Donnerstag, 20. November 2025

Russlandfrage: Die Rolle der AfD in der innerdeutschen Verständigung

Gastbeitrag von Frank-Christian Hansel.

Es gibt politische Themen, die nicht deshalb schwierig sind, weil sie kompliziert wären, sondern weil sie tief reichen. Die Russlandfrage ist ein solches Thema. Und ich sage ganz bewusst: Es geht dabei nicht um Putin. Es geht nicht um Sympathien oder Antipathien. Es geht um uns. Um die Frage, wer wir als Land in der Mitte Europas sind und sein wollen.

Denn die Haltung zu Russland ist keine außenpolitische Randnotiz. Sie zeigt wie ein Seismograph, wie unterschiedlich Deutschland in Ost und West bis heute geprägt sind – und wie wenig wir bisher getan haben, diese Unterschiede wirklich zu verstehen oder auch uns teilweise wechselseitig überhaut – sozialisationsbedingt- verstehen zu können.

Ich sage das ausdrücklich als jemand, der in Westdeutschland aufgewachsen ist und seit vier Jahrzehnten in Berlin lebt. Ich habe beide Denkwelten erlebt, beide Prägungen kennengelernt, beide Sprachen verstanden. Die westliche Sozialisation mit ihrer klar transatlantischen Orientierung prägt mich bis heute. Aber das Leben in Berlin – in diesem Schnittpunkt zweier deutscher Gedächtnisse – hat mir deutlich gezeigt, was man im ehemaligen Westdeutschland, das ideengeschichtlich und lebensweltlich bruchlos in die Wiedervereinigung gestolpert ist, übersieht: Der Osten denkt anders, nicht schlechter, nicht provinzieller, sondern erfahrungsbedingt legitim anders.

AfD als erste politische Kraft, die beide Teile des Landes wirklich in sich vereint

Berlin ist der ideale Resonanzkörper. Diese Stadt zwingt einen – ob man will oder nicht –, beide deutschen Sozialisationen zu verstehen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Was für Berlin gilt, gilt für die AfD in gesteigertem Maße: Sie ist die erste politische Kraft, die beide Teile des Landes wirklich in sich vereint – und deshalb auch jene Konflikte austrägt, die aus dieser doppelten Herkunft entstehen.

Deshalb ist bemerkenswert, was in den letzten Wochen passiert ist. Die Parteiführung beginnt, diese Klärung zu gestalten. Alexander Gauland, eine Art ost-westdeutsche Synthese und Altmeister des außenpolitischen Realismus, macht nüchtern deutlich, dass man sich von freundlichen Empfängen in Moskau nicht blenden lassen dürfe. Russland empfängt uns mit offenen Armen, aber das bedeutet noch keine gemeinsamen Interessen.

Jetzt wird die Ost-West-Spannung in der AfD offen sichtbar, kann aber nicht überraschen. Die anderen Parteien haben ihre Brüche einfach übertüncht. Die AfD dagegen zeigt das, was ist und was die Menschen jeweils bewegt, was sie wiederum wachsen lässt. Deshalb reagieren die westdeutsch dominierten Medien mit einer klaren Strategie: Sie stilisieren und missbrauchen die notwendige Auseinandersetzung, die sich in Russlandreisen von AfD-Abgeordneten entlädt, zu einem angeblichen „Beweis der Unwählbarkeit im Westen“. Das mag politisch erklärbar sein – aber es ist unredlich. Es geht nicht um Weidel oder Lucassen gegen Chrupalla. Es geht um eine Frage, die viel tiefer reicht: Wie wächst ein Land zusammen, dessen zwei historischen Prägungen sich jahrzehntelang kaum begegnet sind?

