Dieses Versagen, welches wir auf breiter Front derzeit wahrnehmen, ist in seiner Struktur nicht neu, es wiederholt sich lediglich erneut. Ein Gastbeitrag von Meinrad Müller
Das scharfe Schwert der Kritik überlassen wir hierbei Erasmus von Rotterdam (1467-1536), dessen Worte damals wie heute zutreffend den Finger in die offensichtliche Wunde legen. Er, der erste große Europäer und wahre Humanist, redete den permanent Krieg führenden europäischen Fürsten und Königen seiner Zeit eindringlich in großen und sehr wohl beachteten Schriften ins Gewissen. Unter den Lasten eines Krieges litte vornehmlich das gemeine Volk, das am wenigsten in die Händel und die Streitsucht der Herrscher um Macht und Wahrheiten eingebunden war.
Krieg sei, so Erasmus, ein „Schiffbruch aller guten Dinge“. Und nun, rund 500 Jahre später, wird unsere globale Welt überrannt von einer gänzlich neuen Kriegsform. Die Frontlinien durchziehen nicht Schützengräben auf Schlachtfeldern fern der Heimat, sondern gesamte Gesellschaften bis in die kleinsten Zellen des Staates, die Familien. Wie ehedem wird an auch an diesen gänzlichen neuen Fronten brutal gekämpft, vornehmlich mit Worten und Bildern. Lügen wie in „richtigen“ Kriegen werden gezielt entwickelt und medial verbreitet. Kollaborateure mit der „Nicht-Wahrheit“ werden wie in vorchristlichen und alttestamentarischen Zeiten öffentlich und zeremoniell hingerichtet, dies unter dem Beifall der tumben und angepassten Führergefolgschaft.
Mit der gleichen Borniertheit wird jetzt dieser neue Krieg zulasten der Völker perfide wie noch nie geführt, blutig, diktatorisch und „alternativlos“.
In der reinen Sphäre der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit verharren
Erasmus wandte sich an die geistigen Eliten seiner Zeit, die heute in gleicher Weise versagen wie jene im 16. Jahrhundert. Die Eliten aus Wissenschaft, Philosophie, Militär, Wirtschaft und Kirche nehmen auch heute wiederum Platz an den reich mit Fleischtöpfen gedeckten Tischen der herrschenden Klasse und übernehmen dank Ihres Einflusses auf die Medien deren Sicht, statt sich mit dem Volke gegen die Politikerkaste zu verbünden.
Folgendes Zitat ist entnommen Stefan Zweigs „Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam:
„Für geistige Menschen bedeutet also Entscheidung durch Waffen niemals moralische Lösung eines Konflikts; ausdrücklich erklärt Erasmus, dass im Kriegsfall die geistigen, die Gelehrten aller Nationen ihre Freundschaft nicht aufzukündigen hätten. Ihre Einstellung darf niemals sein, die Gegensätze der Meinungen, der Völker, der Rassen und Klassen durch eifernde Parteilichkeit zu verstärken, unterschiedlich haben sie in der reinen Sphäre der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit zu verharren.“