Ein Gastbeitrag von Herwig Schafberg
Das politische Leben ist nur ein wandelnder Schatten, der Politiker ein armer Komödiant, der sich eine Weile auf der Bühne aufspult und erregt, dann aber nicht mehr gehört wird – und was solch ein Narr lautstark und empört von sich gegeben hat, bleibt ohne Bedeutung
(frei nach William Shakespeare: Macbeth)
In Berlin ist Wahlkampfzeit: Jetzt kämpft jede Partei für sich – und einige gemeinsam gegen rechts. Darauf hatten sich SPD, CDU, Grüne, Linke, Piraten und FDP kürzlich geeinigt, um gegen die Alternative für Deutschland (AfD) ebenso Front zu beziehen wie in den achtziger Jahren gegen die Alternative Liste (AL) der Grünen in Berlin (West). Nachdem die AL in den Kreis der etablierten Parteien aufgenommen war, machte sie zunächst mit der SPD, dann auch mit den anderen Parteien im Westen der Stadt gemeinsame Sache gegen die Republikaner und – nach der Wiedervereinigung – gegen die PDS. Aus der ging bekanntlich „die Linke“ hervor, die aber mittlerweile ebenso zum Kreis der „demokratischen Parteien“ gehört. So haben sich die Verhältnisse geändert. Und wann probt die CDU den Schulterschluss mit der AfD?
Doch nun hat die CDU sich erst einmal mit der FDP verbündet und analog zur Frontstellung gegen rechts eine ebenso gemeinsame Bekämpfung des Linksradikalismus vorgeschlagen; die anderen wollten davon aber nichts wissen. Vielleicht hatten die Wortführer der roten, grünen und lila Parteien etwas von Kant gelesen und dort manches recht einseitig gruppenbezogen interpretiert:
Man nennt Menschen nicht deshalb „böse“, weil ihre Handlungen „böse“ (gesetzwidrig) sind, sondern weil es sich um Menschen handelt, denen man „böse“ Maximen unterstellt
(frei nach Immanuel Kant: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft)
Klassenhass ist um keinen Deut besser als Rassenhass und darf ebenso wenig zur leitenden Maxime des Handelns werden. Das Problem ist, dass man Maximen zwar unterstellen, diese sich aber nicht erfahren lassen, gesetzwidrige Handlungen dagegen massenhaft in Erfahrung zu bringen sind: Beispielsweise Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, die übrigens weit mehr Empörung auslösen, als wenn in Kreuzberg Steine durch die Fenster eines neugebauten Wohnhauses geworfen werden, obwohl in diesem wie in den anderen Fällen Kinder in Gefahr geraten sind. Auch wenn dem Kampf gegen Ausländern eine „böse“ Maxime und dem gegen Gentrifizierung eine „gute“ unterstellt wird, darf es keine Hierarchie beim Beklagen der Opfer geben!
Dass nicht nur Häuser, sondern noch viel mehr Autos in Brand gesetzt werden, gehört ebenso zu den Erfahrungen mit gesetzwidrigen Handlungen in dieser Stadt. Solche Erfahrung kann mir persönlich zwar nicht passieren, da ich kein Autofahrer bin; sie tangiert mich jedoch als Bürger und wirkt auf mich anscheinend anders als auf manche Linke. „Ein Porschefahrer hat in Kreuzberg nichts zu suchen,“ befand eine alte kommunistische Freundin, als ich sie auf solch einen Brandanschlag ansprach, und fand es ebenso verständlich, dass Linksradikale vom Dach eines besetzten Hauses Feuerlöscher auf Polizisten unter ihnen geworfen und dadurch beinahe einen Menschen getötet hätten; denn sie hätten sich durch einen Hubschrauber der Polizei über ihnen zu dieser Handlung provoziert gefühlt. In dem Stadtteil sind also nicht bloß sozial arrivierte Mieter mit oder ohne Porsche unerwünscht, sondern auch Polizisten, die sich vom „autonomen“ Kreuzberg fernhalten sollen, wenn sie keinen Streit haben und sich somit nicht von einer „bösen Maxime“ leiten lassen wollen.
