Mittwoch, 25. Dezember 2024

Wenn aus „Amtsenthebungsverfahren“ Kriege werden

Entmachtung unliebsamer Politiker: Putins Krieg in der Ukraine ist nicht der erste Versuch dieser Art. Auch von den 50 „Operationen“ der USA hatten einige diesen Zweck. Ein Gastbeitrag von Albrecht Künstle

Der Angriff Russlands auf die Ukraine durfte von Putin aus nur als „Spezialoperation“ bezeichnet werden. Sie war darauf angelegt, den US-hörigen ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj samt seiner Vize-Regierungschefin und Ministerin für Wiedereingliederungen Iryna Wereschtschuk sowie den Rüstungs- und Verteidigungsminister Olexij Resnikow zu entmachten. Quasi als „Amtsenthebungsverfahren“ a la Putin. Denn die ukrainische Regierung steht mit dem Budapester Memorandum sowie dem Minsker Abkommen auf Kriegsfuß und setzte dem russisch geprägten Donbass acht Jahre lang heftig zu. Fast 14 000 Bewohner sollen den Angriffen zum Opfer gefallen sein.

Auch die Bedingung der deutschen Wiedervereinigung – keine NATO-Osterweiterung – war der Ukraine „wurscht“. Sie wollte auf Drängen der USA ebenfalls in den westliche Militärmoloch mit bereits 30 Staaten, der spätestens seit dem Jugoslawienkrieg 1999 nicht mehr nur ein Verteidigungsbündnis ist. Um die maßgeblichen Amtsinhaber der Ukraine zu entmachten, rollten Putins Panzer und Militärkolonnen Ende Februar zuerst gegen deren Regierungssitz: Kiew.

Amtsenthebungen sind eigentlich ein Instrument, das nur im Innern von Staaten zum Tragen kommt. „Ein Amtsenthebungsverfahren kann in bestimmten Rechtsordnungen ergehen, wenn ein Amtsträger gegen seine Aufgaben verstoßen oder eine Straftat begangen hat. Das Amtsenthebungsverfahren stellt einen traditionellen Bestandteil des präsidentiellen Regierungssystems dar, in dem es keine Wahl und Abwahl der Exekutivmitglieder durch das Parlament gibt“, so die Definition aus Wikipedia.

Drei solcher Amtsenthebungsverfahren gab es in Russland gegen Boris Jelzin, sie scheiterten. Auch aus der versuchten „Amtsenthebung“ der Führer der Ukraine wurde nichts, und das ist gut so. Sie kamen demokratisch an die Macht, wenn auch mit massiver Hilfe des Westens. Und es ist Sache der Bevölkerung der Ukraine, diese abzuberufen oder ihr riskantes Spiel weiter zu unterstützen. Aber wie kam es, dass Putin überhaupt auf die Idee kam, militärisch einen Machtwechsel in der Ukraine zu versuchen? Kurzum, weil es dazu viele Vorbilder für den „Regime-Change“ gab. Betrachten wir nur den Zeitraum nach Ende des Zweiten Weltkrieges.

Die USA bestritten in dieser Zeit ca. 50 Kriege – „Operationen“ wie sie im Militärjargon hießen, darunter auch einige Amtsenthebungen oder deren Versuch. Hier nur die bekanntesten. 1961/62 landeten die Amerikaner in der „Schweinebucht“ Kubas, um dort Fidel Castro seines Amtes zu entheben. Es misslang, aber dem Versuch fielen ca. 300 Menschen zum Opfer. Etwas blutiger wurde es 1964 in Laos mit 20 000 bis 62 000 Toten, die sich aber auf sechs Jahre Krieg verteilten. Halb so schlimm?

1975 endete das versuchte Amtsenthebungsverfahren gegen Ho Chi Minh in Vietnam. Er kostete zwischen 405 000 und 627 000 vietnamesischen Zivilisten das Leben. Da nahmen sich die 58 220 toten amerikanischen GIs fast „human“ aus. Dagegen fielen 254 256 südvietnamesische Soldaten, viermal mehr. So etwa kann es auch in der Ukraine enden, wenn der Stellvertreterkrieg nicht beendet wird. Die Amtsenthebung in Vietnam war ein Flop, denn Ho Chi Minh blieb, bei drei Vietnamkriegs-Präsidenten in Folge. Zwischendurch 1967 wurde in Bolivien mithilfe des CIA Ernesto Che Guevara erschossen – eine unfeine Art der Amtsenthebung.

