Donnerstag, 21. November 2024

Karl May: Vom „Volksschriftsteller“ zum schutzbedürftigen kulturellen Erbe

Zurecht ist die „Karl-May-Gesellschaft“ (KMG) stolz auf ihre nunmehr 50jährige Geschichte, auch wenn man feststellen muss, dass sich die lesende Jugend heute kaum noch mit Karl-May-Büchern beschäftigt, was 1969, als sich die KMG gründete, noch ganz anders war. Damals hatte jede Buchhandlung ihr Karl May-Regal mit den populärsten, wenn nicht gar allen „Gesammelten Werken“. Ein Gastbeitrag von Rainer Buck

Die berühmten grünen Bände erschienen beim 1913 gegründeten Karl-May-Verlag, der infolge der deutschen Teilung seinen Sitz von Radebeul bei Dresden nach Bamberg verlegt hatte. In den Kaufhäusern prägten die billigeren Lizenzausgaben und die Taschenbücher das Bild. Neben den Büchern gab es zudem verschiedene Serien von Karl-May-Hörspiel-Schallplatten.  Auf den Schulhöfen wurden Karl-May-Sammelbilder getauscht. Heute finden sich nur noch in den Regalen der größten Buchhandlungen Karl-May-Bücher, obwohl der Verlag in seiner Veröffentlichungspolitik sehr aktiv ist.

Karl-May Forschung versus Kommerz

Erst 57 Jahre nach dem Tod des Schriftstellers wurde die Karl-May-Gesellschaft gegründet; jedoch nicht, um ihm zu größerer Popularität zu verhelfen. Fast das Gegenteil war der Fall: Der Massenerfolg des Sachsen, nochmals stark angeheizt durch die Kinofilme der 60er-Jahre, verstellte damals den Blick auf eine gerechte literarische Würdigung und eine objektive biografische Erforschung Mays. Der Verlag, der mit seinem Hausautor– nicht zuletzt der vielen Legenden wegen, die sich um ihn gebildet hatten – gutes Geld verdiente, unterstützte zwar die Anfänge der May-Forschung, argwöhnte aber auch, eine wissenschaftliche Sezierung könne den Ruf Mays als Volksschriftsteller beschädigen.

Auf der anderen Seite standen die Mitglieder der KMG teilweise auf Kriegsfuß mit dem Verlag, der die Werke Mays seit Mitte der 1920er Jahre einer teilweise tiefgreifenden Bearbeitung unterzogen hatte, was in den Bamberger „Gesammelten Werken“ nicht mehr kenntlich gemacht wurde.

Generationen wuchsen mit den vertrauten „Grünen Bänden“ auf, ohne zu wissen, dass da zahlreiche Bearbeiter Hand angelegt hatten, um zu straffen, zu glätten, zu korrigieren, aber auch, um fünf von May hinterlassene umfangreiche Heftromanserien durch erhebliche Kürzungen und teilweise sogar durch Umbenennung von Romanfiguren den beliebten in „Ich“-Form geschriebenen „Reiseerzählungen“ (Gesammelte Werke Bände 1 bis 33) anzupassen.

Historisch-Kritische Ausgabe

Ein Bestreben der Karl-May-Gesellschaft war es, die May-Texte der Öffentlichkeit und der Wissenschaft wieder in der Form zugänglich zu machen, wie sie zu Lebzeiten des Schriftstellers in Zeitschriften und Buchausgaben veröffentlicht wurden. Dass auch damals durch Setzer und Redakteure Veränderungen vorgenommen wurden und auch May offensichtliche Fehler unterliefen, führte zur Herausgabe einer auf 99 Bände angelegten wissenschaftlich betreuten Historisch-Kritischen Ausgabe, die nach einem wechselvollen Schicksal seit 2007 in freundschaftlicher Kooperation mit dem Karl-May-Verlag herausgegeben wird; in der heutigen Zeit wäre es fatal, man stünde sich weiterhin in Konkurrenz gegenüber.

