Donnerstag, 21. November 2024

Corona: Was wenn doch noch (fast) alles gut geht?

Wenn wir schon nichts Positives aus dieser Superkrise ziehen, dann doch wenigstens den Luxus der aussitzenden Meinungslosigkeit und ein wenig Urvertrauen in uns selbst. Wir werden schon nicht alle sterben und es wird irgendwann auch wieder eine (neue) Normalität Einzug halten – meint unser Kölner Gastautor Richard Feuerbach. Im Sinne der von PP angezielten Vielfalt verschiedener Positionen zur Corona-Krise veröffentlichen wir hier diesen Beitrag, der optimistisch in die Zukunft schaut.

Im Januar 2020 erreichte die Coronavirus-Erkrankung (COVID-19) Deutschland. Die durch ein neuartiges Virus verursachte Infektionskrankheit fegt seither wie ein Sturm über das Land und verändert sein Gesicht. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, passieren Dinge, die vor einem halben Jahr noch niemand für möglich gehalten hätte und die wohl kaum jemand in der Komplexität der Auswirkungen wirklich verstehen könnte.

Ob diese weltweite Pandemie-Krise die Erde und ihre Menschen wirklich nachhaltig verändern wird oder nicht, vor allem wie, das wird erst die Zukunft endgültig zeigen. Den Zeitgeist prägt sie jedoch bereits schon jetzt.

Die Sturzflut aus Informationen in unzähligen Medien und Kanälen lässt bis dahin viele Menschen mehr oder weniger rat- und hilflos zurück. Einige reagieren mit Zweifel, Verzweiflung oder Kritik an allem und jedem. Andere nehmen die Situation stoisch hin und vertrauen darauf, dass die Regierenden schon das Richtige tun. Wieder andere versuchen einen Fokus zu setzen, die Informationen erst einmal alle zu sortieren, versuchen die Unzahl an Argumenten zu verstehen und gegeneinander abzuwägen. Jeder geht mit der Situation irgendwie anders, individuell um. Ist alles eine Frage von Charakter, Bildung, Wissen oder bei manchen eben einfach nur Haltung. Am Ende soll dann eine Meinung stehen.

Im Zeitalter des Internets bevorzugt wohl jeder so seine eigenen, ganz bestimmten Quellen zur Meinungsbildung und misstraut wiederum anderen Quellen, die nicht nach seinem persönlichen Gusto sind oder die die eigene Haltung nun so gar nicht widerspiegeln. Neutralität ist oft nur noch eine Fata Morgana.

Es soll natürlich auch noch Leute geben, die versuchen, ein möglichst breites Spektrum an Quellen zu nutzen oder die sogar Primärquellen z.B. in Form von wissenschaftlichen Artikeln der verschiedenen Fachrichtungen lesen. Klugscheißer, Nerds, verrückte Journalisten oder einfach Freaks halt.

Ich muss gestehen, mir sind wissenschaftliche Fachartikel dabei bisweilen zu anstrengend. Manchmal verstehe ich sie sogar schlicht nicht, weil ich eben z.B. in Mathematik und Statistik auch nicht gerade die hellste LED auf der sich nicht mehr drehenden Discokugel bin.

Ich persönlich lese und schaue seit Wochen in allen möglichen Medien und auf allen möglichen Kanälen. Wobei ich stets bemüht bin das Spektrum von links, über diese komische Mitte bis hin zu rechts, vom Mainstream bis zu sog. Alternativen Medien, von Zahlen und ihrer Interpretation abzudecken.

Also im Klartext: Ich lese mal einen Artikel in der WELT, mal einen im Spiegel, mal in der SZ, der FAZ, dem Focus, Bild, Express, Zeit, taz, NZZ, Cicero, Spektrum, Bild der Wissenschaft, Handelsblatt, Capital, Manager Magazin, Junge Freiheit, Tichys Einblick, Achse des Guten oder ketzerischer Weise PI-News und noch schlimmer. Tendenziös ist voll trendy. Aber by the way…einige der hier genannten Quellen tun sich da nichts. Sie bilden Pole und polarisieren.

Ich ziehe mir die Morningbriefings von Gabor Steingart rein, höre Podcasts wie beyond the obvious von Stelter, schaue Tagesschau, Heute, Brennpunkte, WELT, N-TV, CNN, BBC, irgendwelche YouTube-Videos oder surfe auf den Seiten des RKI, der Ministerien, irgendwelcher Institute, google mich blöde und…und…und…dann ist der Tag auch schon vorbei und ich gönne mir immer noch den Luxus der Meinungslosigkeit.

Fast jeder versucht seine eigenen Schlüsse aus den Informationen zu ziehen, um sich irgendwie zu „Corona“ zu positionieren und mit der uns alle irgendwie aus der Bahn werfenden Situation klarzukommen.