Ab 1986 war dann Gaddafi dran. Er war zu volksnah – jedenfalls nicht so korrupt wie arabische Despoten – und wollte sich nicht mehr dem Petrodollar unterwerfen. Mit der „Operation El Dorado Canyon“ – Putin lernte wie man Kriege nennen darf – wurden Tripolis und Bengasi schwer bombardiert. Doch Gaddafi herrschte weiter und wurde erst 2011 amtsenthoben bzw. erschossen. Allerdings nicht durch Amerikaner, aber vielleicht durch eine Waffe aus den USA.

Ab 1992 dann das Amtsenthebungsverfahren von Saddam Hussein. Die USA errichteten eine Flugverbotszone – nicht über ihrem Weißen Haus, sondern im fernen Irak. „Der Luftkrieg wurde eingeschränkt bis 2002 wieder aufgenommen, vorgeblich um Saddam Hussein von Luftangriffen auf die irakischen Kurden im Norden und die Schiiten im Süden des Landes abzuhalten und einen erneuten Überfall auf Kuwait zu verhindern.“ 2003 erfolgte dann die Invasion der USA und GB, die Saddam nur drei Jahre überlebte. Obwohl er bereits amtsenthoben war, wurde er 2006 gehängt. Außer ihm mussten 500 000 irakische Menschen ihr Leben lassen.

2001 sollten dann die Taliban in Afghanistan entmachtet werden – wiederum ohne das Krieg zu nennen, sondern eine „Operation“ namens Enduring Freedom. Dieses Verfahren dauerte 20 Jahre, aber die Amerikaner und ihre Gefolgsleute zogen ab und die Taliban sitzen fester im Sattel denn je. „Umsonst“ war der Krieg nicht, die Erdbevölkerung wurde um 240 000 Menschen dezimiert. Für 20 Jahre Krieg vertretbar? Die aktuell rund 270 000 afghanischen Migrationshintergründler alleine in Deutschland sind es bestimmt nicht.

2017/18 stand dann Assad in Syrien auf der Abschussliste. Seit 2011 herrschte ein Bürgerkrieg islamischer Richtungen untereinander, wobei der herrschende Assad zu den Gemäßigten zählte. Die oppositionellen Islamisten bis hin zum IS sind weit schlimmer. Aber schon in Afghanistan setzte der Westen auf die falschen Kräfte und erklärte Assad zum Hauptfeind. Auch seine Amtsenthebung war bisher nicht erfolgreich; der Grund dafür findet sich in dieser Abhandlung.

Bilanz in Syrien: 600 000 Tote auf allen Seiten. 5,5 Mio. Menschen gingen ins Ausland, darunter fast 900 000 nach Deutschland – die USA ist wieder außen vor. So verhält es sich auch in der Ukraine, die USA ist sprichwörtlich „weit vom Schuss“. Der türkische NATO-Erdogan versucht nun, das Werk zu vollenden und übt in Nordsyrien, wie man ein Land permanent angreift, um die Widersacher auszuschalten. Dass darunter auch Christen leiden ist vielleicht sogar gewollt.

Aber auch die Europäische Union übt sich in Sachen Amtsenthebung. Sie schießt allerdings noch nicht mit Kanonen, sondern mit Blauen Briefen, Geldentzug, Boykotten, Gerichtshof und anderen Instrumenten. Zielscheibe sind derzeit die (Minister)Präsidenten in Polen und Ungarn, aber das EU-Triumvirat von der Leyen, Timmermans und Weber zeigt sich erbarmungslos. Ein Segen, dass sie keine Waffengewalt haben.

Ob Putin an all den „Operationen“ des Westens Maß genommen hat? Dann hoffentlich auch an der Erkenntnis, dass Amtsenthebungsverfahren von außen scheitern können! Aber diese Liste der Militäroperationen der USA könnten Putin eher noch skrupelloser machen, weil er nur nachmacht, was andere vorexerziert haben. Wünschen wir der Ukraine einen kürzeren Krieg als die Operationen des Westens von bis zu 20 Jahren.

Dieser Artikel erscheint auch auf der Webseite des Autors.

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Albrecht Künstle
Albrecht Künstle
Der Autor Albrecht Künstle, Jahrgang 1950, ist im Herzen Südbadens daheim, hat ein außergewöhnlich politisches Erwerbsleben mit permanent berufsbegleitender Fortbildung hinter sich. Im Unruhezustand schreibt er für Internetzeitungen und Nachrichtenblogs der Freien bzw. Alternativen Presse zu den ihm vertrauten Themen Migration, Religionsfragen, Islam, Kriminalität, Renten, Betriebliche Altersversorgung, Wirtschaftsthemen u.a.

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