Eine Erinnerung an die große Dietrich – zu ihrem 25. Todestage. Eine Hommage von Adam Elnakhal
Sie brauchte den Terror der NSDAP-Diktatur ebenso wenig wie die anschließenden linken Befreiungsideologien.
Dem Hitlerfaschismus erteilte sie durch ihre Auswanderung in die USA und ihren beherzten Eintritt in die US-Streitkräfte während des Zweiten Weltkrieges eine klare Absage. Dem Deutschenhass nach ’45 erteilte sie sich jedoch ebenso eine deutliche Absage – und widersetzte sich zum Beispiel bei einem Aufritt in Israel der Vorgabe keine deutschsprachigen Lieder zu singen. Blinder Gehorsam war ganz und gar nicht ihre Sache. Fernab von politischen, religiösen, gesellschaftlichen Zwängen suchte sie ihr ganzes Leben die Freiheit.
Marlene Dietrich liebte den tiefnachdenklichen Dichter Rainer Maria Rilke und die fast ein Vierteljahrhundert jüngere Schauspielerin Hildegard Knef, die ihre engste Freundin wurde. Dabei wandelte sie zwischen den Geschlechtern und das Lichtjahre vor der heutigen Gender-Ideologie.
Marlene Dietrich konnte paffen wie ein Mann. Sie konnte sich kleiden wie ein Mann. Sie konnte sich bewegen wie ein Mann. Sie konnte sprechen wie ein Mann. Und doch war sie trotz (oder wegen) ihrer kühlen Männlichkeit die Weiblichkeit in Person. Vor allem aber war sie die Unabhängigkeit in Person.
Ihr Leben umfasste alle Jahrzehnte und Epochen des vergangenen Jahrhunderts und doch, so scheint es, war sie nie in einer Epoche unterwegs, sondern stets darüber. Niemand sollte von ihr Besitz ergreifen können – kein Staat, keine Religion, kein Mensch, keine Epoche, kein Film.
Marlene Dietrich hatte alles, was erfolgreiche Menschen brauchen: Sie sah gut aus, war intelligent und originell. Neben den gestellten Bildern und Allüren einer Jahrhundertdiva hatte sie vor allem aber auch einen Sinn für Richtig und Falsch, Gut und Böse. Sie konnte sich humorvoll selbst beleidigen. In ihrem Luxus war sie stets bescheiden und hat nie vergessen, woher sie kam und dass sie einst eine unbedeutende Kleinbürgerstochter war.
Marlene Dietrich konnte sehr progressiv und zugleich sehr konservativ sein. So blieb sie trotz der Trennung von ihrem einzigen Mann (den sie 1923 heiratete) bis zu seinem Tod 1976 mit ihm verheiratet.
„Zwischen den Jahren“ erblickte Marie Magdalene Dietrich am 27. Dezember 1901 in Schöneberg (heute Berlin) das Licht und Dunkel der Welt.
Beschreibt der Geburtstag den Menschen? Bei Marlene Dietrich mag das zutreffen: Sie war einerseits so kühl, geschäftig und diszipliniert wie es an ihren Geburtstagen am 27.12. witterungsmäßig und in den Warenläden nach den Feiertagen nur sein konnte.
Anderseits war sie so gefühlvoll und sentimental wie es der Stimmung bei vielen Menschen in der letzten Woche des Jahres entspricht, wo in vielen Wohnzimmern der beleuchtete und geschmückte Tannenbaum steht, das Fest jedoch schon vorüber ist und sich das alte Jahr langsam und mit Melancholie verabschiedet.
Die Schule hat Marlene mit zarten 16 Jahren abgebrochen. Es hat sich gelohnt: Sie wurde in der Weimarer Republik Sängerin und Schauspielerin. 1930 wurde sie als „Lola Lola“ im Streifen „Der blaue Engel“ international bekannt und zog nach Hollywood. Sie spielte Hauptrollen in Welterfolgen wie „Marokko“ und „Shanghai-Express“. Ihre Mehrsprachigkeit, ihr Äußeres und ihr Fleiß zahlten sich aus.
Männer und Frauen verfielen dem maskulin-femininen Charme der Marlene Dietrich. Sie wiederum verfiel ihrer Schwäche für alkoholische Getränke – jedoch nicht den Werbeversuchen von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (NSDAP).
