Donnerstag, 21. November 2024

Beinharter Zynismus: Wie ein Bischof die ermordete Sophia missbraucht

Ein Gastbeitrag von Daniel Matissek

Ich habe schon viele schwer zu ertragende, von unendlicher Selbstgefälligkeit und moralischer Überheblichkeit nur so strotzende Statements von Kirchenoberen beider Konfessionen gehört – vor allem, seit sich 2015 Deutschland zum Ankerzentrum der global Geknechteten erklärt hat.

Doch was Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof der evangelischen Kirche Bayern und in Talkshows gern gesehener professioneller Sonntagsprediger, beim gestrigen Trauergottesdienst für die von einem marokkanischen Fernfahrer ermordete und verbrannte Sophia Lösche in der Amberger Paulanerkirche vom Stapel ließ, toppt wirklich alles, was man an beinhartem Zynismus und pseudochristlicher Verblendung überhaupt aufbieten kann.

Noch nie stand ich so kurz vor der Überlegung, aus der Evangelischen Kirche, der ich teils aus familiärer Tradition, teils aus Bequemlichkeit angehöre, endlich auszutreten.

Hat Sophia den Hauptgewinn gezogen, als sie auf ihren Mörder traf?

Allen Ernstes – und ohne jedes Gespür, welch bittere Ironie darin liegt – zitierte der Bischof den Konfirmationsspruch Sophias aus Matthäus 10,39: „Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetweillen, der wird’s finden.“ Sollte wohl trösten, klang aber so, als hätte Sophia den Hauptgewinn gezogen, als sie auf ihren Mörder traf – mit offenen Armen und geschlossenen Augen.

Dass die junge Frau noch leben würde, hätte sie ein wenig lebenspraktische Vorsicht an den Tag gelegt, dass es letztlich eine hippie-mäßige, kleinkindliche Form von Gott- und Menschenvertrauen oder eine idealisierte Form kosmischer Liebe war, die sie sich ihrem Schlächter ans Messer liefern ließ: Daran verschwendet Bedford-Strohm keinen Gedanken.

Im Gegenteil, er verherrlicht diese Art der uneingeschränkten und bedingungslosen Nächstenliebe: „Sophia hat ganz aus dem Vertrauen gelebt. Sie hat andere Menschen nicht als potentielle Gefahr, sondern zuallererst als Menschen gesehen, die als gute Geschöpfe Gottes fähig sind zur Mitmenschlichkeit und die selbst Mitmenschlichkeit verdienen“. Das Resultat dieser angewandten Bergpredigt-Lebensmaxime: Sophias verkohlte Überreste fanden sich verscharrt neben einer spanischen Tankstelle, der mutmaßliche Mörder sitzt im Knast. Bekam hier jeder, was er verdient?

Trauerarbeit schließt Entsetzen über Untaten nicht aus

Um nicht mißverstanden zu werden: Es ist völlig gerechtfertigt und auch der Trauerarbeit geschuldet, wenn christliche Prediger selbst im Angesicht bestialischer Verbrechen, die viele Menschen an der Welt verzweifeln lassen und ihr Vertrauen in Gott erschüttern, ihre Gemeinde erst recht ermutigen, die Botschaft Jesu zu beherzigen. Die Frage der Theodizee, des direkten Einflusses Gottes auf das Weltgeschehen, ist so alt wie Religion selbst und führt gerade bei derartig gottlosen Untaten regelmäßig zu Glaubenskrisen.

Deshalb bitten die Priester darum, Liebe und Hoffnung nicht aufzugeben und den Glaube an das Gute im Menschen nicht zu verlieren, wie schwer dies auch fallen mag. Diese Aufforderung schließt allerdings das Entsetzen über Untaten ebensowenig aus wie angebrachte Bestürzung über das Los einer jungen Frau, die just für ihre fahrlässige Offenherzigkeit den höchsten Preis bezahlen mußte.

Lieber tot im Idealismus als lebendig im „Mißtrauen“?

Doch bei Bedford-Strohm ist das anders. Aus seiner Sicht ist ein Leben, das auch Vorsicht, den Wunsch nach Selbsterhaltung und eine umsichtige Skepsis zulässt, erst gar nicht lebenswert. In seiner Trauerrede für Sophia klang das gestern so (O-Ton): „Vielleicht wäre sie noch am Leben, wenn sie aus dem Misstrauen heraus gelebt hätte. Aber wäre das das bessere Leben gewesen?“ Aha. Lieber tot im Idealismus als lebendig im „Mißtrauen“. So lobt man sich doch den Gutmenschen par excellence auf der Kanzel.

