Bild-Zeitung möchte Woelki als Wulff 2.0 monetarisieren

Übergabe des Missbrauchsgutachtens an Kardinal Woelki

Ein Gastbeitrag von Defrim Fidei

Im Februar 2012 musste Bundespräsident Christian Wulff wegen man weiß es nicht zurücktreten. Um dem dummen Streich ein kluges Mäntelchen umzuhängen, wurde alsdann 13 Monate gegen Wulff in sage und schreibe 21 „Verdachtsfällen“ ermittelt. Dabei wurde Wulff von einer Meute von 28 Ermittlern, darunter vier Staatsanwälte gehetzt.

Der Berg kreißte und gebar eine Maus: Es verblieb ein einsames Fällchen, eine angebliche Bestechlichkeit in Höhe von 400 Euro. Im Februar 2014 wurde Wulff durch das Landgericht Hannover auch von diesem Vorwurf freigesprochen. Das Gericht erklärte, Wulff stehe für die erlittenen Durchsuchungen eine Entschädigung zu.

Treiber der Kampagne war die BILD-Zeitung. Sie hatte eine gerichtlich attestiert grundlose flächendeckende Empörung geschürt, die der Staatsanwaltschaft kaum etwas anderes übrigließ, als Ermittlungen einzuleiten, um sich nicht den Vorwurf zuzuziehen, wieder einmal die Großen laufen zu lassen.

Henri-Nannen-Preis für Nikolaus Harbusch

BILD-Chefreporter Nikolaus Harbusch bekam für die Kampagne 2012 vorschnell den Henri-Nannen-Preis in der Kategorie „Beste investigative Leistung des Jahres“. Die Preisverleihung endete schon vor Wulffs Freispruch mit einem Eklat. Bei der Preisverleihung mischten sich Buhrufe unter den Applaus. Als der zweite Preisträger des Abends, Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung, die Bühne betrat, lehnte er den Preis ab. Er wolle nicht zusammen mit der BILD ausgezeichnet werden. Beifall im Auditorium. Eigenbericht der BILD: Die Jury habe die Auszeichnung „sowohl an die BILD-Redakteure als auch an den Doyen des deutschen Investigativjournalismus, Hans Leyendecker“ vergeben.

Als Jäger würde man für eine solchen „Fehlabschuss“ wie Wulff hinter Gitter wandern. Nicht so unser „Großwild-Jäger“ Nikolaus Harbusch. Jetzt möchte er seine fragwürdige Trophäenwand mit Kardinal Woelki schmücken. Harbusch ist, wie BILD stolz schreibt, „von Beginn an dabei“, bei der BILD-Aktion „Operation Spotlight“, deren Ziel es aktuell ist, „Woelki als Mitglied des Vertuschungs-Kartells“ zu überführen und aus dem Amt zu jagen.

Das läuft ab wie die verfemte Internetjagd, bei der eine Webcam und eine ferngesteuerte Waffe aufgestellt wurden, damit Jäger von ihren Computern aus auf die schussgerecht präsentierte Trophäe ballern konnten. Zahlende Voyeure zuhauf vor ihren Bildschirmen. Auch bei BILD geht es ganz simpel um Auflage, also um ökonomische Gründe – die Affäre Wulff hatte sich über Wochen hinweg schließlich glänzend verkauft. Seitdem sind zehn Jahre ins Land gegangen. Die verkaufte Auflage hat sich in dieser Zeit ungeachtet allen Eifers ihres preisgekrönten Investigativreporters Harbusch von 2,75 Millionen auf 1,24 Millionen reichlich halbiert. Da kommt eine von BILD angerührte toxische Melange aus Geheimakten, Giftschränken, sexuellem Missbrauch, Vertuschung und Kardinälen gerade recht, um den Niedergang ein wenig zu verzögern. Dan Browns „Sakrileg“ als Fortsetzungsroman, „Unterhaltung mit Verschwörungstheorien […] dazu kommen eingestreute falsche Tatsachenbehauptungen“ (Wikipedia). Man staunt, wie weit so ein ehemaliger CV-Vorortspräsident von 28.000 katholischen Akademikern zu gehen bereit ist.

