Montag, 17. November 2025

Moralische Selbsterhöhung

Gastbeitrag von Alexander Meschnig.

Als am 25. Oktober diesen Jahres die Kühltürme des Atomkraftwerks Gundremmingen in sich zusammenstürzten, feierten grüne Politiker, Umweltaktivisten und linke Gruppen das Spektakel mit Glühwein und Bratwürsten als Triumph und großen Sieg für die Energiewende. Doch die Sprengung der Türme war weniger ein Fest der Vernunft als ein Ritual der Selbstzerstörung. Das AKW Gundremmingen verkörperte nicht nur Beton und Stahl, sondern war das sichtbare Ergebnis jahrzehntelanger technischer Entwicklungen, deutscher Ingenieurskunst und hoher gesellschaftlicher Investitionen. Gundremmingen, das ehemals leistungsstärkste Kernkraftwerk Deutschlands, war Teil einer Energie-Infrastruktur, die viele Jahrzehnte zuverlässig Strom lieferte, dazu noch CO₂-arm und grundlastfähig. Der Jubel über die Sprengung wirkt deshalb mehr wie ein makabrer Triumph über das eigene erfolgreiche technische Erbe mit dem man nichts mehr zu tun haben will.

Moralisch überhöhte Selbstdemontage

Der Weg den Deutschland eingeschlagen hat – gleichzeitig aus der Kernkraft und aus der Kohle auszusteigen, während man auf wetterabhängige Quellen wie Wind und Sonne setzt und ansonsten Strom aus dem Ausland importiert – ist mehr ein Ausdruck moralischer Selbstvergewisserung als einer rationalen Energiepolitik. Sich von bewährten und bestehenden Technologien, wie etwa dem Verbrennungsmotor, abzuschneiden zeugt nicht von der viel zitierten „Großen Transformation“ sondern von einer Verabschiedung der Vernunft. Deutschland demontiert sich im wahrsten Sinne des Wortes seit Jahren selbst und fühlt sich dabei auch noch als besonders fortschrittlich und vor allem moralisch überlegen.

Das gute Gefühl und das Bewusstsein auf der „richtigen Seite der Geschichte“ zu stehen, während man selbstverständlich bei Mangellagen Strom aus französischen Atomkraftwerken importiert, lautet heute in einem Wort: „Energiewende.“ Man feiert den Abriss eines Sinnbildes technischer Entwicklung, als wäre es ein Akt moralischer Selbstreinigung denn Atomkraft gilt hierzulande bei vielen Deutschen als das absolut Böse.

Vielleicht war der Applaus auch deshalb so laut: Er galt weniger dem Fall der Türme als der Bestätigung des eigenen, als für alle verbindlich erklärten Weltbildes, ein Reinigungsritual mit dem die eigene Selbstgerechtigkeit zelebriert wurde. Es zeigt dabei in aller Deutlichkeit das Hauptproblem dieses Landes: den Realitätsverlust einer politmedialen Kaste die für ihre Überzeugungen alles zerstört was bis dahin funktionierte. Man will wenigstens moralisch im Recht sein, wenn man auch praktisch im Unrecht ist, man will lieber Recht haben, als recht behalten. Dieser Mangel an realistischer Selbstwahrnehmung und die fehlende Integration von Binnen- und Außenwahrnehmung bestimmen den Charakter einer Gesellschaft, die mehr und mehr der Vernunft und dem Pragmatismus abgeschworen hat und sich in den Bildern der eigenen Größe und Erhabenheit verliert.

