Heimatliche Abenteuer in der „Freinacht“ vom 30. April zum 1. Mai

Seine Nachbarn zu ärgern, das war seit altersher der Sinn dieser nächtlichen Streiche. Während die Bewohner fest schliefen, galt es nachts deren Gartentürchen und Fensterläden abzumontieren. Gastbeitrag von Meinrad Müller

Landwirtschaftliche Wagen auf dem Hofgelände wurden von kräftigen Burschen weggezogen und einen Kilometer weiter in einen Graben gelenkt. Die Fahne vor der Sparkasse konnte eingeholt und eine tote Henne mit einem Plakat „Pleitegeier“ hochgezogen werden. Der Schriftzug über dem Tante Emma-Laden wurde mit Sex-Shop überklebt.

Besondere Aufmerksamkeit erzeugten jedoch „Kommentare“, die mangels Internet mit flüssigem, weißen gelöschten Kalk auf die Straßen gemalt wurden. „Hornochse“ und ein Pfeil in die richtige Richtung taten ihre Wirkung. Auch breite Kalkspuren von einem zu einem anderen Haus sollten andeuten, dass da irgendwelche heimlichen Beziehungen besonderer Art bestanden. Der Regen und die Zeit verwischten dann alles wieder und Friede kehrte ein. Eine Zensur im heutigen Sinne war nicht existent. Richtige Sachbeschädigungen erfolgten aus Anstand nicht.

Liebesbezeugungen in der Nacht zum 1. Mai

Wer seine Jugendfreundin ganz besonders überraschen wollte, der erbat Tage zuvor vom Pfarrer die Genehmigung, eine junge Birke im Pfarrwald schlagen dürfen. Diese wurde ausgesucht, um in der Nacht zum 1. Mai mit einer Axt geschlagen zu werden. Mit Hanfstricken durch die Seitenfenster fixiert, wurde diese auf dem Dach des Käfers abtransportiert. Die Ästchen mussten noch mit bunten Bändchen verziert werden. ##

Morgens, so gegen fünf galt es, das vielleicht vier Meter hohe Birkenbäumchen am Gartenzaun des Elternhauses der Liebsten mit dickem Draht festzubinden. Diese Aktion wurde gewertet wie Diamantring und war zudem auch noch viel, viel romantischer.
Jene Mädchen, deren Verehrter diese Tradition nicht ausleben wollten, wurden und blieben traurig.

Vielleicht möchten Sie, liebe Leser, in den Kommentaren berichten, wie in Ihrer Heimatregion dieses Brauchtum der Freinacht noch gepflegt wird?

Krieg wegen kommunalpolitischer Kleinigkeiten

Wer in der Freinacht etwas anstellte, dem geschah nichts. Kein Ordnungsamt und keine Polizei lagen auf der Lauer. Diese groben Scherze fielen in die Rubrik Brauchtum, was leider von Jahr zu Jahr mehr verschwindet. Doch die Jungmännerscherze der Freinacht waren harmlos im Vergleich zu dem, was sich während des Jahres fortsetze. Und das ging so:

Das ganze Dorf war politisch gespalten, es rumorte in den eigenen Reihen. Das 750-Seelen-Dorf liegt westlich von Augsburg, in einer gemeinhin friedlichen Gegend, wie sie friedlicher nicht sein könnte. Die Flüsschen Roth bewegt sich durch das bayerisch-schwäbische Dorf Richtung Donau. Die 10 km westlich gelegene „Staatsgrenze“ ins befreundete Baden-Württemberg wird durch die Iller markiert. Die braunen Kühe mit polierten Glocken auf den Weiden bimmelten um die Wette und die Störche klapperten auf dem Kirchturm. Hätte Spitzweg ein Motiv gesucht, hier wäre es gewesen. Doch diese Idylle war gestört.