Die Affäre mit allen denkbaren Mitteln am Laufen halten

Die BILD-Aktion ist an das Drehbuch der Affäre Wulff angelehnt. Dort waren spätestens ab Mitte Januar 2012 alle Vorwürfe auf dem Tisch. Es ging erkennbar nur noch darum, die Affäre mit allen denkbaren Mitteln am Laufen zu halten. Im Präsidialamt gingen die absurdesten Fragen ein: Ob zutreffend sei, dass Wulff bei seiner Wahl zum Schülersprecher Mitschüler mit After Eight bestochen habe? Als letztes Mittel folgte der Druck auf die Justiz, endlich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.

Seit dem Gercke-Gutachten über Pflichtverletzungen von Diözesanverantwortlichen liegen auch im Erzbistum Köln die Fakten auf dem Tisch.

Pfarrer K. und Düsseldorfer Priester D.

Harbusch greift nach zwei Strohhalmen, um die „Affäre“ am Laufen und BILD über Wasser zu halten, dem Fall des in Köln eingesetzten Missbrauchstäters Pfarrer K. aus dem Bistum Limburg und dem Fall des Düsseldorfer stellvertretenden Stadtdechanten D.

In den Jahren 2014 bis 2018 zelebrierte Pfarrer K. aus Limburg, der als Lehrbeauftragter an der Katholischen Hochschule NRW tätig war, Gottesdienste in Ordenshäusern, Altenheimen und der Kölner Kirche St. Agnes. Das geschah unter Beachtung der ihm als Missbrauchstäter vom Bistum Limburg erteilten Auflagen. Es sind keine weiteren Taten vorgekommen. Kardinal Woelki wurde mit dem Fall erstmals befasst, als der Pfarrer um seine Ernennung zum Subsidiar in einem Seelsorgebereich nachfragte. Der Kardinal holte Informationen unter anderem aus Limburg ein, lehnte die Ernennung ab und untersagte den weiteren priesterlichen Einsatz im Bistum Köln. Das Bistum Limburg wurde informiert und versetzte den Pfarrer in den Ruhestand.

Der zweite Fall betrifft D., stellvertretender Düsseldorfer Stadtdechant. Dabei handelt es sich um den bekannten Fall Nr. 82 des Gercke-Gutachtens. Der Gutachter hatte keine Pflichtverletzungen feststellen können. Der Fall wird von BILD gehypt, weil Kardinal Woelki D. 2017 zum stellvertretenden Stadtdechanten von Düsseldorf ernannte.

Chefreporter Harbusch eifert sich in Form eines offenen Briefes an den Papst à la „Post von Wagner“ (Auszug):

·        „Es ist amtlich: Kardinal Reiner Maria Woelki, der Erzbischof von Köln, hat einen Missbrauchspriester befördert, anstatt Minderjährige vor ihm zu schützen.

·        Schicken Sie Köln einen neuen Erzbischof.

·        Mit seinem Verhalten gefährdet Kardinal Woelki das Wohl Tausender Kinder.

·        Heiliger Vater, alle Opfer und Millionen Christen, die in ihrer Kirche Schutz und Zuflucht suchen, zählen auf Sie.“

So war es wirklich …

Der Ablauf ist schlicht folgender:

1.   2001 gab es einen bekannten und kirchenrechtlich abgehandelten Kontakt von D. zu einem wohl 17jährigen Strichjungen, den D. selbst meldete.

2.   2015 war ein Leitlinienverfahren gegen D. durchgeführt und es waren keine weiteren Taten verifiziert worden. Gleichwohl wurde mit D. vereinbart, dass er sich künftig der Kinder- und Jugendarbeit enthält. Zudem sollte er sich einer Begutachtung durch Prof. Leygraf unterziehen. Der Vorgang aus 2001 wurde – obwohl nicht meldepflichtig – in der Folge nach Rom gemeldet.

3.   2017 wurde D. in Kenntnis dieser Umstände auf Anregung des Stadtdechanten Hennes zum stellvertretenden Stadtdechanten in Düsseldorf ernannt.

4.   Ein stellvertretender Stadtdechant unterstützt den Stadtdechanten bei den laufenden Geschäften des Gemeindeverbandes. Er nimmt die Belange des Verbandes gegenüber dem Erzbistum Köln sowie Politik und Gesellschaft wahr. Das ist ein denkbar weit von der Kinder- und Jugendarbeit entfernter Verwaltungs- und Repräsentationsposten.

5.   Die Amtsführung von D. war tadellos. Es sind keinerlei  Missbrauchsvorwürfe in der Zeit nach dem Leitlinienverfahren und erst nicht nach der Ernennung von D. zum stellvertretenden Stadtdechanten erhoben worden.

