Ein neues Buch legt einen Grundstein für die Neuentdeckung der von der NS-Diktatur verfolgten und verfemten Autoren, die zu Unrecht in Vergessenheit gerieten – dies maßgeblich befördert durch die „68er“-Bewegung, deren geistige Abwicklung noch lange dauern wird, obschon sie höchst dringlich ist.
Als die Bücher brannten, wussten die Autoren, die nicht mit dem Nationalsozialismus einverstanden waren, dass sie reagieren mussten – speziell der Protest musste eine sorgfältig gewählte Form bekommen.
Wie konnten Literaten, wie konnten Autoren den Bücherverbrennungen, dieser gewaltsamen Vernichtung ihres geistigen Erbes, das sie befürchten mussten, entgehen? Durch geheimen Protest, durch klandestine Andeutungen, häufig auch durch ganz offene Anprangerung des Bösen – die aber die Nationalsozialisten in ihrer ideologischen Beschränktheit nicht wahrnahmen. Und wie merkwürdig – das setzt sich fort. Die deutsche Literatur widerständigen, diktaturfeindlichen Inhalts stellt den am meisten unterschätzten Sektor der hiesigen Literaturgeschichte dar. Das sagt kein Geringerer als der bedeutende Germanist, Historiker und Literaturwissenschaftler Günter Scholdt. Darüber hat er jetzt ein großes Werk verfasst.
Klare Haltung von Literaten gegen Diktatur und Verführung
Die Namen von Werner Bergengruen, Ernst Wiechert, Jochen Klepper, Gerhart Hauptmann, Gottfried Benn und Ricarda Huch stehen exemplarisch für die klare Haltung von Literaten gegen Diktatur und Verführung. Dasselbe gilt für die Namen von Stefan Andres, Edzard Schaper, und Georg Britting, aber sind eigentlich nur noch Spezialisten geläufig. Dabei wäre es wichtig, die Werke all dieser Autoren zu kennen, ihr Œuvre studiert zu haben. Denn sie alle und viele mehr gehören in die Literaturgattung „Innere Emigration“, die den stillen Widerstand der Literaten in den Jahren 1933 bis 1945 beschreibt.
Auf knapp 500 Seiten präsentiert Scholdt Meisterwerke, lebendig und vielfältig – entstanden trotz Unterdrückung, gegen die Gleichschaltung. Er vermittelt seinen Gegenstand dabei so, dass Spezialisten Neues erfahren, ein breiteres Publikum zugleich aber bestens verständlich informiert wird. Weil ihm dieser Spagat gelingt, kann er auch auf einen wissenschaftlichen Apparat mit Fußnoten und detailliertem Quellenverzeichnis verzichten, ohne dass die Qualität der Ergebnisse leidet.
„Der Großtyrann und das Gericht“
Bereits der erste näher behandelte „Schlüsseltext der inneren Emigration“, es handelt sich um „Der Großtyrann und das Gericht“ von Werner Bergengruen, belegt dies anschaulich. Völlig zurecht klassifiziert Scholdt dieses Buch als „subversive Epik“. Er ist, das belegt er deutlich, einer der wenigen wirklichen Kenner der Materie. Das Buch ist, anders kann es nicht gesagt werden, ein echtes Desiderat! Ein Beispiel für eine äußerst gelungene Einbettung einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit einem Buch in einem Zeitkontext.
Auch Hans Fallada emigierte nicht, sondern arrangierte sich mit dem Regime. Später wurde ihm das durchaus zum Vorwurf machte – von Menschen, die nichts mehr zu befürchten hatten. Scholdt ergänzt jedoch, und das tut er bereits in der Einleitung, dass Fallada drogenabhängig, alkoholkrank und politisch völlig illusionslos war – dass ihn letztlich, vielleicht aufgrund eigener prekärer Lebensumstände, sein Mitgefühl für arme und leidende Zeitgenossen auszeichnete. Alle Vorwürfe werden angesichts dessen stark relativiert. – Thomas Mann gerät angesichts seiner Haltung in das Licht der Hypermoral. Höchst bemerkenswert auch, dass Marion Gräfin Dönhoff wiederum die Aussage, Kunst im Nationalsozialismus sei notwendigerweise totalitär gewesen, ebenfalls für totalitär hält. Und das sind nur Beispiele.
Widerständiger Mut
In seiner nun vorliegenden Studie zur den in der NS-Zeit verfolgten und verfemten Autoren würdigt Scholdt gleichermaßen bedeutende ästhetische Leistungen und einen heute weithin unterschätzten widerständigen Mut. Es geht ihm dabei zugleich um die besondere Bedeutung, die das widerständige Schreiben der NS-Jahre hinsichtlich der Verwerfungen in unserer eigenen Zeit gewinnt. Dazu gehört, den Scholdt aber hat. Als Wissenschaftler genießt er höchste Anerkennung, aber er spricht eine andere, viel handfestere Sprache als die häufig abgehoben diskutierenden Kollegen seines Faches.
Angesichts dieser Authentizität nimmt es nicht wunder, dass er es an zeitgeschichtlicher Kritik nicht mangeln lässt – doch deutlich wird letztlich, warum er dies tut: Scholdt legt hier einen Grundstein für die Neuentdeckung der von der NS-Diktatur verfolgten und verfemten Autoren, die zu Unrecht in Vergessenheit gerieten – dies maßgeblich befördert durch die „68er“-Bewegung, deren geistige Abwicklung noch lange dauern wird, obschon sie höchst dringlich ist. Für seinen Beitrag zu diesem kulturellen Großprojekt gebühren Scholdt Dank und Anerkennung.
Der Autor:
Günter Scholdt (geb. 1946 in Mecklenburg), Prof. Dr., Germanist und Historiker, bis 2011 Leiter des Saarbrücker „Literaturarchivs Saar-Lor-Lux-Elsaß“. Arbeitsschwerpunkte: Literatur 1933–1945 (Autoren über Hitler, 1993), Regional- und Grenzliteratur (Sammlung Bücherturm, 2002–2017), literarisches Werten. Zuletzt u. a.: Die große Autorenschlacht. Weimars Literaten streiten über den Ersten Weltkrieg (2015), Literarische Musterung. Warum wir Kohlhaas, Don Quijote und andere Klassiker neu lesen müssen (2017). Dazu Beiträge zur Analyse aktueller politisch-rechtsstaatlicher Verwerfungen, u. a.: Anatomie einer Denunzianten-Republik (2018), Populismus (2020).
Der Verlag:
In der neuen Reihe „Erinnern und Überliefern“ veröffentlicht der Lepanto Verlag Bücher, die sich um das humanistische Erbe unserer christlich-abendländischen Kultur bemühen. Was dem Vergessen entrissen werden soll, sind einerseits Texte, die durch die persönliche Erinnerung menschlich und spirituell besonders beglaubigt sind, und andererseits Darstellungen, die dazu beitragen, verlorene Landschaften unserer gemeinsamen Geschichte ins Gedächtnis zurückzurufen: Wahrheit und Wirklichkeit der personalen Überlieferung wie der großen Tradition.
Günter Scholdt: Schlaglichter auf die „Innere Emigration“. Nichtnationalsozialistische Belletristik in Deutschland 1933 – 1945. Reihe „Erinnern und Überliefern“, Rückersdorf über Nürnberg 2022 – 476 S., zahlr. Abb., 140 x 205 mm, Klappenbroschur, 29,50 € (D), 30,40 (AUT), 30,60 (CHF) ISBN 978-3-942605-25-0. Das Buch kann direkt beim Verlag bestellt werden.
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