Stets „das Richtige“ tun, koste es was es wolle

Dieses Prinzip hat in Deutschland eine lange Tradition. Der Geist, die Idee, galt stets als stärker und reiner als die Wirklichkeit. Das führt bis heute zu einer Neigung zur moralischen Selbsterhöhung. Diese Haltung, stets „das Richtige“ zu tun, koste es was es wolle, hat in der deutschen Geschichte bereits öfters zu destruktiven Entwicklungen und zu radikalen Brüchen geführt. War es nach 1945 die totale moralische und politische Selbstabrechnung, die darin endete die eigene Geschichte durch eine radikale Ablehnung des Eigenen zu überwinden, haben wir es heute mit einer kollektiven Läuterungssehnsucht zu tun die eine Selbstverneinung in sich trägt. Man will besser sein als alle anderen, selbst um den Preis der Selbstschädigung. Eine moralische Symbolpolitik ersetzt so immer mehr Politik als Kompromiss des Machbaren und Ausdruck der Verteidigung nationaler Interessen. Was anderswo als pragmatische Anpassung gilt, erscheint als Verrat an der reinen Idee. Die Politik hat dabei den Gestus der Erlösung der Menschheit übernommen. Nicht das Ergebnis zählt, sondern die reine Gesinnung.

Die sog. Flüchtlingskrise 2015 ist dafür das beste Beispiel. Die deutsche Politik unter und nach Merkel handelt hier nach rein moralischen Maßstäben, ohne Rücksicht auf die Kosten oder die Machbarkeit von Entscheidungen. Städte, Schulen, Kommunen, Arbeitsmärkte, Polizei und der Rechtsstaat stehen heute vor faktisch unlösbaren Problemen. Der Triumph der Moral führte zu einer gesellschaftlichen Polarisierung und zu einem massiven Vertrauensverlust in Politik, Medien und Institutionen. Jede Handlung in Bezug auf die seit 2015 ankommenden Migrationsströme wurde und wird auch weiter an moralischen Maßstäben gemessen, nicht an den langfristigen Folgen und Wirkungen für das Land. Moralisches Handeln wird so zum Selbstzweck, die praktischen Konsequenzen dieser verheerenden Politik zu einer Nebensache, die aber immer vehementer in unser Bewusstsein dringen. So wird die Gesellschaft als Ganzes in eine Art Geiselhaft genommen.

Ein Kulminationspunkt?

Die Migrationsfrage verdeutlicht, wie die Sprengung von Gundremmingen, das moralische Reinheit keine Planung ersetzt, Gesinnung keine Kompetenz. Die Zerstörung einer funktionierenden Energieversorgung oder – wie durch die massenhaften Zuwanderung – eines jahrzehntelang aufgebauten Sozialstaates, sind die unmittelbaren Folgen einer Politik, die den eigenen Untergang auch noch lautstark bejubelt.

Man kann als Bürger dieses Landes nur darauf hoffen, dass die waltenden destruktiven Kräfte in absehbarer Zeit von der Realität eingeholt werden und ein grundlegender Wandel hin zu einer Politik der Vernunft und der nationalen Interessen in Deutschland erfolgt. Insofern kann die Zuspitzung der Probleme der Gegenwart auch ein möglicher Kulminationspunkt sein.

***

Zum Autor: Alexander Meschnig, österreichischer Politikwissenschaftler, Psychologe, Autor und Publizist, ist ständiger Mitarbeiter des Kontrafunks und Gastautor des Blogs „Achse des Guten“, seit Jahren auch immer mal wieder bei „Philosophia Perennis“ –

Veröffentlichungen u. a. Wunschlos unglücklich (2005, gem. mit M. Stuhr),  „Der Wille zur Bewegung. Militärischer Traum und totalitäres Programm“ (2008) und zuletzt „Uns kriegt ihr nicht. Jüdische Überlebende erzählen“ (2013, gem. mit T. Hüttl), „Siegen oder vom Verlust der Selbstbehauptung“ (2018, gem. mit Parviz Amoghli) und aktuell „Deutscher Herbst 2015 – Essays zur politischen Entgrenzung“ (2019).


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David Berger
David Bergerhttps://philosophia-perennis.com/
David Berger (Jg. 1968) war nach Promotion (Dr. phil.) und Habilitation (Dr. theol.) viele Jahre Professor im Vatikan. 2010 Outing: Es erscheint das zum Bestseller werdende Buch "Der heilige Schein". Anschließend zwei Jahre Chefredakteur eines Gay-Magazins, Rauswurf wegen zu offener Islamkritik. Seit 2016 Blogger (philosophia-perennis) und freier Journalist (u.a. für die Die Zeit, Junge Freiheit, The European).

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