Verlust von Eigentum und Freiheit: Der Sklavenstaat

Loskauf christlicher gefangener aus der türkischen Sklaverei (c) Pierre Dan, Histoire de Barbarie et de ses Corsaires, 1637 [Public domain]

Im Jahr 1912 erschien Hilaire Bellocs The Servile State, das unter dem Titel Der Sklavenstaat 1925 in der deutschen Übersetzung des österreichischen Wirtschaftswissenschaftlers Arthur Salz von der Deutschen Verlagsanstalt veröffentlicht wurde. Diese Ausgabe ist auch antiquarisch längst vergriffen. Ein guter Grund, diese erste theoretische Grundlegung des Distributismus gute hundert Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung noch einmal neu herauszugeben. Ein Gastbeitrag von Julian Voth

Dass ausgerechnet dieser Titel des in Deutschland nahezu unbekannten Hilaire Bellocs schon in den 1920ern übersetzt wurde, kommt nicht von ungefähr. Das Buch, in dem der Engländer prophezeite, dass sich die Welt hin zu einer Wiedereinrichtung der Sklaverei bewegte, hinterließ bei zahlreichen Denkern einen großen Eindruck.

Es ist kein Zufall, dass F. A. Hayeks „The Road to Serfdom“ (dt. Titel: Der Weg zur Knechtschaft) dem Werk Bellocs schon begrifflich ähnelt. Der Ökonom sah Bellocs Vorhersagen bestätigt und leitete ein Kapitel seines Buches mit einem Zitat aus dem Sklavenstaat ein: „Die Verfügung über die Güterproduktion bedeutet zugleich die Verfügung über das menschliche Leben selbst.“

Künstliche Monopole, die von der Obrigkeit begünstigt werden

Den Sklavenstaat definiert Belloc als die Gesellschaftsordnung in der „so viele Familien und Einzelpersonen durch positives Recht zur Arbeit zugunsten anderer Familien und Einzelpersonen gezwungen sind, daß das ganze Gemeinwesen von solcher Art Arbeit das charakteristische Gepräge erhält.“

Der Sklavenstaat ist nicht die freie Marktwirtschaft. Er bedeutet auch nicht einfach Sozialismus. Er ist der Staat, der geschaffen wurde, um einer freien Bevölkerungsschicht zu dienen und für die das System kraft Gesetzes aufrechterhalten wird. Im Wesentlichen ist dieser Staat durch künstliche Monopole gekennzeichnet, die von der Obrigkeit begünstigt werden.

Der Kapitalismus selbst kann laut Belloc nicht dauerhaft bestehen, will er doch zwei Dinge miteinander vereinbaren, die unvereinbar sind:

1) Den Besitz der Produktionsmittel durch die wenigen.

2) Die Freiheit aller.

Sklaverei, Sozialismus und Eigentum

Aus diesem Grund ist der Kapitalismus gezwungen, „mittels nichtkapitalistischer Methoden große Bevölkerungsmassen, die sonst aus Entbehrungen sterben müßten, am Leben zu erhalten.“ Der labile Kapitalismus, so Belloc, muss einem anderen System weichen:

„Es gibt nur drei Gesellschaftsordnungen, die an die Stelle des Kapitalismus treten können: Sklaverei, Sozialismus und Eigentum.“

Wenn Eigentum, und damit meint Belloc die Produktionsmittel, auf wenige beschränkt ist, kann auf Dauer nur das Institut der Sklaverei wiedereingerichtet oder der Sozialismus eingeführt werden.

Die einzige Alternative zum Privateigentum ist das Staatseigentum.

