Dienstag, 23. April 2024

Russland: Deutschlands natürlicher Verbündeter?

Die Frage nach „Freund oder Gegner“ wird im Falle Russlands immer wieder gestellt. Was hat sich seit dem Beginn der „Ukraine-Krise“ in 2014 zwischen Deutschland (der EU) und Russland geändert? Wer sitzt heute am längeren Hebel? Wie geht es mit den Beziehungen weiter? Kann Russland unter Putin unser „natürlicher“ Verbündeter werden? Ein Gastbeitrag von Dr. Viktor Heese

Russland bleibt für „Demokratieverteidiger“ der Feind, für „Populisten“ wird es zum Partner

Die 1992 untergegangene Sowjetunion war wegen ihrer massiven Menschenrechtsverletzung, militärischer Bedrohung und der imperialen Gelüste einer „Diktatur des Proletariats“ ein klarer Gegner des Westens. Wenn Russland diese Rolle heute übernehmen soll, gelingt die Begründung nur mit fragwürdigen „weichen Fakten“. Putin sei ein KGB-Mensch (Bush-Senior nicht!), er freue sich über die EU-Krise (USA begrüßen aber starkes Chinas und Russland!), habe völkerrechtlich die russische Krim annektiert (Serbien hatte auf das albanische Kosovo freiwillig verzichtet!). Die Liste russischer Untaten ließe sich verlängern. Anders als 1983 müssen die Russen heute kein Flugzeug mehr abzuschießen. Es genügt eine bloße Behauptung (MH17, Skripal usw.) um böse zu sein. „Im Westen nichts Neues“ würde Romanautor E.M. Remarque sagen, oder doch nicht? Europas Populisten fordern eine Partnerschaft mit Russland, Italiens Salvini, aber auch Ungarn und Österreich, drohen mit dem Veto in der Sanktionsfrage. Dieser Widerstand ist neu, die Beschuldigungen alt.

Westlichen „Sanktionsangriff“ längst abgewehrt

Die Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen der Ukraine sind nicht nur unwirksam, sondern de facto eine Farce. Die Maßnahmen werden von so manchen EU-Mitstreitern dreist unterlaufen, Chinesen besetzen schnell die Marktnischen, Großkonzerne (vor allem die aus den USA) sind nicht betroffen, nur primär deutsche Bauern und Mittelständler dürfen „bluten“, unsere Polit-Heuchler (Seehofer, Gabriel, Maas, Merkel) reichten sich bei ihren heimlichen Kreml-Besuchen förmlich die Klinke und geben ihrem Volk keine Erklärungen ab und – last but not least, – Russland wird aus der Sanktionsgeschichte wohl gestärkt herausgehen. Die internationalen Reserven an Gold und Devisen erreichen 2018 mit 460 Mrd. USD das alte Niveau von 2014.

Wider der Systemstatistik: russische Wirtschaft heute so stark, wie die deutsche

Es soll noch besser werden. Bis 2030 wird Russland Deutschland als größte Wirtschaft Europas überholen. Das 2017er BIP auf der Kaufkraftparitäten-Basis betrug schon 2017 über 4,0 Mrd. USD und lag nur knapp hinter dem s mit 4,2 Bill. USD.

Viele wenig informierten „Demokratieverteidiger“ würden Russland gerne als ökonomischen Zwerg sehen. Da liegen sie schief. Das Riesenland verfügt nicht nur über enorme Rohstoffreserven, sondern wird sich breit entwickeln und zunehmend in der Luft- und Raumfahrt und der Digitaltechnik spezialisieren (sonst brauchen wir die Moskauer-Cyberattacken nicht mehr befürchten!).

Auch die vom Westen „übersehene“ Zusammenarbeit mit China, Iran, Türkei und anderen Schwellenländern bringt Erträge. Weiter noch: Die Fakturierung der Handelsgeschäfte in Lokalwährungen und die als IWF-Alternative gegründete „BRICS-Bank“ gewährleisten die finanzielle, die noch unterentwickelte Marktwirtschaft („Staatskapitalismus“) bringt sukzessive die technologische Unabhängigkeit vom Westen. Westtechnologie ist immer noch besser, aber kein überlebensnotwendiges „Muss“. Das sehen manche Entwicklungsländer, die russische Technologie (nicht nur Waffen!) kaufen, genau so.

Geopolitik am Scheideweg – die Bedeutung der „Regionalmacht“ wird steigen

Wer genau hinschaut, sieht die schwindende Dominanz der USA und der NATO. Ein „militärischer Geheimpakt“ Russlands mit China bahnt sich an („Der Feind meines…“), die Türkei wird unzuverlässig, Trumps Stellung zum atlantischen Bündnis bleibt labil. Die EU kämpft mit der Krise und die Populisten sind auf dem Vormarsch. Mit der wirtschaftlichen Entwicklung wächst die politische Bedeutung der östlichen „Regionalmacht“ ohne großes Dazutun.

Chancen für Deutschland: Russen und Deutsche, zwei Völker die es miteinander können?

Deutschland könnte sich in diesem günstigen politischen Umfeld aus der US-Umklammerung lösen, wie es einst 1989 auch die Wiedervereinigung schaffte. Sicherlich werden „Nicht-Putin-Versteher“ moralisch argumentieren, das deutsche Volk wolle das nicht. Abwarten, werden diejenigen sagen, welche an die Wiederholung der Geschichte glauben.

Das postsowjetische Russlands ist in dreifacher Hinsicht unser „natürlicher“ Verbündeter – so die Meinung des Autors. Historisch, wirtschaftlich und mental. Als Verbündete (napoleonische Kriege), wirtschaftliche Partner (Hansa, deutsche Kolonisten und Industrielle) oder starke Leistungsträger in der Zarenzeit, als viele unserer Landsleute im Osten Karriere machten, sehen die heutigen Russen unsere Vorfahren. Warum sollen sich die guten Zeiten des 19. Jahrhunderts nicht wiederholen? Merkel wird gehen, das deutsche Volk bleiben – hört man hüben und drüben.

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Dr. Viktor Heese – der Autor leitete 2010-2012 das Deutsche MBA in Moskau und verfasste die Publikation „(Un-)Möglichkeit der russischen Imperialpolitik„; www.prawda24.com

PP-Redaktion
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