Wobei selbstverständlich unter „Mißtrauen“, vollkommen unterscheidungslos, eine gesunde angeborene Initialdistanz gegenüber Fremden ebenso fällt wie „Vorurteile“ oder allfälliger „Rassismus“. Das „Mißtrauen“ ist also das Urübel, nicht jene, die umgekehrt Vertrauen mit Füßen treten oder es in Stücke hauen. Gegen diese Äußerungen Bedford-Strohms, die irrwitzigerweise in ihrer Hybris und Menschenverachtung weder den Trauernden noch den anwesenden Eltern Sophias aufzustoßen schienen, lesen sich selbst die Highlights aus der Feder Margot Käßmanns wie müde Allgemeinplätze!

Predigen gegen den „unfassbaren Hasskommentare in den sozialen Medien“

Die unerträgliche Tragödie einer jungen Frau, die aus einem – angesichts ihrer Sozialisierung (Juso-Mitglied, in Anti-Rassismus-Kampagnen und in der Flüchtlingshilfe auf Lesbos aktiv) nur folgerichten, jedoch hochgradig leichtsinnigen – Urvertrauen heraus zu einem wildfremden Mann, aus einem völlig anderen Kulturkreis, in die Fahrerkabine stieg, geriet in Bedford-Strohms Predigt zu einer Selbstaufopferung im Namen der Mitmenschlichkeit, zu einem gelebten Bekenntnis gegen den „Hass“.

Darunter versteht der feine Bischof jedoch nicht etwa den Haß in Form brachialer Gewalt, die Sophia in Gestalt eines nordafrikanischen Schwerkriminellen entgegenschlug, sondern selbstverständlich nur die „unfassbaren Hasskommentare in den sozialen Medien“. Und hierunter fallen für Bedford-Strohm praktisch alle Posts, Tweets und Äußerungen, in denen das Verbrechen an Sophia in den Kontext der Flüchtlingsdebatte gerückt wurde.

Seiner Empörung hierüber räumte er in der Predigt folglich auch mehr Raum ein als dem den besagten Reaktionen zugrundeliegenden Verbrechen. Wäre der Täter nicht Marokkaner gewesen, sondern etwa ein sächsischer Wampenträger mit Reichsflaggen-Tattoo, wäre das Primat der Nächstenliebe in Bedford-Strohms Predigt vermutlich unter den Teppich gefallen und die „Hasskommentare“ hätten überhaupt nicht hasserfüllt genug sein können. Gerechter Hass, dann allerdings – und der ist auch christlich kompatibel.

Dass es absolut nahe liegend ist, wenn die Bevölkerung großen Anteil an Sophias Schicksal nimmt und über solch ein Verbrechen schockiert ist, und dass dies massenweise – teilweise auch hochemotionale und justiziable – Wellen schlägt, ist nur natürlich. Wer, außer evangelischen Gesinnungspfaffen, mag es normaldenkenden Menschen verübeln, dass sie sich beim Fall Sophia Lösche selbstverständlich erinnert fühlen an die zahllosen Sexualstraftaten insbesondere nordafrikanischer Intensivtäter, ebenso wie auch an die Fälle von Mia in Kandel oder Maria in Freiburg?

Ist es nicht absolut normal, dass sich Menschen die Frage stellen, welch ein gestörter Erziehungs- und Erfahrungshintergrund wohl dazu führen konnte, dass eine junge und gebildete Frau alle gebotenen Vorsichtsmaßnahmen in den Wind schlägt, die uns allen schon als Kinder von unseren Eltern eingebleut wurden: Ein gesundes Mißtrauen gegenüber unbekannten Personen etwa; oder der Rat, nicht zu Fremden in den Lieferwagen zu steigen? Ohne Frage war es ein tödlich naives, völlig unrealistisches Welt- und Menschenbild, das hier abermals sein Opfer forderte.

Für Bedford-Strohm hingegen ist eben dieses psychopathische, selbstgefährdende Weltbild vorbildlich und geradezu der Pfad ins Himmelreich: „Für Sophia sind alle Tränen abgewischt. Sie geht in ein Reich, das kein Leid mehr kennt.“ Wer da widerspricht und einwendet, dass man sich der Nächstenliebe auch verpflichtet fühlen kann, wenn man nicht in jedem Dahergelaufenen oder möglichst exotisch-fremdländisch Dreinschauenden sogleich ein Ebenbild von Gottes Herrlichkeit erkennen möchte – der ist für Berufsidealisten und verstrahlte Theologen bereits „Hassprediger“.

Bedford-Strohm wörtlich: „Es ist schwer, diesen Hass auszuhalten… aber die Erfahrung dieses Hasses macht umso deutlicher: Nur die Liebe hat Zukunft“. Für Sophia allerdings nicht mehr, die ist mausetot.

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PP-Redaktion
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