Freitag, 13. Dezember 2024

Straßburg „nachhaltig“ verstehen

Können wir den Terror durch bessere „Integration“ und Schulbildung aufhalten? Ein Gastbeitrag von Josef Hueber

 „Um ein Haar wäre auch ich ein Terrorist geworden.“ (Henryk M. Broder)

„Sagen, was ist“ sollte der Leitfaden journalistischen Schreibens über die Wirklichkeit sein. Die zunehmende Ideologisierung öffentlichen Denkens in den Mainstream-Medien, auch durch sakrosankte „Experten“, kreiert jedoch zunehmend eine intellektuelle Parallelwelt mit ebenso sakrosankten Paradigmen der Wahrnehmung. Es ist überfällig, sich davon zu verabschieden, wenn man den Ursachen von Gewalt und Terror erfolgreich zu Leibe rücken will.

Die Erde war der Mittelpunkt

Fortschritt, so zeigte es Thomas S. Kuhn mit seinem immer noch als Meilenstein der Erkenntnistheorie wahrgenommenen Werk „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ (1962), ist nur möglich, wenn scheinbar unwiderlegbare Leit-Theorien der Erkenntnissuche aufgegeben und gegen neue ausgetauscht werden.

Die Erde als Mittelpunkt unseres planetarischen Systems? Dieses Modell wurde lange Zeit „nachhaltig“ vertreten. Dann wurde es  bezweifelt, widerlegt, und eine neue Erkenntnis etablierte sich. Kuhn bezeichnet solche Denkwenden als Paradigmen-Wechsel.

„Nachhaltigkeit“ – ein intellektueller Bremsklotz

Grundsätzlich gilt: Fragestellungen und Antworten, da sie per se einen beschränkten  Blickwinkel beinhalten, müssen immer wieder zugunsten neuer Erkenntnisse verabschiedet werden. Widerstand dagegen findet sich in jedem trügerisch-beruhigenden Beharren auf scheinbar zeitlos gültigen Wahrheiten, was konsequenterweise den innovationsoffenen Blick in eine verändert zu gestaltende Zukunft verhindert. Das zeigt sich etwa in dem gegenwärtig geradezu angebeteten Begriff der „Nachhaltigkeit“, eine allüberall gehörte Gebetsformel  fortschrittsignoranter Romantiker.

Dabei ist der – von der Forstwissenschaft kritiklos übertragene Begriff – in vielen Bereichen Garant von Stagnation und Fortschrittsblockade. Ingenieure, Physiker,  ITler und ihre Verwandten in den Naturwissenschaften, samt und sonders die alleinigen Erzeuger von Wohlstand,  denken nicht nachhaltig, sondern progressiv und innovativ. So geht Evolution vom Rauchsignal zum Smartphone.

Nebenbei: Auch Picassos früher Stil war nicht nachhaltig.

Chancen-Ungleichheit als falsches Paradigma zur Erklärung von Terror

Besonders anfällig für derart auf Nachhaltigkeit geschientes Denken zeigt sich  die  Beurteilung der Ursachen  terroristischer Verbrechen. Auch hier verhindert nachhaltiges Denken, dass man keine neue Alternative zum Täter-ist-zuerst-Opfer-Paradigma sichten kann. Wie sehr sich dieses Axiom in die Köpfe von Journalisten und sonstigen Terror-Experten eingenistet hat, zeigt jüngst ein Kommentar in der FAZ  zu dem Attentat auf dem Straßburger Weihnachtsmarkt (13.12.18).

„Terror- hausgemacht“ betitelt Michaela Wiegel ihren im Kern erfolglos mit Logik kämpfenden Artikel. Sie räsoniert über den Anschlag in Straßburg, doch ist es letztlich Deutschland, das (mit)gemeint ist. Anders ließe sich ein gesteigertes Interesse der Öffentlichkeit an dem Thema nicht erklären.

Wie üblich, ist natürlich die „Gesellschaft“ (mit)verantwortlich an dem Verbrechen am Weihnachtsmarkt. Straßburg zeige die „Folgen der fehlgeschlagenen Integration muslimischer Zuwanderer“.

Die Schulen als Wurzel allen Übels

Und wo ist sie nicht geleistet worden? Ganz einfach: Es begann in den Schulen. Dort wurden alle namhaften Terroristen der letzten Zeit sozialisiert.

Zwingender Rückschluss dieser Prämisse ist, dass dort eine „ geringe Chancengleichheit“ sowie „hohe Schulabbruchquoten“ das „gescheiterte Integrationsmodell“ grundgelegt haben. „Besonders kleine Förderklassen“, wie Macron dies nun garantieren will, seien ein „erster Schritt hin zu mehr Chancengleichheit“. Dies werde, so soll der Leser glauben, dann auch die „hohe Jugendarbeitslosigkeit“ und somit- logische Folge – den Anlass, Terrorist zu werden, beseitigen.

Die Logik macht Probleme

Dabei, so lässt uns die FAZ-Autorin wissen, war die wirtschaftliche Ausgangssituation für die angehenden Terroristen  nahezu optimal. Sie trafen nämlich auf eine „ Grundversorgung und Möglichkeiten, die ihnen in den Ursprungsländern ihrer Eltern oder Großeltern verwehrt geblieben wären.“

Frage: Dieser Umstand hatte weniger Gewicht als zu große Schulklassen?

Chancenungleichheit, liebe Michaela, besteht in der Realität für die Daheimgebliebenen. Sie, nicht die Auswandernden, sind nicht – entgegen der präsentierten Ursachenlogik –  „in die Kriminalität abgeglitten und haben sich  für einen „Heiligen Krieg“ gewinnen  lassen.“ Und dies, obwohl sie den Genuss einer „Grundversorgung“ in ihren Heimatländern entbehren müssen.

Ein Paradigmenwechsel ist überfällig

Die Logik hinter der Erklärung für „hausgemachten“ Terrorismus entspringt dem Zwang des psychologischen Axioms, wonach die  Benachteiligung gegenüber den Einheimischen keinen anderen Ausweg als die Gewalt lässt.

Die erfolgreiche Bekämpfung terroristischer Verbrechen müsste folglich in der Beseitigung der Chancenungleichheit liegen, was damit zu beginnen hat,  „besonders kleine Förderklassen sicherzustellen.“

Es ist das immergleiche Denkmodell, wonach eine bessere Erziehung in der Schule und die damit angeblich garantierte berufliche Eingliederung Auswüchse menschlicher Bestialität, seien es Terror oder Antisemitismus, beseitigen könne. Warum noch so viele staatliche Maßnahmen den Kern der Problematik Terrorismus nicht erfassen, ist freilich evident. Es ist der „Clash of Civilisations“ (Zusammenprall der Kulturen), wie ihn der US-Politikwissenschaftler Samuel Huntington bereits 1996 diagnostiziert hat.

Die mangelnde Integrationsleistung seitens des Staates als Wurzel allen Übels ist ein Paradigma, das als Erklärung nicht  tragfähig ist, weil man zu seiner Verifizierung die Wirklichkeit ignorieren müsste. Leicht wird es nicht sein, den offensichtlichen Erklärungsirrtum aus den mainstreamigen Köpfen zu entfernen.

Denn Ideologen glauben eher an die Möglichkeit, die Evidenz realer Gegebenheiten hinwegzudiskutieren, als dass sie bereit wären, ihre Paradigmen zu ändern.

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