Dass der AfD-Politiker Höcke wegen des Satzes „Alles für Deutschland“ vom Landgericht Halle zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen à 130 Euro verurteilt wurde, sorgt selbst bei der linken taz für Verwirrung. Nun hat sich auch der ebenso bekannte wie wegen seines Scharfsinns von den neuen Inquisitoren gefürchtete Michael Klonovsky in der Sache zu Wort gemeldet. Unser Fundstück der Woche:
Es handelt sich um einen Fall von politischer Justiz, eines Rechtsstaates, wie man sagt, unwürdig – aber wo fände man Würde in den höheren Rängen von Besteverland? –, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen hat die Verteidigung schlüssig begründet, dass für die Behauptung, „Alles für Deutschland” sei die oder wenigstens eine zentrale Parole der SA gewesen, kein Nachweis vorliegt. Das Gericht hat auch keinen vorgelegt; dessen gesamte Argumentation beruhte auf der Behauptung, das sei „allgemein bekannt”, und als Beleg diente ein Urteil des OLG Hamm aus dem Jahre 2006, in dem geschrieben steht, dass es sich bei der fraglichen Formulierung „wie allgemein bekannt ist, um die Losung der SA, d.h. der Sturmabteilung im sogenannten Dritten Reich, handelt”. Auch das OLG Hamm verzichtete großzügig darauf, diese Behauptung durch irgendeine Quelle zu stützen. Während in diesem Falle also nicht, wie sonst üblich, ein Historiker vom anderen abgeschrieben hat, schrieb ein Gericht vom anderen ab.
Höckes Anwälte hatten zwar darauf hingewiesen, dass weder in den beiden historischen Standardwerken über die SA – Peter Longerich, „Geschichte der SA” (1989 zunächst unter dem Titel „Die braunen Bataillone” erschienen) und Daniel Siemens, „Sturmabteilung” (2019), – noch in dem Standardwerk über die Sprache des Dritten Reichs, Cornelia Schmitz-Bernings „Vokabular des Nationalsozialismus” (2. Aufl. 2007), diese Parole überhaupt erwähnt werde (alle drei Bücher wurden dem Gericht als Dateien zur Nachprüfung vorgelegt). Es sei aber trotzdem die Parole der SA gewesen, auch wenn sie „nicht in jedem Buch stünde”, statuierten die Richter. Natürlich nicht in jedem Buch, sagt der Anwalt Ulrich Vosgerau, in „Pippi Langstrumpf” stünden diese Worte auch nicht, aber das Gericht habe nicht ein Buch vorgelegt, in dem sie zu finden seien.
Haben die Richter wenigstens Historiker als Sachverständige zur Stützung ihrer, sagen wir: Hypothese geladen? Aber wo! Nicht einen. Also tat es die Verteidigung. Was nicht einfach war; mehrere angesprochene Professoren reagierten auf die Bitte wie auf die Androhung des Scheiterhaufens – „Wenn ich zugunsten Höckes aussage, kann ich meinen Lehrstuhl abschreiben”, sagte einer (was für eine prachtvolle Charade über die Lage der geistigen Freiheit in dieser Republik!) –, so dass am Ende einzig der „rechte” Historiker Karlheinz Weißmann als Experte vor Gericht erschien und mit beeindruckender Sachkenntnis darlegte, dass diese Parole viel älter als der Nationalsozialismus ist, in der Weimarer Republik über alle politischen Lager hinweg verwendet wurde und sich keineswegs im Sinne des Gerichtes der SA zuordnen ließe.
Die Beisitzerin erkundigte sich schlau, ob denn das Hakenkreuz vor den Nationalsozialisten bekannt gewesen sei. Weißmann, der nicht nur ein großes Werk über das Dritte Reich, sondern auch eines zur Geschichte der Swastika verfasst hat, replizierte als Historiker und tat allgemein Bekanntes kund, ohne den Hintersinn der Frage zu erraten. Ein Politiker hätte antworten müssen: Ja, dieses Symbol sei uralt und in vielen Teilen der Welt bekannt, aber erst der NS-Staat habe es politisiert, als sein zentrales Kennzeichen verwendet und millionenfach verbreitet, so dass es tatsächlich seither allgemein bekannt sei und als schlechthinniges Zeichen des Nationalsozialismus betrachtet werde.
Das Urteil ist nun ebenfalls allgemein bekannt. Die Richter taten so, als sei Weißmann nie vor ihnen erschienen, und sie hielten die Behauptung des OLG Hamm für historisch relevanter als die entsprechenden Standardwerke. Das Gericht legte ebenfalls keinen Beweis dafür vor (und führte auch keine Zeugenbefragung durch), dass dem thüringischen Meister Urian und Schleppfuß die Worte als Losung der SA bekannt gewesen seien – wie auch, wenn Beweise dafür so rar sind? – und er sie so bewusst wie vorsätzlich in diesem Sinne verwendet habe.
Ein Jurist sagte mir gestern, dass wir inzwischen in einem Zustand der fingierten Wirklichkeit lebten, in dem für wahr zu gelten habe, was die Regierung wünsche. Das sei bei den angeblichen Hetzjagden von Chemnitz so gewesen, als ein nichtssagendes Videoschnipsel einer obskuren Antifatruppe nicht nur die Einschätzung von Polizei, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz ausstach, sondern sogar zur Entlassung des VS-Chefs führte, das habe sich fortgesetzt bei dem angeblichen Geheimtreffen am Lehnitzsee, wo keineswegs über die Deportation von Millionen Ausländern gesprochen wurde und dennoch Abertausende Menschen im festen Glauben an dieses Märlein auf die Straße gingen, und finde nun seinen einstweiligen Höhepunkt im Urteil des Landgerichts Halle (an dessen Fassade neckischerweise der Ausspruch „Jedem das Seine” prangt), das einfach ohne jeden Beweis festlegt, was fortan als allgemein bekannte historische Tatsache zu gelten habe. Die Pointe in allen Fällen bestehe darin, dass ein pures Nicht-daran-glauben bereits zur sozialen Ächtung führe.
Ich habe mich oft gefragt, was Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, CDU, meinte, als er von einem „Angriff auf unsere Wahrheitssysteme” sprach. Allmählich ahne ich es. (Quelle)
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— Arminius (@arminiusdd) May 15, 2024
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