Konsequent ging sie auf Distanz zu Hitlerdeutschland. Sie liebte ihr Heimatland; aber sie hasste die Nationalsozialisten. Sie war keine Vaterlandsverräterin, sondern eine Freundin der Freiheit und Humanität. Sie hat nicht Deutschland den Rücken gekehrt, sondern der NSDAP. Während des Zweiten Weltkrieges sang sie für die amerikanischen Streitkräfte und half vor der national-sozialistischen Verfolgung geflohenen Juden in den USA.
Sie hasste das Unrecht und ihren Verursacher Adolf Hitler. Es war ihr großer Traum ihn zu töten und Deutschland und Europa aus der Diktatur zu befreien.
1939 legte sie die (NS-)Deutsche Staatsangehörigkeit ab und nahm die US-amerikanische Staatsangehörigkeit an. Sie unterstützte die USA im Krieg gegen das dunkle Hakenkreuzreich – als Sängerin und Soldatin. Die Diva war sich (anders als andere „Größen“) nicht zu schade an die Front zu gehen und verwundete Soldaten im Lazarett zu besuchen.
Sie wählte 1944 nicht die sicheren Filmstudios in Kalifornien, sondern den Kampf für die Befreiung Europas vom braunen, mörderischen Gewaltsozialismus. Angesagt waren Fußmärsche im Militäranzug statt schöngeistige Künste im Luxushotel. Marlene Dietrich war mehr als eine Filmdiva. Sie war eine hochintelligente und beherzte Kämpferin gegen die Nazi-Pest, die weite Teile von Europa (tödlich) verseuchte.
1945 suchte sie im befreiten KZ Bergen-Belsen ihre Schwester, die sie unter den Gefangenen vermutete. Doch ihre Schwester war auf der Seite der Täter. Der Riss ging durch eigene Familie. Die Verbrechen, die Massengräber im KZ, die charakterliche Schwäche ihrer Schwester und die Beschimpfungen der mit ihrem konsequenten Handeln überforderten Bevölkerung setzen ihr zu.
Nach dem Krieg sang sie melancholische Lieder wie „Sag mir wo die Blumen sind“, Liebeslieder auf die Stadt Berlin und spielte 1961 ihre letzte große Hauptrolle in „Das Urteil von Nürnberg“.
Es zog sie von Amerika zurück nach Europa. In ihrer alten Heimat, dem geteilten Berlin, war sie jedoch bei vielen Menschen unerwünscht. Der Eintritt in die US-Streitkräfte wurde ihr von vielen Deutschen nie verziehen. Marlene Dietrich lies sich in Paris nieder und verlebte ab den 70ern sehr zurückgezogen den Herbst ihres Lebens. Vielleicht konnte sie abseits vom Blitzlichtgewitter endlich sich selbst finden.
Am 6. Mai 1992 endete das Legendenleben der Marlene Dietrich mit stolzen 90 Jahren. Die Trauerfeier fand in Paris in der katholischen Kirche La Madeleine (Maria Magdalena) statt.
Der neoklassische Bau, der an einen römischen Tempel erinnert, passte zu ihrem Leben: Diszipliniert, streng, geordnet, schöngeistig, kühl-distanziert und zugleich warm-einladend, stabil und zugleich von allen Seiten verwundbar. Die Kirche war benannt nach einer Heiligen mit (sexuell-)sündhafter Vergangenheit. Wollte Marlene Dietrich der Nachwelt damit etwas mitteilen? Es wird wohl ihr Geheimnis bleiben – wie so viel von ihrem Leben.
Beigesetzt wurde sie im frisch wiedervereinigten, freien Berlin.
Dietrichs geliebte Heimatstadt bekam ihre berühmteste Tochter wieder.
Zurück bleibt ein Leben der Gegensätze, des sowohl als auch.
Zurück bleibt ein Leben der Konsequenz gegenüber dem Bösen.
Marlene Dietrich suchte, liebte und lebte und kämpfte für die Freiheit.
Sie scheiterte im Siegen und siegte im Scheitern.
Sie war ein Mensch – in einem Jahrhundert der Irrwege.
Ruhe in Frieden!