Kein innerparteilicher Machtkampf

Alice Weidel hat im Bundestag ungewöhnlich scharf die Russlandreise mehrerer AfD-Politiker verurteilt und erstmals Parteiausschlüsse ins Spiel gebracht. Das ist kein innerparteilicher Machtkampf. Es ist eher eine taktisch-strategische Korrektur: weg von Symbolpolitik und Gefühligkeit – hin zu außenpolitischer Erwachsenheit. Dabei hat Alexander Gauland nie einen Zweifel daran gelassen, dass Deutschland in der NATO bleiben muss. Er hat es immer klar ausgesprochen – nicht als Anbiederung, sondern aus nüchternem machtpolitischem Realismus. Sein historischer Blick auf Russland war nie sentimentale Nähe, sondern eine Erinnerung an Bismarcks Einsicht, dass deutsche Außenpolitik stabil bleibt, wenn sie weder auf automatische Feindschaft noch auf naive Freundschaft setzt. Dieser Realismus – westlich gebunden, aber historisch wach – bildet den eigentlichen Kern seiner Position. Und die kann durchaus auch als innerer Konsens der AfD gelesen werden, in NRW genauso wie in Sachsen.

Die AfD kann im Osten stark sein – aber sie wird nur dann gesamtdeutsch geschichtsmächtig wirksam, wenn sie im Westen verstärkt Anschluss findet. Dieser Realismus ist kein Verrat am Osten, sondern die Bedingung dafür, dass ostdeutscher Realismus politische Kraft entfalten kann. Außenpolitik ist dabei auch kein imaginärer Schauplatz für Anti-Woke-Reflexe. Wer Putin zur Gegenfigur westlicher Dekadenz verklärt, verwechselt Kulturkampf mit Geopolitik, zumal die anti-woke Welle auch mit Trump verstärkt und laut vom Westen zu uns herüber weht.

Die aktuelle politische Konstellation macht die jetzige Klärung notwendig. Die CDU unter Friedrich Merz ist in einer unliebsamen Koalition gefangen, die ihr jede bürgerliche Glaubwürdigkeit nimmt. Er redet rechts und regiert links – ein Widerspruch, der seine Wähler frustriert. Gleichzeitig bröckelt die Brandmauer. Minderheitsregierungen werden erstmals auch für Deutschland diskutiert. Und manche Christdemokraten sprechen erstmals unausgesprochen das Wort aus, das in Berlin lange verboten war: Zusammenarbeit.

Die Russlandfrage als Chance

Damit ist die AfD in einer Position, die sie noch nie hatte: Sie kann die innerdeutsche Verständigung einfordern und selbst verkörpern. Eine Politik, die aus zwei Prägungen eine Verantwortung formt. Die AfD steht heute als einzige Kraft vor der Aufgabe, diese beiden deutschen Wirklichkeiten zusammenzuführen. Nicht durch Harmonisierung, sondern durch Verständigung. Nicht durch Beschwichtigung, sondern durch wechselseitige Anerkennung sozialisationsbedingt legitimer Anschauungen, nicht durch ein Entweder-Oder, sondern durch ein neues Sowohl-als-auch.

Versöhnung in diesem Kontext heißt: den Osten hören, ohne den Westen zu verlieren, den Westen verstehen, ohne den Osten zu bevormunden, und aus beiden eine gemeinsame Sprache der Souveränität zu schaffen. Wenn das gelingt, könnte die „verspätete Nation“ (Plessner) zum ersten Mal rechtzeitig werden. Und die Russlandfrage — die so oft spaltete — könnte der Anlass sein, dieses Land ganz und souverän werden zu lassen.

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Infostand der AfD Berlin Tempelhof/Schöneberg, u.a. mit Beatrix von Storch und dem Autor unseres Beitrags (c) Screenshot Facebook

Frank-Christian Hansel ist Fachpolitischer Sprecher der AfD im Berliner Abgeordnetenhaus für Wirtschaft, Energie, Klima, Flughafen.

Der oben veröffentlichte Beitrag erschien zuerst auf seinem Blog.

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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Bestseller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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