„Der kapitalistische Staat gebiert eine kollektivistische Theorie, die, in die Wirklichkeit umgesetzt, etwas vom Kollektivismus gänzlich Verschiedenes erzeugt, nämlich: den Sklavenstaat.“

„Wer das Eigentum […] wiederherstellen will, schwimmt gegen den Strom unserer bestehenden kapitalistischen Gesellschaft, während derjenige, der den Sozialismus […] einführen will, mit dem Strom dieser Gesellschaft schwimmt.“

Sollte der Kapitalismus in den Sozialismus münden, bedeutet dies für die kapitalistische Gesellschaft kaum einen Unterschied. Die Arbeiter wurden bereits ihres Besitzes beraubt und werden betreut durch fremde Instanzen:

„In dem ganzen Programm, das den kapitalistischen Staat in den kollektivistischen verwandeln will, stößt man nirgends auf einen Widerstand, es wird kein Begriff eingeführt, der einer kapitalistischen Gesellschaft nicht vertraut wäre, es wird nur an solche Instinkte appelliert, die, wie Feigheit, Habgier, Teilnahmslosigkeit, mechanische Regulierung, einer kapitalistischen Gemeinschaft ohnehin ganz nahe liegen.“

Handwerker und freie Bauern des Mittelalters als Vorbild

Die Wiederherstellung des Eigentums, Bellocs Lösung, ist gleichzusetzen mit der Errichtung des distributiven Staates. Kernstück des Verteilungsstaates sind die Familien auf ihrem Eigentum. Das ganze Ziel seiner politischen Ökonomie besteht darin, die Verderbnisse des Kapitalismus und Sozialismus aufzubrechen und Familien wieder auf ihrem freien Grundbesitz einzurichten.

Sein Vorbild sind die Handwerker und freien Bauern des Mittelalters, eine Gemeinschaft verbunden durch die christliche Kirche und eine Aristokratie mit religiösem Pflichtbewusstsein. Belloc machte nie einen Hehl daraus, dass Rerum novarum, die Enzyklika Papst Leos XIII., seine Inspiration war. Sie ging das moderne Problem des neuen, urbanen Industrialismus mit einem reaktionären Programm an, das sich die Wiederherstellung einer sozial-wirtschaftlichen Ordnung, die in ihren wesentlichen Punkten mit der des Hochmittelalters übereinstimmt, zum Ziel gesetzt hat.

Familien prägen das Bild der Gesellschaft

Im Sklavenstaat beschäftigt sich Belloc vorrangig mit der Analyse der gegenwärtigen Situation. (Zur distributistischen Alternative werden 2019 verschiedene Werke von G. K. Chesterton und Hilaire Belloc erscheinen.) Dennoch ist es hilfreich, das oben beschriebene Modell vor Augen zu haben, das Belloc vorschwebt. Er will eine Gesellschaft, in der das Eigentum weit verteilt (distribuiert) ist und ein derart großer Anteil der Familien im Staat die Produktionsmittel tatsächlich besitzen und demzufolge über sie verfügen kann, dass sie das allgemeine Gepräge der Gesellschaft bestimmten.

Ein Grundproblem jedoch, das der Autor sah, tangiert zweifelsohne ein heute noch in viel größerem Ausmaß bestehendes Problem: Wollen die depossedierten Menschen überhaupt besitzen?

Belloc glaubt, dass das inhärente Problem des kapitalistischen Gesellschaft darin besteht, dass sie eine Proletarierklasse erschafft, die keine andere Aspirationen mehr hat als ein Lohnarbeitererverhältnis, sowie eine Klasse der Besitzerverwalter auf der anderen Seite.

Der Sozialist wird seine Utopie zugunsten des Sklavenstaates aufgeben

Der Proletarier sieht die Kapitalisten als Besitzende und sich selbst als Lohnarbeiter. Sein Ziel besteht im Grunde nur darin, seinen Lohn aufzustocken. Ganz fremd ist ihm der Gedanke, auf irgendeinem Wege kein Lohnarbeiter mehr zu sein.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch Bellocs Vorhersage, wonach der Sozialist seine Utopie zugunsten des Kapitalismus bzw. des Sklavenstaates aufgeben und das süßere Joch der Sklaverei akzeptieren wird. Es ist die unheilige Allianz zwischen Kollektivismus und Kapitalismus, die in unseren Tagen einen neuen Grad von Augenscheinlichkeit erreicht hat.

Das Buch kann hier bestellt werden

Hilaire Belloc

Der Sklavenstaat

mit einem Vorwort von. Dr. Robert Hickson

ca. 150 Seiten

Klappenbroschur, 16 Euro

ISBN 978-3956211379