(Severus) Was früher Mitte war, ist heute häufig rechts: Kernkraft, Wehrpflicht, Vaterschaft. Und vieles, was links war, das ist heute Mitte: Scheidungen, Schwangerschaftsabbrüche, Ehe für alle. Noch verwirrender: Manches, was links war, ist heute ausgerechnet rechts.
Am augenfälligsten gilt das für die Furcht, einer großen Verschwörung ausgesetzt zu sein.
Vor dreißig Jahren weigerte sich ein Student, seinen Namen in das Gästebuch meiner Studentenverbindung zu schreiben. „Denn“, sagte er, „diese Listen gehen alle an die CIA.“
Zugegeben: Manche Verschwörung gibt es wirklich. Gustl Mollath kann ein Liedchen davon singen, nachdem seine Hinweise auf Schwarzgeldgeschäfte bei der Hypo-Vereinsbank zu seiner Einweisung in die Psychiatrie führten. Heute weiß man, dass was dran war. Wer Geduld hat, findet leicht weitere Fälle, die sich kein Putin-Troll ausdenken könnte.
Trotzdem macht man einen Fehler, wenn man daraus schließt, man könnte keinem trauen, ganz besonders dem Staat nicht und den Medien sowieso nie wieder. Nicht nur dass das nicht glücklich macht – es macht auch hilflos. Immerhin sind diese Skandale herausgekommen, und das passiert alle Jahre wieder. Ist das ein Zeichen dafür, dass etwas funktioniert? Oder sind das nur Bröckchen, die uns ein allmächtiges System zuwirft, um unsere Wachsamkeit zu lähmen?
Denken wir nach: Wenn nicht nur die Verhaftung Mollaths, sondern auch seine Befreiung Teil der Verschwörung sind, woher wissen wir dann, dass der Aufdecker der zweiten, größeren Verschwörung nicht seinerseits dazugehört? Wo soll das denn enden? Es endet nie. Wenn man sich einmal keinem mehr traut, dann ist man nicht nur geliefert. Man bleibt es auch.
Besser man fragt nach, hört zu, gibt dem Anderen eine Chance. Kein Staat kann garantieren, dass er redlich ist, auch wenn es manchen gibt der diesen Eindruck zu erwecken bemüht ist. Aber ein Staat, dessen Mängel an den Tag kommen, für den darf man noch hoffen, um den darf man noch kämpfen!
Wir Christen wissen: Diese Welt hat keine Zukunft. Aber wir können etwas aus dieser Welt in die nächste retten: uns selbst und vielleicht auch einander. Wenn wir uns um Gerechtigkeit bemühen und um Nächstenliebe; in der Erkenntnis – nüchtern ausgedrückt – dass wir nicht wirklich besser sind.