6.   Die jetzt bekannt gewordenen Tatsachen beruhen auf Aussagen eines Betroffenen, die dieser Ende 2020 zu einem bekannten Missbrauchsvorwurf gegen D. aus den 1990er Jahren gemacht hatte.

7.   D. wurde daraufhin beurlaubt, da nach dem Bericht der BILD „kein fruchtbares Wirken mehr möglich“ sei.

Diesen Ablauf mischt BILD mit Erzählungen, anonymen Anschuldigungen und Aktenvermerken aus der Zeit vor 2015, um Kardinal Woelki möglichst etwas anzuhängen. Dabei ist es bitter für BILD, dass das Blatt mangels Substanz nicht wie bei Wulff die Staatsanwaltschaft auf den Kardinal hetzen kann.

Aber BILD wähnt den Kardinal nach der Aufregung um das WSW-Gutachten angeschossen. Getreu der alten Jägerregel „auf angeschossenes Wild ist jeder weitere Schuss weidgerecht“, egal wohin, egal aus welchem Winkel, egal auf welche Entfernung, ballert BILD aus allen Rohren.

Die problematische Rolle des ehemaligen Priesters Joachim Frank

Assistiert wird Harbusch von dem ehemaligen Priester Joachim Frank, Chefredakteur des Kölner Stadtanzeigers. Der müsste eigentlich (sorry, aber das muss jetzt einmal sein) etwas leiser auftreten, nachdem er in seiner Zeit als Priester mit jedenfalls einer Frau eine sexuelle Beziehung eingegangen war und zunächst ein Jahr lang heimlich ein Doppelleben führte, das er selbst als „Verrat an der Frau“ und Verrat „an der Gemeinde“ einstufte. Was wäre, wenn man des Chefanklägers Joachim Frank Priesterzeit einmal im Licht der Missbrauchsvorschriften unter die Lupe nähme? Als Betroffenentribun scheint er jedenfalls keine bessere Besetzung als D. als stellvertretender Stadtdechant.

Sowohl Frank als auch Harbusch können sich ihre journalistische Arbeit inzwischen einfach machen. „Chef-Pfarrer von Köln kanzelt Kardinal Woelki ab!“ darf die BILD jubeln und kurzerhand eine Breitseite von Tweets des Kölner Stadtdechanten Robert Kleine bringen. In einem Rundumschlag  meint Kleine, er „halte es für einen gravierenden Fehler seitens Personalverantwortlicher in der Kirche, das Fehlverhalten von Geistlichen danach zu bewerten, ob es strafrechtlich oder kirchenrechtlich justiziabel war oder ist.“ Er möchte „jesuanische Kategorien wie z.B. Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit, Eingestehen von Fehlern und Übernahme von Verantwortung“ zum Maßstab machen. Da drängt sich die Frage an Kleine auf, Kölner Stadtdechant seit 2012, ob er selbst nichts von den Missbrauchstaten des Limburger Pfarrers K. gewusst hat, der seit 2014 jahrelang in seinem Dekanat Aushilfsmessen zelebrierte?

Seehofer: Das Opfer will auch mal Täter sein

Zur Abrundung des BILDes fehlt nur noch die Politik in Person „des für die Kirchen zuständigen“ Ministers Horst Seehofer, welcher der BILD in die Feder diktiert: „Die Sache spricht für sich.“ Da äußert sich ein Fachmann für solche Presselagen, der es besser wissen müsste. Er selbst unterhielt vor Jahren infolge der Pressekampagne monatelang die Republik mit einer klassischen ménage à trois, als er sich nicht zwischen seiner zweiten Ehefrau und einer von ihm geschwängerten 25 Jahre jüngeren Geliebten zu entscheiden vermochte. Seehofer fand damals nicht, dass die Sache für sich spreche, sondern fühlte sich aus der Opferperspektive „hintergangen, verleumdet, verfolgt von heimtückischen Gegnern. Er glaubt, seine Liebesaffäre sei bewusst ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt worden, um ihm zu schaden.“ (Welt)

Nachdem das Gercke-Gutachten vorliegt, nachdem das WSW-Gutachten eingesehen werden kann, nachdem alle möglichen internen Unterlagen an die BILD und den Stadtanzeiger durchgestochen sind und gar der Papst schon um Hilfe angefleht wurde, fehlen der BILD möglicherweise bald die Mittel, weiter an der Erregungsspirale zu drehen.

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