Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Ulrich Kutschera
Am 28. April 2018 kam im Ersten Deutschen Fernsehen (ARD) in der Reihe „Quarks im Ersten“ eine Sendung mit dem Titel „Junge oder Mädchen?“. Der Moderator, ein Physiker, bemühte sich, dieses wichtige Thema an seine Fangemeinde zu vermitteln, leider aber ohne die Expertise eines Biologen einbezogen zu haben.
Zu Beginn der Sendung wurde bereits dargelegt, die Biologie-freie „Geschlechterforschung“ würde ein „eindeutiges Schubladen-Denken“ in den „Kategorien weiblich bzw. männlich“ voraussetzen, aber „in Wirklichkeit“ gäbe es mehr als zwei Geschlechter, im Wortlaut des Moderators: „ganz viel dazwischen“. Ist das korrekt?
Menschliche Zwitter sind unbekannt
Nach dieser An-Moderation wurde eine Intersex-Person namens „Lin“ vorgestellt, die nach eigenen Angaben mit doppelter Geschlechtsorgan-Ausstattung zur Welt kam: Männliche und weibliche Gonaden (bzw. Kopulationsorgane), d. h. ein Hoden und ein Ovarien-Paar plus Penis und Vagina, wären bei Baby Lin bereits ab Geburt vorhanden gewesen. Stolz verkündete die Intersex-Person, mit 20 hätte man ihr gesagt, sie sei ein „gesunder Zwitter“.
Da es aber bei rudimentären Geweben vermehrt zur Krebsentstehung kommen kann, hat man Lin damals „beide Gonaden-Paare“ sowie den Penis amputiert. Mit Recht beklagte die Intersex-Person diese willkürliche Genital-Verstümmelung. Die Aussage, sie sei „ein Zwitter“, ist unzutreffend. Echte Hermaphroditen sind durch funktionstüchtige Gonaden und Kopulationsorgane gekennzeichnet, d. h. im selben Körper können Spermien und befruchtungsfähige Eier entstehen, wobei dann über eine Fremd-Befruchtung die sexuelle Fortpflanzung erfolgt. Dieses Reproduktions-Modell ist insbesondere bei Ringelwürmern (Anneliden), d. h. Regenwürmern und Blutegeln, evolutionär entstanden und dort der Standard. Bei Menschen konnten bisher in Europa keine Zwitter (Hermaphroditen) nachgewiesen werden, sodass der Zuschauer hier nicht korrekt informiert worden ist (1).
Der vermeintliche Zwitter-Embryo
Bei der Darstellung der vorgeburtlichen Ausbildung der Geschlechtsorgane des Menschen wurde dann ein weiterer „Gender-Quark“ aufgetischt: Der Moderator behauptete unter Verweis auf ein grafisch geschickt gestaltetes Schema, Menschen wären im Prinzip als Zwitter angelegt und dann würde ganz einfach unter der Wirkung von „Genen und Hormonen“ entweder ein männlicher oder weiblicher Embryo entstehen. Diese Aussage ist veraltet und muss wie folgt aktualisiert werden. Die während der 6. Schwangerschaftswoche vorhandenen Ovo-Testes sind verschmolzene Gonaden-Vorstufen, wobei sich der Embryo beim XX-Geschlechts-Chromosomensatz in weibliche Richtung entwickelt, sodass ein Mädchen (Ovarien, Vagina-Anlage, XX) geboren wird. Das primäre Geschlecht ist somit weiblich. Nur unter der Wirkung des „vermännlichenden“ SRY-Gens, ein Abschnitt des Y-Chromosoms, entsteht bei Vorhandensein des XY-Chromosomensatzes durch sekundäre Maskulinisierung ein Junge (Testes, Penis-Anlage, XY). In über 99 % aller Fälle funktioniert diese vorgeburtliche Geschlechter-Ausbildung, verursacht durch das „Männlichkeits-Chromosom“ (Y) problemlos (1). In weniger als 1 % kommt es zu vorgeburtlichen Entwicklungsstörungen, mit der eingangs beschriebenen Konsequenz. Bei der Vorstellung der zweiten Intersex-Person „Inge“, ein äußerlich als Mädchen zu kennzeichnende Person mit XY-Chromosomensatz und einem unterentwickelten Hoden im Bauch, wiederholte die Mutter den von einem Mediziner übernommen Begriff „nicht normale Embryonal-Entwicklung“– und genau darum geht es hier.