Wenn Menschen nicht in zivilen Verhältnissen mit einer übergeordneten Staatsmacht leben, von der sie zur Räson gebracht werden, droht Krieg eines jeden gegen jeden anderen
(frei nach Thomas Hobbes: Leviathan)
Fehlgeleitet wie beim Häuserkampf mit Linksradikalen gilt die Polizei anscheinend auch in Fällen, in denen sie gar keinen Streit sucht, sondern – im Gegenteil – einen Streit schlichten will: Etwa einen blutigen Konflikt zwischen rivalisierenden Araberclans auf den Straßen von Kreuzberg, Neukölln oder Wedding. Dann kommt es häufig vor, dass eine aufgebrachte Menschenmasse sich durch die Einmischung der Polizisten provoziert fühlt und denen mit dem Anspruch entgegen tritt: „Das regeln wir selber,“ als hätten Polizei und Justiz unserer Stadt dort nichts mehr zu sagen, sondern nur noch „Friedensrichter“ aus den muslimisch sozialisierten Milieus.
Einwanderer, die dort mit der Attitüde von Kolonialherren auftreten, müssen genauso zur Räson gebracht werden wie Einheimische, die in ihren Quartieren „Autonomie“ für sich beanspruchen oder „national befreite Zonen“ schaffen wollen. Berlin muss nicht bloß administrativ eine Einheitsgemeinde bleiben, sondern darf auch keine gesellschaftlichen Spaltungen hinnehmen – einerlei, ob es Rechte oder Linke, Rechtgläubige oder Linksträger sind, die spalten!
Zur Wahrung von Recht und Ordnung bestimmte das Staatsvolk, wer als Hüter von Recht und Ordnung Streit schlichten, Besitz des einen gegen die Missgunst anderer schützen und die Interessen aller, „so mannigfaltig sie sind,“ im Interesse der Allgemeinheit bündeln soll
(frei nach Friedrich II., König von Preußen: Der Antimachiavell)
„So ist halt Krieg“, gab besagte Altkommunistin im Zusammenhang mit der oben erwähnten „Kriegshandlung“ linksradikaler Hausbesetzer zu verstehen und schimpfte – verständlich – auf die Gentrifizierung, die Wohlhabenden zugute kommt, aber zu Lasten ärmerer Bewohner geht. Und es ist nicht bloß diese Funktionärin einer für den öffentlichen Dienst – inklusive Polizei – zuständigen Gewerkschaft (Ver.di) und einer potentiellen Regierungspartei (Linke); es sind über die Parteigrenzen hinweg auch andere wohlsituierte „Salonlinke“ mit teuren Eigentums- oder Mietwohnungen in der City und wohltemperierter „Weltoffenheit“, die milde Nachsicht walten lassen, wenn Linksradikale Autos anzünden und Feuerlöscher als Waffe im Kampf gegen Gesetzeshüter gebrauchen statt zur Brandbekämpfung.
Wo soll das hinführen, wenn man jeden für einen Brandstifter hält? Ein bisschen Verständnis und guten Willen muss man schon haben und nicht in jedem das Böse sehen!
(frei nach Max Frisch: Biedermann und die Brandstifter)
Wie es scheint, sehen Linke das „Böse“ in Gestalt eines Brandstifters lieber rechts als links, wollen demgemäß ausschließlich gegen Rechte im allgemeinen vorgehen und nicht etwa gegen Rechtsradikale im besonderen; denn sie finden, dass Biedermann für Brände genauso verantwortlich ist wie die Brandstifter. Das ist im Prinzip richtig! Sie wären aber gut beraten, wenn sie sich dazu bequemen könnten, Biedermann auch im eigenen Spiegelbild zu erkennen.
Dann müssten sie allerdings sich selbst die „rote Karte“ zeigen, die sie nach eigenen Worten für andere – nämlich Rechte – bestimmt haben, wie es im Zusammenhang mit der eingangs erwähnten Einigung der „demokratischen Parteien“ im Kampf gegen die Rechten verkündet wurde.
Wäre es nicht einfacher, wenn die Parteien das Wahlvolk ablösten und sich selbst wählten?
(frei nach Bertolt Brecht: Die Lösung)
Es ist schon recht paradox, dass Mannschaften, die zum Wettbewerb antreten, nicht bloß mitspielen, sondern zugleich den Schiedsrichter stellen und bestimmten Gegnern die „rote Karte“ zeigen wollen, als wäre es nicht allein Aufgabe der Wähler, bei den anstehenden Wahlen zu entscheiden, wer wegen einer „roten Karte“ vom Platz gestellt wird, wer zur Verwarnung eine „gelbe Karte“ erhält und wer mit einem „blauen Auge“ davon kommt. Schauen wir mal, wie das Spiel am 18. September um 18 Uhr ausgeht!
Foto: Fenster in Berlin Kreuzberg © David Berger