Ein Gastbeitrag von Ramin Peymani (LIBERALE WARTE)
Es ist eine altbewährte demokratische Tradition, dass das älteste Mitglied die konstituierende Sitzung eines Parlaments leitet, bis die Abgeordneten einen Parlamentspräsidenten gewählt haben. Nie stand dieses Kriterium zur Debatte. Nicht einmal, als die umgetaufte SED nur wenige Jahre nach dem Ende der kommunistischen Terrorherrschaft in zwei aufeinanderfolgenden Wahlperioden den sogenannten Alterspräsidenten des Deutschen Bundestages stellte.
Nun will Bundestagpräsident Norbert Lammert die Geschäftsordnung ändern lassen: Nicht mehr der an Jahren älteste, sondern der am längsten im Bundestag sitzende Parlamentarier soll die erste Sitzung eröffnen und bis zur Wahl des Präsidenten leiten. Der Vorstoß geht zulasten der AfD, die gleich zwei aussichtsreiche Kandidaten stellt, deren Lebensalter sie für den Alterspräsidenten qualifiziert.
Wenig kann Lammert ins Feld führen, um seine „Lex AfD“ zu maskieren.
Und je mehr er sich im Versuch übt, das Grundsätzliche seines Vorschlags zu betonen, umso deutlicher wird, dass es darum geht, den prominenten Auftritt eines AfD-Politikers zu verhindern.
Der Demokratie hat der 68-Jährige damit einen Bärendienst erwiesen. Persönlich kann man durchaus der Auffassung sein, den vermutlichen nächsten Alterspräsidenten aufgrund seiner wirren politischen Ansichten keinesfalls zum Freund haben zu wollen. Besondere Freude dürfte es auch nicht machen, seiner Eröffnungsrede zu lauschen. Doch Demokraten müssen das aushalten.
Wer die Demokratie in jeder Sonntagsrede hochhält, muss auch dann dazu stehen, wenn von Gottberg seine demokratischen Rechte wahrnimmt
Lammerts Vorstoß ist Wasser auf die Mühlen all derer, die der Berufspolitik Abschottungstendenzen und einen zweifelhaften Umgang mit der Meinungsfreiheit vorwerfen. Wer Stimmen zum Schweigen bringen will, die Unliebsames artikulieren – und sei es noch so unerträglich – zeigt, wie es um sein Demokratieverständnis bestellt ist. Tatsächlich kommt man bei den sogenannten etablierten Parteien inzwischen zu dem Schluss, dass sie jedem am liebsten die demokratische Teilhabe versagen möchten, der sich nicht im Meinungskanon bewegt – jedenfalls dann, wenn es um Wortmeldungen vom rechten Rand geht.
Bei Linksextremen ist man ungleich großzügiger. Und auch bei radikalen Islampredigern, wie unlängst bei der „Friedenskundgebung“ auf jenem Breitscheidplatz in Berlin, auf dem zwölf Menschen von einem Islamisten bestialisch ermordet worden waren.
Natürlich ist es unschön, dass der designierte Alterspräsident ausgerechnet Wilhelm von Gottberg heißen dürfte. Das frühere CDU-Mitglied hat sich in der Vergangenheit mit fragwürdigen Ansichten zum Holocaust zu Wort gemeldet. Es ist auch für mich schwer zu ertragen, dass Menschen solcher Gesinnung künftig im höchsten deutschen Parlament sitzen werden. Wer aber die Demokratie in jeder Sonntagsrede hochhält, wer darauf verweist, dass es nach all den Erfahrungen der letzten Zweitausend Jahre nichts Besseres gibt, der liegt damit nicht nur richtig, sondern muss auch dann dazu stehen, wenn von Gottberg seine demokratischen Rechte wahrnimmt.
In einer Gesinnungsdemokratie bilden nicht mehr Regeln und Gesetze den Maßstab, sondern die politische Überzeugung der Amtsinhaber
Die FAZ lobt Lammerts Idee, weil dadurch verhindert werde, dass „aus einem auf Würde zielenden Verfahren“ ein „unwürdiges Schauspiel“ werde. So sehr man im ersten Reflex geneigt ist, sich dieser Einschätzung anzuschließen, wirft dies doch die Frage auf, wer Würde definiert und wie sie sich letztlich messen ließe.
Schnell ist man am Punkt einer Gesinnungsdemokratie angelangt, in der nicht mehr feste Regeln und für alle gleich geltende Gesetze den Maßstab bilden, sondern die politische Überzeugung aktueller Amtsinhaber, die schon in wenigen Jahren wieder wechseln.
Doch wer die Demokratie den Stimmungen der politischen Klasse unterwirft, trägt sie zu Grabe. Es lässt sich nur mutmaßen, ob der vorgetragene Änderungswunsch tatsächlich von Lammert selbst stammt, der sich bisher dadurch verdient gemacht hat, dass er den Parlamentskollegen regelmäßig die Leviten gelesen und vor einer Verselbständigung des Parteienapparats gewarnt hat. Denn käme der Alterspräsident des Bundestages künftig aus den Reihen der Parlamentarier mit der längsten Bundestagszugehörigkeit, wäre dies ein weiteres Signal der Entfremdung der Berufspolitik von ihren Wählern.
Die selbstreferentielle Kaste, die schon heute nur noch selten mit dem echten Leben in Berührung zu kommen scheint, würde dann auch bei der Parlamentseröffnung für alle sichtbar manifestieren, dass sie am liebsten unter sich bleibt. Der Souverän als Störenfried wäre an einer weiteren Stelle ausgeschaltet.
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