Gehirngewaschen

Wir empfinden es heutzutage grundsätzlich als begrüßenswert, nur mit solchen Mitmenschen umgehen zu müssen, welche zumindest deren äußere Hülle regelmäßig mit Seife und Wasser in Kontakt bringen. Als „Saubär“ werden in Bayern jene verächtlich bezeichnet, die sowohl wie ein Wildschwein als auch wie ein Bär stinken. Auf das Waschen des Gehirns gehen wir nachfolgend noch ein. Ein Gastbeitrag von Meinrad Müller

Der Autor erinnert sich, wie noch 1962 Samstagabend eine blecherne und zwei Meter lange Wanne in die Küche gestellt wurde. Drei Knaben wurden von Mutter abgeschrubbt, um den Staub der Woche abzuwaschen. Der Sonntagsanzug für die Sonntagsmesse verlangte dies, ohne dass dies „hinterfragt“ worden wäre.

Badezimmer, so wie wir sie heute kennen, sind kulturhistorisch eine Neuheit. Unsere Vorfahren in Höhlen, Lehm- und Holzhütten, müssen demzufolge entsprechende Körperdüfte ausgesandt haben, was den Begriff prägte, „jemanden nicht riechen“ zu können. Die Redewendung blieb, bezieht sich heute jedoch darauf, dass wir mit der Meinung eines anderen oder dessen Verhalten nicht einverstanden sind.

Römische Richter wie Pontius Pilatus ließen sich, nachdem sie ein Urteil verkündet hatten, eine Schale Wasser reichen, um symbolisch „die Hände in Unschuld“ zu waschen. Eingewirkt in das Gewebe unserer höchst komplexen Gesellschaft gelingt es vermutlich auch heute dem Frömmsten nicht, sich stets eine „reine Weste“ zu bewahren. Der Wunsch danach lässt uns deshalb zu tausend Fläschchen mit den Segnungen unserer chemischen Industrie greifen, um ums porentief reinzuwaschen.

Gehirngewaschen

Trotz intensiver Suche in den Regalfluchten der Drogeriemärkte findet sich kein Produkt mit der Aufschrift „Gehirnwäsche“. Das, wovon alle Welt in diesen Tagen des Heils spricht, ist weder unter noch über den Ladentisch offiziell erhältlich. Und dennoch erleben wir eine wenig segensreiche Wirkung, welche eine Gehirnwäsche bei unseren Freuden, Angehörigen, Kollegen und Verwandten zeitigt.

Zweifel am eigenen Gehirn: Unsere „graue Masse“, diese rund 1,5 Kilogramm, die unser Gehirn ausmachen, bekommen wir im Gegensatz zu anderen Körperteilen weder zu Lebzeiten noch danach zu sehen. Und doch spielt sich darin alles ab, was wir sehen, hören, fühlen und verstehen. Einen Zweifel an der eigenen Denkfähigkeit kennen die Wenigsten. Wir sind schlicht stolz darauf, dass das, was wir nach 10 Sekunden Nachdenkens als Denkergebnis ermittelt haben, verkünden zu dürfen. Widerspruch zu unseren Geistesfrüchten empfinden wir als Affront, als Angriff, Beleidigung und Ablehnung.

Unbemerkte Programmierung

Das Werk „Psychologie der Massen“ von Gustave Le Bon, erschienen 1895, wurde auch von Politikern und Diktatoren des 20. Jahrhunderts für die Ausarbeitung ihrer Propagandatechniken benutzt. Kurz gesagt verhalten sich Individuen, die wir ansonsten als „vernünftige Mitmenschen“ kennen, ganz anders, wenn sie in einer Masse anderer Gehirngewaschener mitmarschieren. Und es scheint, dass dieses Jahrhundertwerk auch heute zur Anwendung kommt. Eine vorsorgliche Lektüre ist daher höchst ratsam.

Steter Tropfen höhlt nicht nur den Stein, sondern erst recht auch die weichen Gehirne. Lehrer berichten, dass Jugendliche aus jugendlichem Übermut deren Mitschüler kritisieren, so diese vom „Pfad der Tugend“, sprich von der Massenmeinung abweichen. Das Verfallen in die  Psychologie der Massen, das wir unseren Großeltern ankreideten, erleben wir heute hautnah selbst.

Der Reformator Jan Hus, der auf dem Scheiterhaufen als Ketzer qualvoll zu Tode kam, beobachte eine Frau, die mitgebrachte Holzscheite noch auf den Scheiterhaufen warf. Seine Worte, die er in diesem Augenblick aussprach „O heilige Einfalt“ (O sancta simplicitas), kennzeichnen den Übereifer einer Gläubigen. Vermutlich wollte diese Frau mit ihrer Gabe zum Ausdruck bringen und verstärken, was ihr zuvor eingebläut wurde. Und genau das gleiche (vererbte) Verhalten beobachten wir heute, dass auch jene, die deren graue Masse bislang keiner sinnvollen Verwendung zuführen konnten, nun als Plattenspieler fungieren, dessen Nadel in einer Spur hängen blieb.

Horizonterweiterung

Im Gegensatz zu früheren Zeiten, in denen sich Menschen nur einer Informationsquelle bedienen konnten, haben wir heute die Qual der Wahl. Und wir, die wir ein wenig hinter den Vorhang blicken, wähnen uns vollumfänglich informiert. Auch hier sind Zweifel angebracht.

Nur im Gedankenaustausch mit anderen können wir feststellen, was schmerzlich sein kann, inwieweit wir selbst auch schon Opfer dieser Gehirnwäsche wurden. Selbst einfältig zu sein, das wollen wir doch nicht. Senden wir diese Internetseiten, die wir so gerne lesen, einfach an unsere Bekannten per E-Mail weiter. Womöglich bewirken neue Texte einen neuen gedanklichen Horizont und einen persönlichen Austausch.

Somit ist auch gegen Gehirnwäsche ein Kraut gewachsen.