Nichts ist spannender als Politik

Der Friede in meinem kindlichen Herzen hielt an bis zu jenem Tag, als ich vielleicht als 10-Jähriger von den Vorgängen in der Lokalpolitik erfuhr. Mein Vater war offenbar bei der „falschen“ Partei. Jene von der richtigen Partei stimmten dem Herrn Bäcker- und Bürgermeister zu, alle Gartenzäune des Dorfes zu erneuern, obwohl diese nicht kaputt waren. Senkrechte Holzlatten seien altbacken, denn Holz-Scherenzäune seien jetzt modern. Was war der Grund? Der Bürgermeister wollte das Dorf am Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ teilnehmen lassen und gewinnen! Und da er selbst von sich meinte, er habe intellektuell „alle Latten am Zaun“, so sollten zumindest jene an den Gartenzäunen anders sein. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, war doch ein Vetter des Bäcker-Bürgermeisters Hersteller eben dieser Scherengartenzäune. Und wer sich weigerte, einen solchen Scherengartenzaun zu erwerben, der spürte die Antifa. Dieser Begriff war noch nicht bekannt, wohl aber deren Taten.

Wir hatten außerhalb des Dörfchens just an der Brücke über die Roth eine große Scheune, in welcher Maschinen untergebracht waren. Dieser Stadel wurde zwar nicht abgefackelt, einen gewissen Anstand hatte das Böse damals noch, doch mit Farbe und Parolen besprüht, so wie man es heute von U-Bahn-Wagen und Hauswänden in Berlin kennt.

Wenn diese Drohungen noch nicht halfen, dann wurden die Lattengartenzäune der Lattengartenzaunbesitzer nächtens heimlich abmontiert und mitten auf weiter Flur irgendwo ins Feld geworfen. Und ein Gemüsegarten vor dem Haus, ganz ohne Gartenzaun, das geht ja gar nicht. „Verzierungen“ mit Kalkfarbe auf der Straße, genau an den Stellen, wo die Häuser der Gegner standen, waren alltäglich. Es wurden Flüche aufgepinselt, deren Wortlaut nach 60 Jahren nicht mehr im Detail erinnerlich ist.

Sabotage aus Gründen der Ideologie

Wenn auch dies nicht zur richtigen Willensbildung verhalf, wurden besonders fiese Methoden eingesetzt. Unbekannte banden mit Klebeband Schraubenschlüssel an Büschel von Weizenhalmen auf den Feldern. Gelangten diese in die Mähdrescher, wurden diese schwer beschädigt. Auch wurden kurze Eisenstäbe in die Wiesen gesteckt, damit die Mähwerkzeuge zu Bruch gehen sollten. Unser Dorfschullehrer war ebenfalls bei der falschen „Partei“, obwohl er gar keinen Gartenzaun hatte. Er kritisierte lediglich die Denkfähigkeit des Bürgermeisters, der täglich allzu früh aufzustehen hatte, um Brot zu backen und des Abends aber in Wirtshaus immer noch politisierte.

Dieser Affront reichte aus, um dem Lehrer dezent die Abreise nahezulegen, was symbolisch dadurch erfolgte, indem man ihm einen alten Koffer und eine Peitsche vor die Haustüre lege. Das Schulhaus mit Lehrerwohnung unten und oben zwei Schulräumen, stammte noch aus Wilhelms Zeiten.

Müde Krieger vor der Tastatur

Wie die Zeiten sich doch ändern! Wir pinseln unsere Kommentare heute nicht mehr auf die Straße. Wir füllen dafür die Kommentarspalten mit oft bunt gemischtem Gedankengut, das mit dem eigentlichen Artikeltext nicht mehr das Geringste zu tun hat. Wir machen uns einfach per Tastatur Luft, weil wir den Nachbarn, der genauso denkt wie wir, nicht mehr kennen. Viel hilfreicher, sinnstiftender, beruhigender und freundlicher wäre es allemal, sich mit Gleichgesinnten wieder zu treffen. Bei einem Glas Wein oder Bier zu politisieren und sich dabei gegenseitig in die Augen sehen zu können löste Spannungen.