morgenluft gewittert zu haben. Bei Ergebnissen von 20% und mehr in den „Flügel“-Ländern ist das nicht weiter verwunderlich. Im Herbst, nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, werden die Damen und Herren rund um Björn Höcke vor Kraft wahrscheinlich nicht mehr laufen können. Zu allem Überfluss, und auch dahinter steckt keine großartige Prophetie, werden die Alt-Parteien mit ihrer Volksfrontpolitik den „Flügel“ nur stärken.
Es ist diese unheilvolle Melange aus Kollektivismus, biologistischem Nationalismus und esoterischer Kapitalismuskritik, nicht selten „garniert“ mit antisemitischen Kommentaren und/oder Verschwörungstheorien, die sauer aufstößt.
Damit aber kämen nicht nur die Schwärmer, die Romantiker und Ideologen ans Ruder, sondern mit ihnen auch ein Gesellschaftsentwurf, der bedenklich stimmt. Es ist diese unheilvolle Melange aus Kollektivismus, biologistischem Nationalismus und esoterischer Kapitalismuskritik, nicht selten „garniert“ mit antisemitischen Kommentaren und/oder Verschwörungstheorien, die sauer aufstößt.
Mag sein, dass der „Flügel“ damit das Treiben des Antifa-Staates spiegelt:
- Setzen die einen auf einen Strauß willkürlicher Identitäten, bestehen die anderen auf der einen, nationalen.
- Betreiben die „hellen“ Deutschen die Abschaffung Deutschlands, verlangt es die „dunklen“ nach dessen Wiedererwachen.
- Streben die selbsternannten Guten nach der einen bunten Menschenrasse, propagieren die selbsternannten Widerständler Völkisches.
Das aber hat mit dem vernunftgesteuerten Konservatismus, der die AfD und den die AfD für mich interessant gemacht hat, nicht mehr viel zu tun.
Der Individualismus war und ist seit jeher zentraler Aspekt konservativer Gesinnung
Der Lebenswandel des Anderen ist privat und deshalb nicht von Interesse, genauso wenig, wie Hautfarbe oder Herkunft
Vielleicht bin ich auch einfach nur zu sehr Rheinländer und deshalb – jeder Jeck is anders!- ein zu großer Individualist, um die Lösung der Probleme, die dieses Land hat, von einer homogenen Volksgemeinschaft zu erwarten. Aber das glaube ich nicht. Der Individualismus war und ist seit jeher zentraler Aspekt konservativer Gesinnung. Der Lebenswandel des Anderen ist privat und deshalb nicht von Interesse, genauso wenig, wie Hautfarbe oder Herkunft. Dieses Verständnis von Konservatismus, das in der Nicht-Flügel-AfD durchaus Anknüpfungspunkte finden kann, geriete aber bei einer dritten Häutung der Partei zwischen die Fronten von „Deutschland verrecke!“ und „Deutschland erwache!“. Gute Aussichten sind das leider nicht.
Ein Freund meinte letztens zu mir, dass eine Regierungsbeteiligung der AfD vielleicht am besten wäre für die Entwicklung der AfD hin zu einer konservativen Oppositionspartei. Der Gedanke dahinter ist, dass im täglichen Regierungsgeschäft kein Platz ist für Schwärmereien und die Partei endlich jedweden rechtsextremen Tendenzen und Avancen eine deutliche Absage erteilt. Gut möglich, dass er Recht hat, auch wenn es im Moment nicht danach aussieht, als ob sich die Theorie überprüfen lassen würde. Zu wünschen wäre es dennoch, nicht nur für die Partei, sondern auch für die Demokratie in Deutschland.
So schließe ich, lieber Herr Berger, mit den besten Grüßen und Wünschen
Ihr
Parviz Amoghli
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Zum Autor: Parviz Amoghli 1971 in Teheran/Iran geboren, 1974 Übersiedelung der Familie in die Bundesrepublik. Abitur, Wehrdienst, Studium der Geschichte und Germanistik in Köln, Tübingen und Wien. Verschiedene Preise und Stipendien 2009- Veröffentlichungen in zahlreichen Anthologien und Zeitschriften. Zuletzt veröffentliche er zusammen mit Alexander Meschnig das Buch „Siegen“.
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