Evolvierte Zweigeschlechtlichkeit seit Jahrmillionen
Es gibt, seit dem Kambrium (vor ca. 540 Millionen Jahren), exakt zwei Geschlechter, definiert durch fertile Tiere (bzw. Pflanzen), die entweder Spermien produzieren (männlich) oder Eizellen hervorbringen und einen Gebär-Apparat im Körper tragen (weiblich). Zwitter (Hermaphroditen) sind eine Ausnahme, und stellen im Tierreich einen evolutionären Sonderweg dar. Der Moderator stellte unter der fachlichen Leitung einer „Entwicklungspsychologin“ (offensichtlich ohne biologische Basiskenntnisse) dann ein obskures Baby-Experiment vor, wobei bei dieser Spielzeugwahl-Szene das Alter der beiden menschlichen Versuchsobjekte verschwiegen wurde. Dieses Einzelexperiment ist ohne allgemeine Aussagekraft. Studien an zwei Affenarten und Menschenbabys haben klar gezeigt, dass kleine Jungs fast ausschließlich mit Autos bzw. anderen technischen Geräten spielen, während Mädchen instinktiv und nahezu universell zu Puppen bzw. weichen Gegenständen greifen. Diese wissenschaftlichen Befunde, in der Fachliteratur auf aktuellstem Stand dargestellt (1), wurden vom Moderator und seiner „Fachfrau“ ignoriert.
Das Kontinuum der geglaubten Regenbogen-Geschlechter
Als Höhepunkt der Veranstaltung wurde dann die eingangs formulierte Aussage, es gäbe nicht nur zwei Geschlechter, sondern ein Kontinuum, mit einem Regenbogen-artigen Reigen an Menschen, links männlich – Zwischenformen – rechts weiblich, illustriert. Die Tatsache, dass über 99 % aller Menschen eindeutig männlich oder weiblich sind, wurde verschwiegen, ebenso wie der Befund, dass die sexuelle Fortpflanzung immer über eine „Spermium- plus Eizellen-Fusion“ erfolgt, wobei es nur diese beiden Gameten-Typen und somit exakt zwei und nicht mehr Geschlechter gibt.
Häufig oder selten?
In einem Nebensatz hat der moderierende Physiker erwähnt, es gäbe in Deutschland die erstaunlich hohe Zahl von ca. 160.000 Intersex-Menschen. Das sind aber bei ca. 80 Millionen Bundesbürgern nur etwa 0,2 %. Von einem „Mann-Zwischenformen-Frau-Kontinuum, wie im Film anschaulich dargestellt, kann somit nicht gesprochen werden. Da es sich, wie in einem Nebensatz korrekt dargestellt, bei den ca. 0,2 % Intersex-Menschen um Personen handelt, die aufgrund vorgeburtlicher „nicht normaler“ Embryonalentwicklungen mit uneindeutig m/w-ausgereiftem Körper zur Welt kommen, wäre eine biomedizinische Betrachtung angemessen gewesen (unter Berücksichtigung von Klinefelter- und Turner-Personen) (1).
Bio-Quark zur Bewerbung der Gender-Ideologie
Dem kundigen Zuschauer drängt sich bei der Betrachtung dieser „Jungen- oder Mädchen-Quarks-Sendung“ der Verdacht auf, dass hier wieder einmal die von dem US-Psychologen und Kindesmisshandlers John Money (1921–2006) propagierte Gender-Ideologie einer breiten Öffentlichkeit aufgetischt werden sollte, und das ist hier in erster Linie zu kritisieren. Die Thesen des „Gottvaters Money“ wurden allesamt durch solide Forschungen widerlegt und somit in die Kiste der Irrtümer der Wissenschaft verfrachtet (1, 2). Man sollte den Moderator einmal fragen, ob er seinen stehengebliebenen Pkw in die Kfz-Werkstatt oder in die Schreinerei bringt – beides sind doch sachkundige Handwerker! Jeder Mensch sollte jedoch wissen, dass fachliche Expertise nicht nur bei der Auto-Reparatur, sondern auch im biowissenschaftlichen Bereich unabdingbar ist, sonst kommt „nichts gescheites“ dabei heraus.
Literatur
(1) Kutschera, U. (2018) Das Gender-Paradoxon. Mann und Frau als evolvierte Menschentypen. 2. Auflage. LIT-Verlag, Berlin.
(2) Repo, J. (2016) The Biopolitics of Gender. Oxford University Press, New York.
Erstveröffentlichung Freie Welt: 04.05.2018