Längst sieht auch die KMG eine ihrer wichtigsten Aufgaben darin, die Aufmerksamkeit für Person und Werk Karl Mays in den nachwachsenden Generationen zu fördern. Was die biografische Forschung und die Originaltexte betrifft, kann die Gesellschaft ziemlich alles abhaken, was man 1969 anstrebte, wobei sich allerdings rund ums Werk immer neue Forschungsfelder auftun, so dass die vierteljährig erscheinenden wissenschaftlichen „Mitteilungen der KMG“ genauso üppig mit anspruchsvollen Beiträgen gefüllt sind wie die bisher erschienenen 49 umfangreichen Jahrbücher.

Die Gesellschaft gehört trotz demographisch bedingtem Schrumpfungsprozess mit rund 1500 Mitgliedern zu den größten und rührigsten literarischen Vereinigungen Deutschlands.

Mays Orientromane und das Islambild der Deutschen

Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung war über die Jahre auch immer wieder das Islambild Karl Mays. Exemplarisch sei eine Arbeit von Svenja Bach genannt: „Karl Mays Islambild und der Einfluss auf seine Leser“ (Sonderheft der KMG Nr. 142, Radebeul 2010). Darin wird aufgezeigt, wie stark die Orientromane von Karl May auf das Islambild seiner Leser Einfluss nahmen, auch wenn Karl May in seinen Darstellungen des Islam vornehmlich auf lexikalische Quellen und zeitgenössische Reiseberichte baute.

Allerdings ist der Einfluss vor allem deshalb stark, weil das landläufige Wissen über den Islam wie schon zu Karl Mays Lebzeiten eher schwach ausgeprägt ist. Karl May war gläubiger Christ, der Konfession nach Lutheraner, allerdings der katholischen Spiritualität zugeneigt; er schrieb viel für katholische Verlage. In seinen Orientromanen setzt sich der christliche Held immer wieder mit Muslimen auseinander.

Zuweilen betont der Autor deutlich die „Überlegenheit“ des Christentums, setzt die „christliche Liebe“ gegen die „Rache“ und stellt Muslime als unduldsam und fanatisch gegenüber Andersgläubigen dar, z.B. wenn er Situationen schildert, in denen Muslime erklären, dass man sich an gegenüber „Ungläubigen“ gemachten Versprechen nicht halten müsse.  Immer wieder bringt Karl May auch Frauenfiguren, die sich als Unterdrückte innerlich vom Islam losgesagt und dem Christentum zugewandt haben.

Allerdings zeigt er auch, dass religionsübergreifend Freundschaften möglich sind. Sein Held Kara Ben Nemsi hat den Koran studiert und hält besonders fanatischen Muslimen oder auch pseudoreligiösen Schurken gerne die Suren des Korans vor, in denen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit betont wird. Einerseits förderte May mit seinen Büchern die Faszination für den Orient und Sympathie mit fremden Völkern, andererseits lieferte er auch Grundmaterial für eine zwar kritische, aber dennoch durchgängig unaufgeregte Auseinandersetzung mit dem Islam.

Die Lektüre z.B. von Hamed Abdel-Samad wird durch Karl-May-Lektüre nicht obsolet, auch wenn der Verfasser dieses Beitrags Karl May an anderer Stelle quasi als Begründer des „christlich-islamischen Dialogs“ bezeichnet hat (Rainer Buck, „Karl May. Der Winnetou-Autor und der Christliche Glauben“, Brendow Verlag, Moers 2012).

Hier geht es im Internet zur: Karl May Gesellschaft

 

Aktueller Buchtipp:

„Wenn mersch nich erleben thät, so thät mersch gar nich glooben!“ Fünfzig Jahre Karl-May-Gesellschaft 1969–2019. Hrsg. von Helmut Schmiedt, Joachim Biermann und Florian Schleburg. Hansa Verlag, Husum. 210 Seiten. Broschiert. ISBN 978-3-941629-23-3. Preis: 12,95€

PP-Redaktion
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