Ich ziehe auch meinen Schluss: Nämlich keinen.

Als Autor und Blogger versuche ich hier aber mal über den Schreibprozess selbst etwas klarer zu werden und eine Art Sekundärquelle anzubieten. Schreiben befreit und hilft einem dabei, sich über manche Dinge klarer zu werden. Der Prozess des Lesens und des Schreibens wirkt. Manchmal.

In meinem Meinungsbildungsprozess spielen zur Zeit verschiedene ungeklärte Fragen und Probleme eine Rolle. War der Lockdown nötig? Übereilt? Kam er zu spät? War er komplett unnötig? War er zu hart oder zu weich? Welche Folgen hat er und welche Folgen sind schlimmer? Kommt es darauf an möglichst viele Leben zu retten? Ist 1 Leben mehr wert als die gesamte Wirtschaft? Was wiegt schwerer? Körperliche Gesundheit oder psychosoziale Gesundheit? Wirtschaft? Wie wollen wir wirtschaften? Wird jetzt die Systemfrage gestellt? Jubeln bald die Sozialisten oder die Haifischkapitalisten? Was ist mit unseren Grundrechten? Persönlichkeitsrechten? Datenschutz? Ist die Demokratie in Gefahr? Wer zahlt in Zukunft eigentlich noch Steuern für unser gerettetes Gesundheitssystem und all das Geld, welches als Schulden jetzt aus dem Nichts geschöpft wird? Fragen über Fragen, auf die ich bisher nirgendwo befriedigende Antworten gefunden habe.

Leider stellen sich viele Menschen aber kaum noch Fragen. Viele Menschen scheinen alles zu wissen und jeden Mist zu glauben.

Zu manchen Verschwörungstheorien fällt mir echt nichts mehr ein. Was für ein Q…uark.

Worüber ich mich früher noch lachend fremdschämen oder wohlig gruseln konnte, darüber kann ich inzwischen oft nur noch kotzen. Ich kann ja den Frust und die Angst der Menschen verstehen und viele Kritikpunkte sind sicher auch absolut angebracht, aber was sich da jetzt teilweise unter Widerstand2020, Spaziergängen und irgendwelchen Demos kaum oder semibekannter Anmelder zusammenbraut, das finde ich doch durchaus befremdlich. Wer wundert sich denn da eigentlich noch, wenn die Medien über wilde Querfronten aus Verschwörungstheoretikern, Linksaktivisten und Rechtsradikalen berichten? Das Framingwort Coronaleugner hat sich manch einer redlich verdient. Bei dem Spektakel wundert mich gar nichts mehr.

Aus Thesen werden Theorien. Aus Spekulationen werden Verschwörungstheorien.

Wer sich nicht ganz zu Unrecht Sorgen um die mögliche Untergrabung unserer demokratischen Verfasstheit macht und bestimmte Anti-Coronamaßnahmen bzw. deren Folgen hinterfragt oder kritisiert, der sollte m.E. nicht gerade dort mitlaufen, wo eben oft auch jene sich tummeln, die genau diese zwingend zu schützende Demokratie wirklich untergraben könnten. Da gibt es sicher bessere Wege als einen Demo-Spaziergang, der zu einer andere Menschen gefährdenden Coronaparty mutiert und am Ende noch eine neue Stufe der Spaltung dieser Gesellschaft zündet.

Das alles macht mir mindestens genauso viel Angst, wie eine Infektion mit Corona bei einem geliebten Menschen oder bei mir selbst.

Noch mehr Spaltung darf nicht die Lehre sein, die wir als Gesellschaft aus dieser Krise ziehen. Egal wie wenig Vertrauen man noch in die Politik oder die Medien haben mag. Wir sind alle nur Menschen. Bürger, Politiker, Journalisten, Polizisten…wir sind alle Menschen, wenn wir menschlich sind und auch so miteinander umgehen.

Der Mensch wird erst zum Menschen durch Menschlichkeit.

Wenn wir schon nichts Positives aus dieser Superkrise ziehen, dann doch wenigstens den Luxus der aussitzenden Meinungslosigkeit und ein wenig Urvertrauen in uns selbst. Wir werden schon nicht alle sterben und es wird irgendwann auch wieder eine (neue) Normalität Einzug halten.

Corona ist kein Systemsprenger. Es sei denn wir lassen es zu.

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Der Beitrag erschien zuerst bei Richard Feuerbach

PP-Redaktion
PP-Redaktion
Eigentlich ist PP nach wie vor ein Blog. Dennoch hat sich aufgrund der Größe des Blogs inzwischen eine Gruppe an Mitarbeitern rund um den Blogmacher Dr. David Berger gebildet, die man als eine Art Redaktion von PP bezeichnen kann.

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