(David Berger) Richtig schön alternativ sieht es aus, das Epplehaus in der grünen Universitätsstadt Tübingen. Neben bunten Kinderzeichnungen und Graffitis schmücken die Fassade die Schriftzüge „All colors are beautiful“ und „Kein Mensch ist illegal“. Da weiß man doch gleich, wo man ist und was einen in den Innenräumen erwartet.
Am letzten Wochenende waren das die Partys Paedfescht und Queernight. Queer heißt eigentlich verrückt bzw. nett gesagt „von der Norm abweichend“. Der Begriff wird heute meist für alles und alle gebraucht, was nicht heterosexuell ist – mit einer Ausnahme Heterosexuelle können – wie uns Wikipedia aufklärt – zur Not noch dazu gezählt werden, wenn sie Sadomasochismus, praktizieren oder sich anderen Dominanz- und Unterwerfungsspielen hingeben.
Das mit der Querness bzw. der Dominanz und Unterwerfung hatten dann doch einige, deren Herkunft wir hier nicht thematisieren wollen und die der Einladung einer Studentenfachschaft (für Erziehungswissenschaft: d.h. zukünftige Lehrer!) gefolgt waren, irgendwie zu Ernst genommen. Denn in der dortigen Regionalzeitung lesen wir, was die Stadtverwaltung mitteilt:
„Es gab am letzten Freitag (Paedfescht) und am Samstag (Queernight) massive Probleme im Epplehaus mit Grapschen und sexuellen Belästigungen.“
Auch die veranstaltende Fachschaft räumte auf ihrer Facebookseite ein, dass sich dort Unerfreuliches, das man nicht mehr unter Kontrolle bringen konnte, ereignet habe. Das Tagblatt weiter:
„Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer entdeckte die Stellungnahme, verbreitete sie über sein Facebook-Profil und fragte: „Was ist los im Epple?“ Außerdem bat er Betroffene, sich bei ihm zu melden und ihre Erlebnisse zu schildern. Der Text wurde im Nullkommanichts weiterverbreitet und vielfach kommentiert.“
Ein Opfer der Übergriffe im Epplehaus hat ihm daraufhin folgenden Text geschickt:
Sehr geehrter Herr Palmer,
ich schreibe Ihnen bezüglich des Vorfalls im Epplehaus am vergangenen Freitag und auch bezüglich der Gesamtsituation in Tübingen, die sich in den letzten 5 Jahren seitdem ihr herzog, sehr verändert hat. Das einst friedliche Studentendörfchen, in dem ich zu jeder Tages-und Nachtzeit mal mit einer, mal mit drei Weinschorlen intus heimgelaufen bin, hat sich zu einer Gefahrenzone entwickelt.
Aufgrund von Verfolgungen, Übergriffen und Anmachen wird mein Alltag mittlerweile von anderen Menschen überdeterminiert, sprich wie ich, wann, wo, wie gekleidet rumlaufe. Mein einst humanistischer Grundgedanke hat sich aufgrund von wiederholten Handlungen eines gewissen Phänotyps in ein Vermeidungsverhalten entwickelt.
Dann der Vorfall am Freitag: gegen spätere Stunde mutierte die Feier zu einer Katastrophe. Ich wurde einfach angefasst, gezogen, man hat mich trotz mehrfacher Gegenwehr nicht in Ruhe gelassen, meine männlichen Freunde haben sich fast in eine Schlägerei verwickeln lassen, da auch diese nichts gegen die wild gewordenen Männer unternehmen konnten, bis wir die Party schließlich nach einer Stunde, maximal genervt, verließen.
Ich möchte hier nicht detailliert auf die Vorfälle eingehen, da dies den Rahmen sprengen würde. Ich möchte nur einen kleinen Hilferuf im Namen von mir und meinen Freundinnen, Mitstudierenden etc. starten, die alle unter der Situation und der damit verbundenen Gefahren leiden.
Ich möchte nicht sagen, dass alles schlecht ist, Tübingen ist immer noch ein schöner Ort, aber ich würde mich einfach gerne wieder frei von Belästigung bewegen.
Ich weiß, dass Sie als Bürgermeister in einer verzwickten Lage befinden und die Situation nicht von heute auf morgen ändern können, trotzdem hoffe ich, dass man die Sache irgendwie in den Griff bekommt.“
Das war dann doch der Fachschaft zu viel. Sie löschte ihr eigenes Eingeständnis auf ihrer Facebookseite und ließ stattdessen dort die verwunderten Leser wissen:
„Wir tolerieren es nicht, dass unsere Stellungnahme von Oberbürgermeister Boris Palmer und anderen Kommentierenden für politische und rassistische Zwecke missbraucht wird.“ Auch die Zuständigen des Epplehauses sprangen auf den Zug auf und unterstellten Palmer „rassistische Reflexe“ auf das Geschehene.
Wohl erst durch diese Rassismusvorwürfe kam dann Näheres zur Tätergruppe heraus. Das Tagblatt bemerkt:
„Was genau passiert ist, darüber wollte die Fachschaft auf mehrfache Nachfrage unserer Zeitung keine Auskunft geben. Seitens der Stadtverwaltung heißt es: ‚Mehrere Augenzeugenberichte und die Stellungnahme eines Veranstalters (Fachschaft Pädagogik) berichten davon, dass die Situation außer Kontrolle geraten ist.‘ Die Identität der Täter sei nicht bekannt.
