Sonntag, 24. November 2024

FDP fällt im Bundestrend auf niedrigsten Stand seit über zweieinhalb Jahren

Anfang, Mitte Januar lag die FDP im Bundestrend noch vor der Linkspartei. Nun, nur wenige Wochen später, sind die Sozialpopulisten 1,5 mal so stark wie die Freien Demokraten. Damit ist die FDP nicht nur auf dem niedrigsten Stand seit über zweieinhalb Jahren, sie hat seit der Bundestagswahl im September 2017 fast 40 Prozent ihrer Anhänger verloren. Ein Gastbeitrag von Jürgen Fritz

„Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche der folgenden Parteien würden Sie dann wählen?“ Diese Frage legen die Meinungsforschungsinstitute regelmäßig, manche wöchentlich, andere alle drei oder vier Wochen, verschiedenen Personen, meist mindestens tausend vor.

Die sogenannte Sonntagsfrage hat sich als Standardinstrument der empirischen Forschung durchgesetzt und wird als Grundlage zur Berechnung der aktuellen Stimmung und für Projektionen – nicht für Prognosen! – verwendet. Die Sonntagsfrage stellt mithin ein aktuelles Meinungsbild in der Bevölkerung dar, sie macht keine Aussagen über die Zukunft.

Aktuell liegen von fünf der führenden Meinungsforschungsinstitute Zahlen vor, welche Wahl-O-Matrixdie Nr. 1 unter den Meta-Analyse-Tools in puncto Wahlanalysen und Prognosen, wie immer ausgewertet hat. In die Wahl-O-Matrixe-Werte gehen von allen Instituten die jeweils aktuellsten Erhebungen ein, sofern diese – bezogen auf den mittleren Tag der Befragung – nicht älter als drei Wochen (21 Tage) sind. Aus diesen Einzelwerten wird dann streng mathematisch das arithmetische Mittel gebildet. (Wenn der zweite Wert nach dem Komma eine 5 ist, wird je nach Tendenz der Entwicklung auf die erste Stelle nach dem Komma gerundet.)

Folgende fünf Institute gingen mit ihrer jeweils aktuellsten Erhebung in die Wahl-O-Matrix-Werte ein:

  • Forschungsgruppe Wahlen (mittlerer Erhebungstag: 05.02.2020),
  • INSA (mittlerer Erhebungstag: 08./09.02.2020),
  • Kantar/Emnid (mittlerer Erhebungstag: 09.02.2020),
  • Infratest dimap (mittlerer Erhebungstag: 12.02.2020),
  • Forsa (mittlerer Erhebungstag: 12.02.2020).

So in etwa würden die Deutschen derzeit wählen

Angegeben ist bei jeder Partei die Range bei diesen fünf Instituten sowie fettgedruckt der arithmetische Mittelwert:

  1. CDU/CSU: 26 – 28 % ==> 27,1 %
  2. GRÜNE: 20 – 24 % ==> 22,0 %
  3. SPD: 12,5 – 16 % ==> 14,3 %
  4. AfD: 11 – 15 % ==> 13,6 %
  5. LINKE: 9 – 10 % ==> 9,8 %
  6. FDP: 6 – 8 % ==> 6,6 %
  7. Sonstige: 6 – 8 % ==> 6,6 %
2020-02-16

(c) JFB

Schwarz-Grün hätte damit eine klare Mehrheit gegen SPD, AfD, LINKE und FDP von 49,1 zu 44,3 Prozent, da die Stimmen der sonstigen Parteien, die alle an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, im Parlament nicht abgebildet wären. Auf Grund dieser 6,6 Prozent für Kleinparteien, würden ca. 46,7 bis 46,8 Prozent für eine Mehrheit der Sitze im Bundestag ausreichen. Grün-Rot-Dunkelrot würde die Mehrheit mit 46,1 Prozent knapp, Schwarz-Rot mit 41,4 Prozent deutlich verfehlen.

  1. Schwarz-Grün: 49,1 %
  2. Grün–Rot–Dunkelrot: 46,1 %
  3. Schwarz-Rot: 41,4 %

FDP verliert seit Bundestagswahl fast 40 Prozent ihrer Anhänger

Gegenüber der Bundestagswahl im September 2017 sehen wir damit folgende Gewinne und Verluste:

  1. GRÜNE: + 13,1 %
  2. Sonstige: + 1,6 %
  3. AfD: + 1,0 %
  4. LINKE: + 0,6 %
  5. FDP: − 4,1 %
  6. CDU/CSU: − 5,8 %
  7. SPD: − 6,2 %

Enorm zulegen konnten seit der Bundestagswahl Die Grünen, welche ihre Zustimmungswerte fast auf das 2,5-fache steigern können. Minimale Zugewinne, die sich innerhalb der Fehlertoleranz bewegen, sehen wir auch bei den Kleinparteien (Sonstige), der AfD und der Linkspartei.

