Samstag, 4. Oktober 2025

Für den Glauben auf die Hinterbeine stellen

In Deutschland ist es für viele schon eine Zumutung, im öffentlichen Gespräch das Wort „Gott“ überhaupt in den Mund zu nehmen. In den USA dagegen gibt es eine religiöse Bewegung, deren Kraft und Ausmaß hierzulande kaum vorstellbar sind: den Evangelikalismus. Gastbeitrag von Meinrad Müller

Wichtig ist zunächst: Evangelikale sind keine eigene Religion. Jeder Christ kann sich dort engagieren, unabhängig von seiner Konfession. Die große Mehrheit stammt aus dem protestantischen Lager, das in den Vereinigten Staaten in Tausende kleiner Kirchen zersplittert ist. Evangelikal zu sein bedeutet nicht, einer bestimmten Kirche anzugehören, sondern mit ganzer Leidenschaft für den Glauben einzustehen – im Gottesdienst, im Alltag und auch in der Politik.

Ein Kitt, der Familien, Nachbarschaften und Gemeinden zusammenhält

Rund 25 bis 30 Prozent der Amerikaner, also 80 bis 100 Millionen Menschen, zählen sich zu den Evangelikalen. Es ist keine Randgruppe, sondern eine prägende Kraft im Land. Man begegnet ihr an der Ostküste ebenso wie im Mittleren Westen. Sie ist in den Vierteln großer Städte sichtbar und in den Weiten ländlicher Regionen zu Hause. Universitätsorte tragen sie mit, Kleinstädte leben aus ihr. So entsteht ein dichtes Netz von Gemeinden, das viele Lebensbereiche berührt.

Wer sich einbringt, sucht Sinn, Halt und die Wärme gelebter Gemeinschaft. In den Gottesdiensten singen Tausende, und die Musik trägt weit über den Sonntag hinaus. Hauskreise, Jugend- und Seniorengruppen schaffen Nähe, die den Alltag leichter macht. Wenn jemand Arbeit verliert, organisieren Freiwillige Einkäufe und Termine. Wenn ein Kind geboren wird, stehen Helfer vor der Tür. Trauernde bleiben nicht allein, denn Besuche, Gebete und feste Rituale geben Kraft. Aus klaren Werten entstehen Orientierung, Verlässlichkeit und ein Gefühl von Zuhause. Genau dieser Geist wirkt wie ein Kitt, der Familien zusammenhält, Nachbarschaften verbindet und Gemeinden wachsen lässt.

Gott im Fernsehen und Radio rund um die Uhr

Das Gesicht dieser Bewegung sind die sogenannten Megakirchen. In Houston, Texas, versammelt sich wöchentlich eine Gemeinde mit mehr als 45.000 Besuchern in einer umgebauten Basketballarena.

In Deutschland ist so etwas kaum vorstellbar. Ein Gottesdienst, der die Größe eines Bundesligaspiels erreicht, zeigt, welche Anziehungskraft hier am Werk ist.

Die Evangelikalen verfügen über eine beeindruckende Infrastruktur. Hunderte christliche Radio- und TV-Sender senden täglich Programme. Universitäten und Colleges mit zehntausenden Studenten tragen die Bewegung weiter. Jährlich fließen Milliardenbeträge an Spenden in Kirchen, Medien und Hilfswerke. Prediger mobilisierten in der Vergangenheit mehr als 250.000 Menschen an einem einzigen Tag. Solche Zahlen kennt man sonst nur von Popkonzerten oder politischen Großkundgebungen.

Es sind nicht nur Zahlen, sondern Erfahrungen. Wer sich einer Gemeinde anschließt, findet dort Geborgenheit. Musik, Gebet, gemeinsame Mahlzeiten und soziale Projekte schaffen ein Miteinander, das weit über den Sonntag hinausreicht. Die Gemeinschaft trägt durch Krisen, gibt jungen Menschen Orientierung und alten Menschen Halt. Sie ersetzt nicht die Familie, sondern verstärkt sie. Evangelikal zu sein bedeutet, in einem Geflecht von Beziehungen zu leben, das Sicherheit und Wärme ausstrahlt.

Das woke Amerika wird bekämpft

Gleichzeitig verstehen sich viele Evangelikale als Gegenbewegung. Sie wenden sich gegen das, was sie als Zerstörung traditioneller Werte empfinden. Gender-Ideologie, die Auflösung des Familienbildes, linksliberale Kulturkämpfe – all das wird von Kanzeln offen benannt. Viele erleben ihren Glauben als Bollwerk gegen einen Zeitgeist, der ihnen feindlich erscheint. Sie haben keine Scheu, dies in klaren Worten auszusprechen.

In Deutschland wirkt das wie eine fremde Welt. Doch man kann Respekt empfinden: vor der organisatorischen Kraft, der Begeisterung und dem Mut, sich „für den Glauben auf die Hinterbeine“ zu stellen. Während hierzulande der Glaube oft ins Private gedrängt wird, prägt er in den USA ganze Städte, Medienlandschaften und politische Debatten.

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Meinrad Müller
Meinrad Müllerhttps://www.amazon.de/-/e/B07SX8HQLK
Meinrad Müller (68), Unternehmer im Ruhestand, kommentiert mit einem zwinkernden Auge Themen der Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik für Blogs in Deutschland. Seine humorvollen und satirischen Taschenbücher sind auf Amazon zu finden.

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