‚Mehrere Augenzeugen berichten aber, dass unter den Tätern mehrere Schwarze waren, die in Gruppen agiert haben.‘
Liebe Epplehaus-Verantwortliche, liebe Erziehungswissenschaftler: „Kein Mensch ist illegal“, habt Ihr auf Eurer bunten Fassade stehen. Das ist ok. Aber es gibt Menschen, die illegale Dinge tun: weiße, gelbe, aber auch braune und schwarze!
Dadurch missbrauchen sie eure Gastfreundschaft und euren großzügigen Vertrauensvorschuss auf übelste Weise. Als queerer Mann sage ich euch: Nicht einmal unter dem Etikett „queer“ ist sexuelle Gewalt gegen Frauen, Kinder oder auch Männer zu rechtfertigen!
Auch wenn ihr nicht direkt betroffen wart, beendet eure letztlich masochistische Komplizenschaft mit solchen Kriminellen – völlig unabhängig davon, welche Hautfarbe sie haben.
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Erinnert sei in diesem Zusammenhang an einen ähnlichen Vorfall in Bonn, der sozusagen das Auftakt-Spiel zur berüchtigten Silversternacht 15/16 war. Ich berichtete damals in der HuffPost darüber:
Bereits im November des vergangenen Jahres kam es nach Angaben des Refugees Welcome Vereins Bonn auf einer Willkommensparty für Flüchtlinge zu sexuellen Übergriffen auf die anwesenden Frauen.
Selbst wenn sich die Berichte erhärten sollten, nach denen unter den in der Silversternacht Übergriffigen auch Asylbewerber bzw. Flüchtlinge aus Syrien waren, bleibt es selbstredend falsch, Flüchtlinge oder Männer arabischer Herkunft unter einen Generalverdacht zu stellen.
Ebenso falsch ist es jedoch, Fakten zurückzuhalten, zu verschleiern oder Vorgefallenes schön zu reden. Dadurch schaufelt man letztlich Wasser auf die Mühlen jener, die aus einem solchen Generalverdacht politisches Kapital schlagen möchten.
Mit zu dieser schonungslosen Aufklärung gehört es auch nachzufragen, ob die Verantwortlichen nicht schon hätten vorgewarnt gewesen sein müssen. Und tatsächlich gab es solche Vorwarnungen. Dass sie dort, wo sie von Gegnern der gegenwärtigen Asylpolitik oder gar fremdenfeindlichen Personen oder Institutionen kamen, von den Verantwortlichen nur begrenzt ernst genommen wurden, mag noch verständlich sein. Sie kamen aber eben nicht nur aus dieser Ecke.
Ein besonderes Beispiel dafür ist die öffentliche Erklärung des Vereins „Refugees Welcome Bonn“, die dieser schon am 10. November des vergangenen Jahres auf seiner Facebookseite publizierte. Anlass für die öffentliche Erklärung war eine Refugees-welcome-Party, die der Verein am 7. November unter dem Motto „Party without Borders“ veranstaltet hatte. Auch dass das Ganze in dem nur etwa 20 Kilometer vom Kölner Hauptbahnhof entfernten Bonn stattfand, ist nicht unwichtig.
Auf der genannten Veranstaltung scheint es zu solch heftigen sexuellen Belästigungen von teilnehmenden Frauen gekommen zu sein, dass der Verein sich gezwungen sah, sich davon öffentlich und mit Nachdruck zu distanzieren:
„Auf der Party wurden unserer Beobachtung nach diverse Frauen von Männern belästigt, ungewollt angefasst oder unangebracht angegangen.“ Dies werfe ein „schlechtes Licht auf unsere Organisation und alle Männer sowie männliche Geflüchteten, die auf der Party waren“.
Zugleich gab der Verein bekannt, dass man in Zukunft ein solches Verhalten unter keinen Umständen mehr dulden werde: „Wir halten es für zentral, dass der Umgang miteinander von gegenseitigem Respekt und dem Gedanken der generellen Gleichwertigkeit aller Menschen geprägt ist. Dazu gehört notwendigerweise, dass bei Annäherungsversuchen ein Nein akzeptiert wird, statt weiterhin zu versuchen, den eigenen Willen einer anderen aufzuzwingen. Dafür stehen wir als Gruppen ein. Solches Verhalten wird unsererseits nicht mehr hingenommen werden.“
Der Verein mahnte in seiner öffentlichen Mitteilung auch an, nun ganz konkret über patriarchale Denk- und Handlungsweisen in unterschiedlichen Kulturen zu sprechen, Unterschiede klar zu benennen und über Konsequenzen nachzudenken.
Fakten verheimlichen aus Angst vor Missbrauch
Es entspricht ganz dem fatalen Umgang mit den Ereignissen der letzten Silvesternacht in ganz Deutschland, dass der Link mit der öffentlichen Mitteilung kurz nach den Kölner Vorkommnissen deaktiviert wurde. Vermutlich nicht, weil man sich irgendetwas vorzuwerfen hat. So sehr sich die Kölner Silvesternacht in ihrer Dimension von der Bonner Welcome-Party unterscheidet, so vorbildlich war die Reaktion der Verantwortlichen des Vereins im Vergleich zu dem unbeholfenen Handeln der großen Politik.
Auch zur erfolgten Löschung des Links gilt: Wenn die Angst vor dem Missbrauch von Fakten so groß wird, dass man Fakten verschweigt oder verschleiert, schaufelt man den eigenen politischen Zielen, hier der Abwehr von Ungerechtigkeit und Hass gegen alle Migranten, ungewollt, aber zielsicher das Grab.
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