Massive Verluste sahen wir bislang nur bei der Union und der SPD. Zum ersten Mal gesellt sich die FDP zu den großen Verlierern. Absolut gesehen würde sie derzeit wohl mehr als 4 Prozentpunkte verlieren, wären heute Bundestagswahlen (von über 10,7 auf 6,6 Prozent).

Relativ zu ihrem deutlich niedrigeren Ausgangswert von etwas über 10,7 Prozent sind diese Verluste aber noch deutlich höher als die von CDU/CSU und SPD. Die Union hat seit der letzten Bundestagswahl jeden fünften bis sechsten Anhänger verloren (knapp 18 Prozent), die SPD über 30 Prozent, die FDP nunmehr aber 38,3, also fast 40 Prozent. So niedrig stand sie seit über zweieinhalb Jahren nicht.

2020-02-16

Dawum-Screenshot: die Entwicklung der letzten zwei Jahre

Somit stellt sich die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die FDP nicht wie Union und SPD in der Regierung, sondern in der Opposition solch drastische Verluste hinzunehmen hat. Dazu ein paar kurze Anmerkungen.

Grenzenloser Opportunismus aus …

Was die FDP aufführt, erscheint mir wie eine Form des Zwiedenks (doublethink). Kubicki und Lindner reden anders als sie denken, womöglich denken sie sogar tatsächlich doppelt und können quasi innerlich ein Relais umstellen. Je nachdem, was ihnen gerade in der eigenen Partei und in der Gesellschaft opportun erscheint, so reden sie und so denken sie dann mit der Zeit wohl auch, um nicht völlig irre zu werden. Wobei ich bei Christian Lindner nicht mal sicher bin, ob es jenseits des Opportunitätsdenkens überhaupt etwas gibt, ob da eine weitere, eine klare und feste inhaltliche, wertgebundene Dimension vorhanden ist. Erkennbar ist da auf jeden Fall eher wenig in der Art. Dann freilich wäre er nicht einmal ein Zwiedenker, sondern einfach nur eine beredte Fahne.

Andere sehen das offensichtlich ähnlich. Nach der Canossa-Rede von Lindner gebe es keine Partei mehr, die man wählen könne, schrieb vorgestern Norbert Bolz.

Canossa-Rede

… übermächtiger Angst vor der linken Empörungskultur

Und Rainer Zitelmann schreibt vorgestern in einem sehr zu empfehlenden Artikel:

»Geschadet hat der FDP, dass der Eindruck erzeugt wurde, sie wisse nicht, was sie wolle. Wolfgang Kubicki beglückwünschte nicht nur Thomas Kemmerich, sondern verteidigte dessen Wahl auch unmittelbar danach dezidiert, um wenige Tage später – unter dem Eindruck der Entrüstungskampagne – das Gegenteil zu sagen. (…) Die SPD zeigt mit dem Finger auf die FDP, sagt aber selbst ganz offen, dass sie auf Bundesebene mit der Linkspartei paktieren will! Sie faselt von der Zerstörung des demokratischen Konsensus, den sie durch ihr Paktieren mit der Linkspartei längst aufgekündigt hat. (…) In dieser Situation wäre es die Aufgabe der FDP, in den Angriffsmodus zu schalten, statt von Schuld und Scham zu reden. Denn bei wem gewinnt sie damit Sympathien? Bei linken und grünen Wählern bestimmt nicht. Wie sieht es in der eigenen Wählerschaft aus? Laut dem ARD-Deutschlandtrend lehnen 46 Prozent der FDP-Wähler den Rücktritt von Thomas Kemmerich ab, 38 Prozent finden den Rücktritt richtig.

Ich denke, die FDP macht sich mal wieder mehr Sorgen darüber, wie die Medien und die linken Parteien reagieren als darüber, was ihre (potenziellen) Wähler denken. (…) Die Angst der FDP vor der linken Empörungskultur ist übermächtig. (…) man merkt, dass die Reaktionen der FDP angstgesteuert sind. (…) In Wahrheit sind die Positionen von Höcke und der Linkspartei – Polemik gegen “Plutokratie” und Kapitalismus – sehr viel näher beieinander, weshalb auch viele ehemalige Linke-Wähler heute AfD wählen. (…) Und die Tatsache, dass die AfD seit ihrer Gründung immer mehr von wirtschaftliberalen Positionen abgerückt ist und rechte Sozialpopulisten zunehmend an Einfluss gewonnen haben, sollte eine Chance für die FDP bieten, Wähler von der AfD zurückzuholen. Das wird jedoch mit der jetzigen Strategie kaum gelingen. Schwäche wird von Wählern niemals goutiert.“

Hier können Sie Zitelmanns kompletten Artikel lesen.

Der Beitrag erschien zuerst bei JÜRGEN FRITZ

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Besteller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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