Der Krieg in der Ukraine wird überhöht zu einem Kampf zwischen rivalisierenden Systemen, aber das ist dieser Krieg nicht. Es geht nicht um Ihre oder meine Sicherheit. Wegen meiner Freiheit und zur Verteidigung meiner demokratischen Rechte muss kein Mensch in der Ukraine sterben.
Unter dem Titel „Das Gemetzel muss beendet werden“ hat der Weser-Kurier heute ein Interview mit dem SPD-Politiker Günter Verheugen über den Krieg in der Ukraine, über Friedensverhandlungen und die Debatte in Deutschland geführt.
Verheugen bestimmte über viele Jahre das politische Geschehen in der Bundesrepublik und der EU mit: als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, Staatsminister im Auswärtigen Amt und von 2004 bis 2009 EU-Kommissar in Brüssel und Vizepräsident der Europäischen Kommission.
Nie wieder Krieg!
Er selbst sagt in dem Interview: „Ich bin sehr geprägt von der frühen Entspannungspolitik. Ich habe sie nicht nur miterlebt, sondern ich war daran beteiligt. Wenn Willy Brandts Position gewesen wäre, dass man mit Breschnew nicht reden kann, wäre der Kalte Krieg bis heute nicht beendet … Ich bin geprägt von der frühen Bundesrepublik. Ich erinnere mich daran, wie das Leben in einem nicht nur materiell, sondern auch moralisch zerstörten Land ausgesehen hat. Nie wieder Krieg, das ist im Bewusstsein meiner Generation und derjenigen, die den Krieg selbst noch erlebt haben, tief verankert.“
Und in der Tat scheint vieles, was damals vermutlich den Dritten Weltkrieg verhinderte, heute so gut wie vergessen. Umso wichtiger, dass Verheugen es in Erinnerung ruft. Er kritisiert hart die derzeitige Schwarz-Weiß-Malerei von Politik und Medien und erinnert an die Vorgeschichte des Krieges, die unsere Kriegsfanatiker gerne ausblenden. Auf die Frage des Interviewers: „Sie sagen, dass der Krieg in Deutschland auf einen Kampf zwischen Gut und Böse reduziert wird. Es gibt eine ungeheure Solidarisierung mit dem Guten, der Ukraine, gegen das Böse, Putin und Russland. Wie erklären Sie sich das?“ … antwortet er: „Der Umsturz in der Ukraine wird bei uns dargestellt als eine demokratische Revolution von begeisterten Pro-Europäern. Das war eine fabelhafte PR-Nummer, denn es ist nur ein Ausschnitt der Wahrheit. Es war ein vorbereiteter Staatsstreich. Die ersten Maßnahmen der Übergangsregierung waren gegen die russischstämmige Bevölkerung in der Ukraine gerichtet. Dann begann der Krieg, 2014 mit der sogenannten Anti-Terror-Operation, und die russische Politik von Putin wurde dämonisiert. Die Annexion der Krim hat ihn ins Unrecht gesetzt, das machte es leicht. Der Krieg in der Ukraine wird entsprechend überhöht zu einem Kampf zwischen rivalisierenden Systemen …
Meine Freiheit ist nicht durch Russland bedroht
… aber das ist dieser Krieg nicht. Es geht nicht um Ihre oder meine Sicherheit. Wegen meiner Freiheit und zur Verteidigung meiner demokratischen Rechte muss kein Mensch in der Ukraine sterben. Meine Freiheit ist nicht durch Russland bedroht. Schon allein das zu sagen, bringt einen heute in den Verdacht, ein nützlicher Idiot des Kremls zu sein. Deshalb, um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Es besteht kein Zweifel daran, dass Russland der Aggressor ist, Verträge und Grundsätze verletzt hat, die das friedliche Zusammenleben in Europa regeln sollen. Aber man muss die Vorgeschichte dieses Kriegs kennen, um sich ein sachliches Urteil zu bilden.“
Dass die Debatte in Deutschland so verengt sei und sich auf die Forderung nach immer neuen Waffenlieferungen und dem Verweigern jeder Friedensverhandlungen versteife, sieht Verheugen u.a. in der „fundamentalistischen Außenpolitik der Grünen“ begründet: „Zudem übt die Ukraine moralischen Druck aus, dieser Druck wird in den deutschen Medien massiv verstärkt. Die Waffen, die an die Ukraine geliefert werden, sind nie genug. Und ich frage mich, wohin das am Ende führen soll, wenn man es auf der anderen Seite mit einer Atommacht zu tun hat.“
Kein Geringerer als Johannes Varwick kommt zu dem Schluss: „Das Interview mit Günther Verheugen ist klüger und weitsichtiger als die Durchhalteparolen vieler der üblichen Verdächtigen – die das jetzt wieder erwartbar verächtlich machen.“
Hier können Sie das gesamte Interview lesen: WESER KURIER.