Unsere „Vergessene Kostbarkeit“ ist diesmal ein Gedicht der aus internationalem Adel stammenden Freiin Gertrud von Le Fort. Es entstand im Zusammenhang ihres Gedichtsbandes „Hymnen an Deutschland“, der für sich – ähnlich wie viele andere ihrer Werke – so etwa die „Ewige Frau“ oder die „Hochzeit von Magdeburg“ – ein wahres Kleinod der Literatur des 20 Jahrhunderts in der Inneren Emigration darstellt – und daher wieder ganz besonders aktuell scheint. Vorgestellt wird die literarische Kostbarkeit von Hartmut Voelkel
Gertrud von Le Fort ist heute kaum noch bekannt, sie wird zwar gemeinhin als bedeutende Autorin des 20. Jahrhunderts betrachtet, aber ihr Werk scheint vergessen, lebt bestenfalls in einigen katholischen Kreisen weiter, wo man sie wegen ihrer traditionellen Glaubensauffassung schätzt. Manchmal findet sich auch ein Hinweis auf die damit verbundene Frontstellung gegen die weltanschaulichen Versuchungen der Moderne. Wichtig für den Zusammenhang war die Novelle „Die letzte am Schafott“ (1931), die das Martyrium der Schwestern des Karmel von Compiègne schildert, die am 17. Juli 1794 auf Befehl der französischen Revolutionsregierung hingerichtet wurden.
Gertrud von Le Fort hat dieses Werk nach eigener Aussage schon geschrieben, unter dem Eindruck der „Schatten, welche über Deutschland zogen“.
Das Schicksal ihres Volkes beschäftige sie sehr, so daß sie nach den Hymnen an die Kirche (1924) ein Buch mit „Hymnen an Deutschland“ (1932) veröffentlichte. Die „Hymnen an die Kirche“ muß man auch im Kontext ihrer Ablösung vom Protestantismus und der 1926 vollzogenen Konversion lesen, die „Hymnen an Deutschland“ als Ausdruck ihrer Vorstellung, daß mit der religiösen eine nationale Erneuerung verbunden sein sollte.
Le Forts Vorstellung von einem „Heiligen Deutschen Reich“ war insofern nicht nur Spielart des renouveau catholique, sondern gehörte auch in den Kontext der jungkonservativen Reichsvorstellungen, die vor allem in den katholischen Bünden Verbreitung fanden.
Was sie in den Hymnen an Deutschland über das „Volk des Reiches“, das „Kaiservolk“ sagte, dem man Krone und Schwert genommen hatte, das gleich Christus leiden müsse, dann aber „Aufflügeln“ werde, um verherrlicht zu sein, begeisterte viele vor allem in den „Sturmscharen“, die als Wandergruppen des Katholischen Jungmännerverbandes entstanden waren.
So erklärt sich auch, warum die Führung der Sturmscharen die Dichterin um ein eigenes Gedicht bat, das 1933 in der Weihnachtsausgabe der „Jungen Front“, der Wochenzeitung des Bundes, abgedruckt wurde. Gewidmet war es „Sankt Michael“, dem Schutzpatron der Sturmscharler:
„Erzener Engel, gedenke deines Erzvolks,
Das du in Dienst genommen am Throne des Völker-Vaters,
Als die Nationen einst ihre ewigen Führer empfingen!
Du unser Feldherr vom Himmel, vergiß nicht Deines Feldheers
Und führe es wieder wie einst,
Da du beim Ansturm der Heiden
Ihm vorgebraust im triumphierenden Banner!
Engel, du selber hattest Deutschland gewaffnet,
Du gabst ihm den Ritterschlag Christi,
Du gabst ihm das heil’ge Panier,
Und unter dem Schild deiner Flügel
Wurde es selber zum Schild
Wider den Drachen des Abgrunds –
Nun liegt dein Volk im Abgrund!!
Ritter-Engel, brich auf,
Held aller Helden,
Gewaffnet mit ehernem Licht
Und mit der Wahrheit
Unerbittlichem Schwert:
O rette dein eigenes Banner!
Mit deinem Namen
Wird uns der Richter einst rufen am letzten Tage der Völker
Mit deinem Namen
Ehrt uns der Spott noch der Welt –
Satanvernichtender Engel,
Vernichte du in unsren Reihen den Satan
Sieger-Engel des unbesieglichen Gottes,
Besiege dein eigenes Volk
Und wirf es im goldnen Gewitter der himmlischen Scharen
In seine ewige Burg!“
Das Gedicht enthält zentrale Topoi, die sich seit der Romantik mit der Figur St. Michaels verbunden hatten: von der älteren Idee der „Völkerengel“ und des Schutzpatrons, der biblischen Tradition des Drachentöters, über den Hinweis auf die Michaelsfahne des alten Reiches, die in der Schlacht auf dem Lechfeld geführt wurde („Da du beim Ansturm der Heiden / Ihm vorgebraust im triumphierenden Banner!“) bis zu der Vorstellung, daß im „deutschen Michel“ St. Michael zur Spottfigur geworden sei.
St. Michael war für die katholischen Bünde der Zwischenkriegszeit eine wichtige Identifikationsfigur. Der Erzengel verkörperte das Ideal des „michaelischen“ Menschen und galt als Pendant zu dem anderen Drachentöter Sankt Georg, der schon im britischen scoutism, dann für die jugendbewegten Reformer um die Zeitschrift „Der weiße Ritter““ und überhaupt für die Pfadfinder ein Symbol war.
Seit 1932 beging die Sturmschar am Michaelstag das Bundesfest, bei dem die neuen Mitglieder feierlich aufgenommen und eine besondere Liturgie verwendet wurde, in deren Zentrum Michael stand, zu dessen „Gottesheer“ die Jungen jetzt gehörten.
Die Berufung auf St. Michael hing eng zusammen mit der nationalkatholischen Tendenz in der Sturmschar, die nach der Machtübernahme Hitlers auch zu einer deutlichen Absetzung gegenüber dem Nationalsozialismus diente.
Auf der Seite des NS-Regimes war man sensibel für solche Signale der Distanz, die das Mißtrauen gegenüber den noch durch das Konkordat geschützten Organisationen weiter verschärfte. Aber erst im Juli 1935 gelang es der Reichsjugendführung, den Druck so weit zu erhöhen, daß die „Junge Front“ ihren Namen aufgeben mußte. Für ein Jahr konnte das Blatt noch erscheinen, jetzt unter dem Titel „Michael“. Auch die Sturmschar mußte sich 1937 umbenennen und hieß bis zu ihrem Verbot im Februar 1939 „Gemeinschaft St. Michael“.
Der Beitrag erschien zuerst auf der Seite DRACHENKÄMPFER, die zahlreiche weitere interessante Aufsätze enthält.
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